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PolitikLibyen

Libyen: Neue Sittenpolizei setzt Frauenrechte unter Druck

Islam Alatrash
19. November 2024

Die Regierung in Tripolis will Frauen im öffentlichen Raum strengere Regeln etwa bei Frisur und Kleidung auferlegen. Beobachter fürchten eine Rückkehr zu einer autoritären Politik.

Eine verschleierte Frau in Tripolis
Die neue Moralpolizei könnte Frauen in Libyen künftig dazu zwingen, sich zu verschleiernBild: Alexandre Meneghini/AP/picture alliance

Abwehr europäischer Einflüsse und Schutz islamischer Gesellschaftswerte: Diesen Kurs deklariert die libysche Regierung in Tripolis für sich. Um ihn durchzusetzen, setzt sie vom kommenden Dezember an eine so genannte "Sittenpolizei" ein.

Die soll strenge Vorschriften für die Kleidung von Frauen an öffentlichen Orten durchsetzen, darunter die Verpflichtung für Mädchen, ab dem Alter von 9 Jahren einen Schleier oder Hidschab zu tragen. Zudem dürfen Frauen nicht mehr ohne einen männlichen Vormund reisen. Auch "unangemessenes" Verhalten zwischen Frauen und Männern in der Öffentlichkeit wird fortan als verboten gelten.

"Libyen ist kein Ort für persönliche Freiheiten", sagte Emad Al-Trabelsi, der Innenminister der von den Vereinten Nationen unterstützten Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis, Anfang des Monats. "Wer Freiheit sucht, sollte nach Europa gehen", fügte er hinzu. 

Unter der jungen Bevölkerung Libyens lösten diese Worte einen Aufschrei aus, insbesondere unter den Frauen des Landes. "Ich bin libysche Bürgerin, und Sie haben nicht das Recht, mir zu sagen, dass ich nach Europa gehen soll, wenn ich mit Ihren Entscheidungen nicht einverstanden bin", wandte sich die Aktivistin Ahlam Bin Taboun im DW-Interview an den Minister. "Libyen ist ein Staat, der von Gesetzen regiert werden sollte, nicht aber von den persönlichen Meinungen eines Einzelnen", sagt sie.

"Habe Angst, mich in der Öffentlichkeit aufzuhalten"

Schon vor der Einführung des neuen Gesetzes hätten die angekündigten Maßnahmen einige Männer dazu ermutigt, Frauen zu einer strengeren Kleidung anzuhalten, berichten mehrere Frauen der DW. "Ein Mann sprach meine Freundin und mich an und fragte, ob wir uns an die Bescheidenheitsregeln hielten", sagt die 26-jährige Yasmin, die aus Angst vor Repressalien ihren vollen Namen nicht veröffentlichen will. "Ich hatte ohnehin einen langen Rock an", erinnert sie sich im Gespräch mit der DW. "Aber als ich den Mann ignorierte, fing er an, mich zu bedrohen. Seitdem habe ich Angst, mich in der Öffentlichkeit aufzuhalten."

Die bekannte libysche Journalistin und TV-Moderatorin Zainab Tarbah erlebte während einer Autofahrt eine ähnliche Situation. "Ein männlicher Fahrer schnitt mir den Weg ab und zeigte auf meine offenen Haare", sagte sie. "Ich hatte Angst. Dieser Mann meinte, er habe das Recht, mich zur Rechenschaft zu ziehen."

"Libyen ist kein Ort für persönliche Freiheiten": der libysche Innenminister Emad Al Trabelsi (zweiter v.l.)Bild: MAHMUD TURKIA/AFP

Menschenrechtsgruppen: neue Maßnahmen "zutiefst alarmierend"

Die vorgesehenen Maßnahmen seien eine "gefährliche Eskalation der ohnehin bereits massiven Unterdrückung" in Libyen, erklären Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International. Vorschläge wie die Verschleierungspflicht, die eingeschränkte Interaktion zwischen Männern und Frauen oder auch die Bekleidungs- und Verhüllungsvorschriften seien "nicht nur höchst alarmierend, sondern verletzen auch Libyens internationale juristische Verpflichtungen", sagt Bassam Al Kantar, bei Amnesty International für die Beobachtung der Situation in Libyen zuständig.

Andere Vorschläge, wie etwa der, die Reise von Frauen von der Erlaubnis eines männlichen Vormunds abhängig zu machen oder die Privatsphäre eines Menschen durch Überwachung aufzuheben, stellten ebenfalls eklatante Menschenrechtsverletzungen dar, so Al Kantar weiter.

"Europäische Einflüsse zurückdrängen": Werden Frauenrechte in Libyen nun massiv eingeschränkt?Bild: Mohamed Messara/picture alliance/dpa

Das libysche Nationale Menschenrechtskomitee hat bereits beim Generalstaatsanwalt eine Klage gegen Al-Trabelsi eingereicht. "Dies ist eine eklatante Verletzung der individuellen Freiheiten", sagt Ahmed Hamza, der Leiter des Komitees. "Die Äußerungen des Ministers beleidigen die libysche Gesellschaft und stellen nach dem Gesetz ein strafbares Vergehen dar", so Hamza. "Diese Politik ist lediglich ein Mittel, um die Kontrollmacht der Regierung zu verstärken. Inmitten einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise will die Regierung mit diesen Schritten offenbar von den eigentlichen Problemen ablenken."

Libyen ist seit 2014 zwischen zwei rivalisierenden Regierungen geteilt. Der Westen wird von der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung unter Premierminister Abdul Hamid Dbeibah in Tripolis verwaltet. Der Osten hingegen wird von General Chalifa Haftar in Tobruk regiert. Zusätzlich verschärft wird die politische Pattsituation in dem erdölreichen Land durch politische Unruhen und das eigenmächtige Handeln der herrschenden Milizen

Rückkehr in die Zeiten unter Diktator al-Gaddafi? Die junge Generation fürchtet das Bild: MAHMUD TURKIA/AFP

Sorge vor erneutem Machtmissbrauch

Die Einrichtung einer Sittenpolizei stelle nur eine von mehreren weitreichenden Maßnahmen der Regierung dar, sagte Jalel Harchaoui vom Royal United Services Institute in London gegenüber der britischen Zeitung The Telegraph. So etwa könne sie Personen nun leichter, nämlich ohne rechtliche Verfahren, verhaften.

Allerdings würden die geplanten Einschränkungen aufgrund der politischen Spaltung Libyens nicht im ganzen Land gelten, so Harchaoui weiter. "Der Premierminister kann seine Macht nicht in der gesamten Hauptstadt ausüben, geschweige denn außerhalb der Hauptstadt. Im besten Fall handelt es sich um einige Stadtteile."

Die Bevölkerung im Westen Libyens dürfte sich angesichts der anstehenden Entwicklung allerdings an die Jahrzehnte unter der Diktatur Muammar Gaddafis erinnert fühlen. So wird die neue Sittenpolizei etwa berechtigt sein, Friseurläden oder Shisha-Bars zu schließen, die die neuen Vorschriften nicht erfüllen. "Heute kritisiert jemand meine Frisur, und morgen könnte er mir vorschreiben, was ich zu tragen habe", sagt Ahmed Qarqum, ein 23-jähriger Student, gegenüber der DW. "Diese Politik schafft eine erdrückende Umgebung, durch die wir uns in unserem eigenen Land fremd fühlen."

Mitarbeit: Jennifer Holleis.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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