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PolitikNahost

Libyen hofft auf Frieden

6. November 2020

Ein Treffen in Tunis soll helfen, den Libyen-Konflikt zu lösen. Einige Fortschritte sind schon erzielt - doch ohne weitere Kompromisse der Konfliktparteien und ihrer ausländischen Unterstützer wird es kaum gehen können.

Proteste in Libyen
Demonstration gegen den Stillstand: Protest in Tripolis, August 2020Bild: picture-alliance/AA/H. Turkia

Könnte der Dauer-Konflikt in Libyen bald erfolgreich im Nachbarland Tunesien geschlichtet werden? Nicht ohne Optimismus blickt die Leiterin der UN-Unterstützungsmission für Libyen (UNSMIL), Stephanie Williams, auf die am Montag kommender Woche (09.11.2020) beginnenden Verhandlungen in Tunis. Ihr Optimismus gründet auf einer Vereinbarung, die die Konfliktparteien am vergangenen Dienstag in der libyschen Oasenstadt Ghadames getroffen haben.

Diese sollen die Umsetzung eines Waffenstillstands regeln, der bei Gesprächen in Genf am 23. Oktober erzielt worden war. Die dort formulierte Bereitschaft, die Waffen schweigen zu lassen, hatte UN-Generalsekretär Antonio Guterres als "fundamentalen Schritt in Richtung Frieden und Stabilität" gewürdigt. Ein weiterer Schritt soll nun in Tunesien gegangen werden.

Für die Konferenz in Tunis haben sich die Vereinten Nationen anspruchsvolle Ziele gesteckt. Die Gespräche dort zielen unter Einbindung zahlreicher Repräsentanten der libyschen Gesellschaft auf nicht weniger als die Bildung einer neuen, tatsächlich gemeinsam getragenen Einheitsregierung. In deren Folge sollen dann möglichst bald Präsidenten- und Parlamentswahlen stattfinden.

"Zustandekommen ein großer Erfolg"

Bereits den Umstand, dass die Konferenz überhaupt zustande komme, könne Williams als "großen Erfolg" verbuchen, sagt Thomas Volk, Leiter des Dialogprogramms Südlicher Mittelmeerraum der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunesien. "Die verschiedenen Akteure überhaupt an einen Tisch zu bekommen, ist schon eine Leistung. Zugleich ist es begrüßenswert, dass sie das auf der Berliner Libyen-Konferenz aufgegriffene Prinzip fortführen, neben ökonomischen und militärischen auch die politischen Aspekte des Konflikts aufzugreifen."

Den Weg in ein dauerhaft befriedetes Libyen soll ein anspruchsvolles Konferenz-Format ermöglichen. Dieses, hatte Williams im Oktober erklärt, soll Schlüsselfiguren der gesamten libyschen Gesellschaft umfassen, "gründend auf den Prinzipien der Inklusivität sowie einer fairen geographischen, ethnischen, politischen, tribalen und sozialen Repräsentation." Also ein Ansatz, der die Zivilgesellschaft einbinden und stärken soll. Auch Frauen und Jugendliche würden in die Gespräche eingebunden. Gerade junge Libyer waren zuletzt für soziale Anliegen, aber auch ein Ende der Kämpfe auf die Straße gegangen.

Engagierte Diplomatin: Stephanie Williams, Leiterin der UN-Unterstützungsmission für Libyen (UNSMIL)Bild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

"Allerdings fühlen sich weiterhin eine ganze Reihe von Libyern ausgeschlossen", sagt Thomas Volk. "Das ist höchst problematisch, denn so stellt sich bereits im Vorfeld die Frage nach der politischen Legitimität der Verhandlungen und der aus ihr womöglich hervorgehenden Ergebnisse." Außerdem fürchteten viele Menschen, die Beteiligten würden die Gespräche vor allem dazu nutzen, sich selbst in einflussreiche Positionen zu bringen.

Probleme stecken im Detail

Die Gespräche in Tunis stehen vor einer weiteren Herausforderung: Ihre Grundlage, die in Genf erarbeitete Waffenstillstandsvereinbarung, ist in entscheidenden Fragen wenig eindeutig. Ihr Text, heißt es in einer Analyse des Think Tanks International Crisis Group (ICG), lasse "Raum für ganz unterschiedliche Interpretationen, Missverständnisse und / oder ein bewusstes Umdeuten einzelner Passagen, Begriffe, um so den Interessen der einzelnen Parteien zu nutzen - oder den Interessen ihrer ausländischen Schutzmächte".

Gefährliches Kriegsgerät: Blick auf eine Sammelstelle für "irreguläre" Waffen, Tripolis, Juli 2020Bild: picture-alliance/AA/H. Turkia

Angesichts des hohen Einsatzes könnten die Gesprächspartner versucht sein, ihre jeweils eigenen Lesarten der Vereinbarung durchzusetzen, heißt es weiter. So haben sich beide Seiten zwar darauf verständigt, dass bis Ende Januar kommenden Jahres alle ausländischen Soldaten, Militärberater und Söldner Libyen verlassen sollen - deren Präsenz war von den UN mehrfach kritisiert worden. Beide Seiten tun sich jedoch schwer damit, offiziell einzuräumen, dass sie von auswärtigen Kräften militärisch unterstützt werden. Nach Einschätzung der ICG könnte es dennoch zu einem Teilabzug kommen.

So könnten auf Seiten der von Fajis al-Sarradsch geleiteten "Regierung der Nationalen Verständigung" türkisch finanzierte Gruppen syrischer Söldner das Land verlassen. Auf Seiten der Exilregierung könnten im Gegenzug bis zu 3000 russische Söldner der so genannten "Wagner-Gruppe" sowie weitere mit ihnen verbündete syrische Kämpfer abziehen. Tatsächlich aber lasse sich kaum sagen, wie die internationalen Akteure sich verhalten würden, sagt Libyen-Experte Volk: "Es ist schwer absehbar, ob sie bereit sein werden, das Land tatsächlich zu verlassen." Vor allem die beiden rivalisierenden Mächte Russland und Türkei könnten darauf bedacht sein, am derzeitigen Kräfteverhältnis nicht allzu sehr zu rütteln.

Ungeklärte Fragen

Der Plan für Libyen birgt aber noch weiteren Konfliktstoff. So ist beispielsweise vorgesehen, dass die ausländischen Akteure sämtliche Trainings- und Ausbildungsprogramme stoppen. Diese waren in der Vergangenheit durchaus umfangreich. So bildete das türkische Militär Milizen aus, die der "Regierung der Nationalen Verständigung" verbunden sind; Russland, Ägypten und weitere arabische Staaten trainierten die Soldaten der mit der Gegen-Regierung in Tobruk verbundenen "Libyschen Befreiungsarmee" von General Khalifa Hafter. Während sich diese Programme mehr oder minder eindeutig als militärisch definieren lassen, gelten andere als umstritten in ihrer Kategorisierung - so etwa jene, die europäische Staaten der offiziellen libyschen Küstenwache angedeihen lassen.

Schrecken des Krieges: Untersuchung eines Massengrabs in Tarhuna in Nordwest-LibyenBild: Hamza Turkia/picture alliance/Xinhua News Agency

Vorgesehen ist grundsätzlich auch ein Rückzug der eigenen Truppen beider Seiten. Nicht geklärt ist allerdings, wohin sie sich zurückzuziehen haben. Hier dürften zähe Verhandlungen anstehen.

Gefahr eines Stellvertreterkriegs

Und noch ein weiterer Punkt könnte Probleme bereiten. Beide Seiten hatten vereinbart, dass der Waffenstillstand im gesamten Land nicht für Gruppen gelte, die von den UN als terroristisch definiert würden. Damit hätten beide Seiten freie Hand, diese Gruppen weiterhin zu bekämpfen, auch wenn sie faktisch in Diensten der Gegenseite stehen - und könnten damit, liefe es schlecht, einen neuerlichen Stellvertreterkrieg im Land auslösen. "Das Potential für Rückschritt ist erheblich", fasst die ICG die Schwachstellen der Genfer Vereinbarung zusammen.

Tatsächlich sei das Ergebnis der Konferenz offen, meint auch Experte Thomas Volk. Aus seiner Sicht ist es am wichtigsten, die ausländischen Akteure dazu zu bringen, sich aus dem Land zurückzuziehen. "Dann könnte die libysche Gesellschaft beginnen, einen ernsthaften Friedensprozess in Gang zu bringen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika