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PolitikNahost

Machtkampf in Libyen: Droht weitere Gewalt?

Kersten Knipp | Emad Hassan
30. August 2022

Machtkampf in Libyen: Nach blutigen Zusammenstößen in Tripolis könnte dem Dauer-Krisenland eine neue Welle der Gewalt drohen. Das benachbarte Europa scheint den Entwicklungen eher machtlos zuzusehen, bemängeln Experten.

Schüsse und Explosionen erschütterten kürzlich Tripolis, Ende August 2022
Schüsse und Explosionen erschütterten kürzlich Tripolis, Ende August 2022Bild: Hazem Ahmed/REUTERS

Fathi Baschagha darf nicht mehr reisen, jedenfalls nicht mehr innerhalb Libyens. Am vergangenen Sonntagabend (28.8.) hat die Regierung von Ministerpräsident Abdul Hamid Dbaiba ein Reiseverbot gegen Baschagha verhängt, der ebenfalls die Macht in dem nordafrikanischen Land beansprucht. Grund des Verbots seien "anhaltende Ermittlungen zu der Aggression gegen (die Hauptstadt) Tripolis", hieß es in einer Mitteilung an die libysche Behörde, die das Reiseverbot umsetzen soll.

Mit dem Verbot erhält der Machtkampf der beiden konkurrierenden Premierminister nun auch eine juristische Komponente. Wie hart die beiden Rivalen um die Macht kämpfen, hatten die gewalttätigen Zusammenstöße am vergangenen Wochenende in der Hauptstadt Tripolis gezeigt. Presseberichten zufolge bekämpften sich Anhänger der beiden rivalisierenden Regierungen mit Luftabwehrgeschützen und Raketen. Dabei starben mindestens 32 Menschen, rund 160 wurden verletzt. Vermutlich dürften diese Zahlen aber in Wirklichkeit noch höher liegen.

Folgen der Gewalt: zerstörte Autos in Tripolis, Ende August 2022Bild: AA/picture alliance

Politische Kraftprobe

Die Gewalt vom vergangenen Wochenende ist die jüngste Eskalation in einer seit Monaten sich hinziehenden politischen Kraftprobe und des politischen Chaos, in dem Libyen sich seit Jahren befindet. Auf der einen steht Abdel Hamid Dbaiba, der unter UN-Vermittlung von einer nationalen Wahlkommission zum Premier der Übergangsregierung ernannt worden war. Seine Aufgabe war es vor allem, bis zum Dezember vergangenen Jahres Wahlen zu organisieren. Diese kamen nicht zustande - Dbaiba blieb aber trotzdem im Amt.

Ihm gegenüber steht der frühere Innenminister Fathi Baschagha. Er wurde im Februar dieses Jahres vom Parlament in Tobruk - dem Gegenspieler der Regierung in Tripolis - als Interimspremier eingesetzt. Dieses Parlament kann sich zwar auf den Umstand berufen, das es aus ordentlichen Wahlen hervorgegangen ist - diese allerdings fanden bereits 2014 statt.

Bereits im Frühjahr dieses Jahres versuchte der mit dem mächtigen Kommandanten Khalifa Haftar verbündete Baschagha seinen Amtssitz nach Tripolis zu verlegen - was die Truppen Dbaibas verhinderten. Seitdem ist die zuvor ausgehandelte Waffenruhe von beiden Seiten immer wieder in Frage gestellt worden, so auch bei der jüngsten militärischen Machtprobe.

Nach dem vergangenen Wochenende überhäufen sich beide Seiten nun mit Schuldzuweisungen. Ein Vertreter der international anerkannten Regierung unter Dbaiba warf Baschagha vor, er sei "im letzten Moment" aus Verhandlungen über Wahlen zum Jahresende ausgestiegen. Kurz darauf hätten die Kämpfe begonnen. Nein, solche Gespräche habe es in Wirklichkeit nie gegeben, entgegnete Baschagha. Er warf seinem Gegner vor, sich "an die Macht zu klammern".

Die jüngsten Auseinandersetzungen seien Teil einer "unendlichen Geschichte", schreibt der deutsche Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik auf Twitter. Zudem weist er auf die Fragilität libyscher Bündnisse hin. Akteure, die sich heute zusammentäten, könnten morgen schon wieder um Geld und Einfluss ringen.

Aus Sicht des am Thinktank 'European Council on Foreign Relations' forschenden Libyen-Experten Tarek Megerisi haben sowohl Dbaiba wie Baschagha ihre Legitimität verfehlt. Beide, deutete er auf Twitter an, dienten längst nicht mehr den Interessen des Landes, sondern nur noch ihren eigenen.

Sorge vor weiterer Gewalt

Die Gefahr, dass die jüngsten Zusammenstöße in anhaltende Gewalt mündeten, sei durchaus realistisch, sagt Thomas Volk, Libyen-Experte der  Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Er verweist auf laufende Vermittlungsversuche der Vereinten Nationen und Ägyptens. "Sollten die scheitern, könnte es zu einer neuen Spirale der Gewalt kommen", so Volk im DW-Gespräch.

Die Gewalt könnte den libyschen Staat zerreißen, fürchtet der in London lebende libysche Politik-Analyst Abdullah al-Kabir. De facto sei Libyen schon jetzt ein geteilter Staat, so der Politologe gegenüber der DW.

Rivalen um die Macht in Libyen: Abdel Hamid Dbaiba (l.) und Fathi BaschaghaBild: picture-alliance

Russland könnte profitieren

Tatsächlich: Zerbräche Libyen noch weiter, hätte die Welt es mit zwei Gemeinwesen zu tun, deren Führungen bereits bewiesen haben, dass sie zu Kompromissen und konstruktiver Zusammenarbeit nicht fähig sind. Dass sie in der Lage wären, funktionierende Strukturen zu errichten, wäre unwahrscheinlich. Doch auch ohne ein weiteres Auseinanderbrechen des Territoriums dürfte ein erneuter Ausbruch der Gewalt international ernste Konsequenzen haben. Europa sähe sich einem noch stärkeren Druck durch ungeregelte Migration gegenüber. Auch als Lieferant für dringend in Europa benötigte Energie könnte Libyen womöglich über Jahre ausfallen.

Zudem könnte Libyen noch stärker von der Instabilität ergriffen werden, die seit Jahren die Sahel-Zone prägt. Dies gelte umso mehr, als Russland nach dem Abzug westlicher Truppen aus Mali seine Präsenz ebendort ausbaue, sagt Thomas Volk. "Russland will in Europas direkter Nachbarschaft Instabilität und Unruhe erzeugen, damit die Europäer sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft mit neuen Brennpunkten auseinandersetzen müssen." Gleichzeitig versuche Russland im gesamten Sahelraum an Einfluss zu gewinnen. "Dabei spielt Libyen als Tor zu Europa natürlich eine entscheidende Rolle."

Truppen der libyschen Regierung von Abdul Hamid Dbaiba in Tripolis, Mai 2022Bild: Yousef Murad/AP/dpa/picture alliance

Europa überfordert?

Umso enttäuschender sei die derzeitige Rolle der Europäischen Union, sagt Libyen-Experte Volk. Ihr Einfluss sei sehr begrenzt: "Die EU setzt auf einen Soft-Power-Ansatz, wie er sich zumindest in der Entwicklungszusammenarbeit spiegelt. Wenn es aber um Hard Power geht, hat die EU leider überall in Nordafrika keine wahrnehmbare Funktion." Um die Gewalt Libyen unter Kontrolle zu halten, brauche es mehr entschiedenen internationalen Druck, meint auch der libysche Analyst Abdullah al-Kabir.

Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Russland, USA, Türkei, Frankreich, Italien, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate: An Akteuren, die in Libyen politische und wirtschaftliche Geschäfte machen möchten, mit unterschiedlichen Machthabern kooperieren und teils auch bewaffnete Kräfte vor Ort unterhalten, mangelt es nicht. Aber auch die externen Akteure verfolgen vor allem eigene Interessen und stehen teilweise ebenso klar in Konkurrenz zueinander wie die dominierenden politischen Kräfte in Libyen selbst. 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika