1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Libyen: verhaltene Zukunftshoffnungen

Cathrin Schaer kk
17. Februar 2021

Nachdem sich Vertreter des Landes Anfang Februar unter Vermittlung der UN auf eine Übergangsregierung geeinigt haben, könnte es nun zu einer dauerhaften Aussöhnung kommen. Doch das Land steht weiter vor Problemen.

Libyen Demo zum Jahrestag der libyschen Revolution
Bange Hoffnung: Kundgebung zum Jahrestag der Revolution in Tripoli Bild: Mahmud Turkia/AFP/Getty Images

Lange war die libysche Revolution vom Frühjahr 2011 für die Bürger des Landes alles andere als ein Grund zum Feiern. Eher wurde ihnen während der letzten Jahre immer wieder bewusst, was während und nach dem Aufstand alles schief gelaufen war. Zwar wurde der autoritär regierende Präsident Muammar al-Ghadafi gestürzt. Doch bald darauf stürzte das Land in einen jahrelangen Bürgerkrieg.

Seit mehr als sechs Jahren ist Libyen politisch gespalten: Im Osten regiert die Exilregierung von Tobruk, unterstützt von dem Militärkommandanten Khalifa Haftar. Im Westen hingegen sitzt die international anerkannte Regierung der Nationalen Eintracht unter Führung von Fayez al-Sarraj.

Nun, zum 10. Jahrestag der Revolution, hoffen viele Bürger, dass das Land aus der politischen Sackgasse herausfindet, in der es seit Jahren steckt. Seit vergangenem Oktober hält ein von der UN zwischen den beiden Fraktionen vermittelter Waffenstillstand weitgehend. Anfang Februar trafen sich in Genf 75 von den Vereinten Nationen ausgewählte Delegierte, die ein breites Spektrum der libyschen Gesellschaft repräsentieren. Gemeinsam wählten sie eine provisorische Regierung, die die zerstrittenen Gruppen ersetzen und das Land im Dezember dieses Jahres zu Neuwahlen führen soll.

Einigung in Genf

An die Spitze des Präsidialrates wählten die Delegierten den von den Politikern des östlichen Landesteils unterstützen Diplomaten Mohammad Younes Menfi. Zum provisorischen Premierminister wurde der aus dem Westen stammende Geschäftsmann Abdul Hamid Mohammed Dbeibah ernannt. Besteht nun eine Chance, dass die beiden Seiten sich dauerhaft einig werden?

Er hoffe es, sagt Tarek Megerisi, Polit-Analyst des European Council on Foreign Relations, der zur politischen Entwicklung Libyens forscht. Im ganzen Land hofften die Menschen, dass nun der politische Wandel beginne.

Hoffnung auf eine Durchbruch: Libyen-Konferenz in Genf, 5. Februar 2021Bild: UNITED NATIONS/AFP

Allerdings gebe es zwischen den beiden ehemals verfeindeten Gruppen weiterhin enorme Diskrepanzen. Die hätten sich in der Vergangenheit regelmäßig anlässlich der Jahrestage der Revolution gezeigt. "In Tripolis gab es bisweilen übertrieben anmutende Versuche, die Revolution zu feiern. In Benghazi hingegen versuchte die politische Führung, Feierlichkeiten nach Möglichkeit zu unterbinden.

Beide Reaktionen entsprängen einer vergleichbaren politischen Logik. "In Tripolis präsentieren sich die Behörden als Hüter der Revolution, durch die Gaddafi gestürzt worden sei", so Megerisi. "Inzwischen haben sie aber selbst längst den Ruf, kleine Tyrannen zu sein." In Benghazi hingegen seien die Behörden der Auffassung, erst durch die Revolution habe der islamistische Extremismus im Land Fuß fassen können. Deswegen wollten sie entsprechende Feiern nach Möglichkeit verhindern. Zugleich beanspruchten sie für sich, den Osten Libyens vor der islamistischen Bedrohung geschützt haben.

Ein internationaler Krieg

Die Libyer haben in den vergangenen Jahren seit der Revolution hinnehmen müssen, dass sich mehr und mehr ausländische Staaten in den Bürgerkrieg einmischten. So unterstützten Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate General Haftar im Osten des Landes. Sie sahen in ihm den geeigneten Mann, um den Muslimbrüdern Einhalt zu gebieten. Diese sind auch in den genannten Ländern selbst aktiv und werden dort als politische Bedrohung wahrgenommen.

Die Türkei hingegen schlug sich aus wirtschaftlichen und politischen Gründen auf die Seite der westlichen Regierung der Nationalen Einigung in Tripolis – nicht zuletzt auch deshalb, weil ihre regionalen Rivalen die andere Seite unterstützten. Ähnliche Beweggründe hatte auch Katar, als es sich entschied die Kräfte in Tripolis zu unterstützen.

Zudem haben Libyens geopolitisches Potenzial sowie sein Ölreichtum weitere Akteure angezogen, wie etwa Russland. Und schließlich hat Libyens Bedeutung als internationale Drehscheibe der Flüchtlingsbewegungen aus Afrika auch Frankreich und Italien dazu veranlasst, sich in den libyschen Konflikt einzumischen.

Migration und Flucht: ein Grund für die Präsenz internationaler Akteure in LibyenBild: picture alliance/dpa/SOS MEDITERRANEE

Gekommen, um zu bleiben

Nun stehen die Libyer vor dem Problem, die ausländischen Kräfte wieder loszuwerden. Bei der Aushandlung des Waffenstillstands im Oktober letzten Jahres hatte die UNO gefordert, dass die rund 20 000 ausländischen Kämpfer das Land verlassen. Dass es so komme, scheine aber höchst unwahrscheinlich, sagt Arturo Varvelli, Leiter des Büros des European Council on Foreign Relations in Rom.

"Die Kämpfe in Libyen sind zu einer Art Stellvertreterkrieg geworden", so Varvelli gegenüber der DW. "Ich denke, das größte Problem in Libyen besteht zur Zeit darin, die Präsenz der regionalen Akteure einzudämmen. Sie haben ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft des Landes."

Viele der nun in Libyen präsenten Mächte planten wohl, zu bleiben, nimmt Varvelli an: "Es ist eher unwahrscheinlich, dass sie auf einen Aufruf der UN oder der neuen Regierung reagieren und ihre Einheiten abziehen."

Keine Lehren gezogen?

Auch die in Genf gewählte Übergangsregierung ist bereits in Kritik geraten. Das Forum, das die Regierung gewählt hat, gelte vielen Libyern als "Zusammenschluss opportunistischer und gieriger Politiker mit wenig Legitimität oder Einfluss ", schreiben Wolfram Lacher vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit und Emadeddin Badi vom Middle East Program des Atlantic Council in einer gemeinsamen Analyse.

"Es ist schwierig, positiv zu sein", so Badi gegenüber der DW. "Viele verwechseln die Sehnsucht einer Mehrheit der Libyer nach positivem Wandel - in vielerlei Hinsicht ein Nebenprodukt der Konfliktmüdigkeit - mit einem positiven Ausblick für die neue Exekutive." Tatsächlich aber habe offenbar niemand Lehren aus der Schwäche der letzten, 2015 ebenfalls auf Betreiben der UN zustande gekommenen Einheitsregierung gezogen. Sie war nicht in der Lage, das Land auf sinnvolle Weise zu vereinen. Die Folge: Die Kämpfe gingen weiter.

"Die Tatsache, dass wir uns genau an der gleichen Stelle befinden, allerdings mit einigen tausend Toten und mehreren Millionen zerstörter Leben mehr, sowie einem zertrümmerten Land, ist kein Grund zum Feiern", sagt Tarek Megerisi. Bisweilen fühle es sich an, als drehte sich das Land im Kreis. Auch die Libyer selbst fühlten sich machtlos . Einige suchten Zuflucht im Fatalismus.

"Tausende Tote": Aushebung eines Massengrabs, Oktober 2020 Bild: Hamza Turkia/picture alliance/Xinhua News Agency

"Das wahre Geschenk der Revolution"

"Die Menschen auf der Straße fühlen sich nicht gut, dies allerdings aus unterschiedlichen Gründen", sagt die Journalistin Asia Jaafari, die die sozialen Medien für das Libysche Zentrum für Pressefreiheit mit Sitz in Tripolis beobachtet. "Diejenigen, die die Revolution nicht unterstützt haben, vergleichen die heutige Situation mit den Zeiten, als Gaddafi an der Macht war. Ihrer Ansicht nach ist die Revolution gescheitert. Aber auch diejenigen, die sie unterstützten, sind pessimistisch angesichts des Kurses, den das Land daraufhin genommen hat. Es war schlimmer, als sie erwartet hatten."

Und doch mache die Entwicklung der vergangenen Wochen ihm und anderen Libyern Hoffnung, sagt Megerisi mit Blick auf die Interims-Regierung. "Der Umstand, dass die Libyer nach der Revolution einen Weg in den Krieg einschlugen, ist alles andere als eine erfreuliche Entwicklung. Doch die Freiheit existiert, und die Hoffnung bleibt. Das ist das wahre Geschenk der Revolution."