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Politik

Libyens Chaos - ein Nährboden für Terror

23. Dezember 2016

2011 stürzten Rebellen Libyens Despoten Gaddafi mit westlicher Hilfe. Fünf Jahre später taumelt mit dem zerfallenen Land die gesamte Region. Das Einzige, was blüht, ist der Schmuggel - speziell der von Menschen.

Libyen Kampf gegen den IS um Sirte
Bild: Getty Images/AFP/M. Turkia

Die Entführung des Afriqiyah Airbus A 320 nach Malta lenkt erneut den Blick auf Libyen. Das Land versinkt im Chaos des Bürgerkriegs. Positive Nachrichten sind selten. Immerhin konnte Mitte Dezember Ministerpräsident Fajes al-Sarradsch die Rückeroberung der Küstenstadt Sirte von der Terrormiliz IS verkünden. Acht Monate hatte die Offensive gedauert, US-Kampfjets hatten die Angriffe unterstützt. Allerdings musste Sarradsch einräumen, mit der Schlacht um Sirte sei "der Kampf gegen den Terrorismus in Libyen noch nicht vorbei". Und nicht nur der ist noch nicht vorbei.

Fünf Jahre nach dem gewaltsamen Tod des Diktators Muammar Al-Gaddafi ist auch der Kampf um die Macht noch nicht entschieden: Die Regierung Sarradsch ist nur eine von mehreren konkurrierenden Regierungen.

NATO-Intervention

2011 hatte der Westen in Libyen militärisch interveniert - aus humanitären Gründen, um Aufständische vor Gaddafi zu retten, heißt es. Die NATO-Intervention in dem nordafrikanischen Land hat sich anschließend jedoch gänzlich anders entwickelt, als man sich das speziell in Paris, Washington und London vorgestellt hatte. Die mit Gaddafis Sturz verbundenen Hoffnungen auf den Aufbau einer demokratischen, freien, offenen libyschen Gesellschaft haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Heute sind Hunderte bewaffneter Gruppen im Land unterwegs, loyal bestenfalls ihrem Klan oder Warlord gegenüber.

Libyen 2016: Regierungen in Tripolis und Bengasi - dazu zahlreiche Milizen streiten um die Macht

Eine der wenigen Boom-Branchen im Land ist der Schmuggel - von Drogen, Waffen und vor allem von Menschen: Der Staatszerfall hat Libyen zu einem Haupt-Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa gemacht. Mattia Toaldo vom European Council on Foreign Relations ECFR sagt, die Lebensumstände der Menschen in Libyen hätten sich nach dem Sturz Gaddafis deutlich verschlechtert: "Ständig fällt der Strom aus. Bargeld ist knapp und die Leute verbringen einen Großteil ihrer Zeit beim Warten vor Bankschaltern, wo sie nur eine Handvoll Euros bekommen." Toaldos bitteres Fazit im DW-Gespräch: "Das Alltagsleben hat sich verschlechtert, die Sicherheitslage hat sich verschlechtert, die wirtschaftliche Lage hat sich verschlechtert."

Falsche Einschätzung 2011

Man fühlt sich an den Flottenkommandanten Thukydides aus der griechischen Antike erinnert: Der warnte schon vor rund 2500 Jahren: "Bedenkt, wie unberechenbar der Verlauf eines Krieges ist, bevor ihr euch auf ihn einlasst." Christian Much war bis zum September drei Jahre lang deutscher Botschafter in Libyen. Selbstkritisch resümiert der frühere Diplomat, 2011 hätten sich wohl alle Beteiligten falsche Vorstellungen von der Zukunft Libyens gemacht - Libyer wie internationale Gemeinschaft. "Beide im Sinne einer Selbstüberschätzung", so Much gegenüber der DW. Später aber hätte sich gezeigt, wie eng Machtinteressen und Identität in Libyen an einzelne Orte und Regionen gebunden sind. Das seien wichtige Hindernisse für die Entwicklung Libyens: "Ein wichtiges Element dabei war sicher, dass es nach 2011 nicht sofort eine neue nationale Armee gegeben hat. Und die Milizen die es ohnehin schon gab, nahmen an Bedeutung weiter zu - und damit eben auch das Denken in lokalen Strukturen", analysiert Ex-Botschafter Much.

Export von Waffen und Gewalt

Die Folgen des libyschen Staatszerfalls machen allerdings nicht an den Grenzen des Landes halt. Nach dem Sturz Gaddafis plünderten die Aufständischen die überquellenden Waffenarsenale der Armee. "Der Abfluss von Waffen aus Libyen war einer der Gründe für den Konflikt in Mali", erläutert ECFR-Experte Toaldo.

Libysche Waffen destabilisieren die ganze RegionBild: picture-alliance/AP Photo/G. Osodi

Auch der Präsident des Tschad sieht das so. Am Rande seines Besuchs in Berlin klagte Idriss Déby Anfang Oktober gegenüber der DW: "Gaddafi ist tot, und man hat Libyen bewaffneten Gruppen überlassen. Afrika muss heute die Konsequenzen aus diesem Chaos tragen." Jetzt müsse Europa die Verantwortung dafür übernehmen, dass heute ehemals friedliche Länder von der nigerianischen Terrororganisation Boko Haram terrorisiert werden, forderte Déby. Denn die Waffen stammten aus Libyen.

Ausländischer Einfluss heizt Spaltung an

Wie man eine funktionierende nationale libysche Armee unter ziviler Führung schaffen kann, ist denn auch eine der wesentlichen Fragen, mit denen sich Martin Kobler beschäftigt, UN-Sonderberichterstatter für Libyen. Viel mehr als Appelle an die Dialogbereitschaft der verschiedenen Gruppen hat auch er nicht zu bieten. Gegenüber der DW betont der deutsche Diplomat: "Das ist ein libyscher Prozess, die Libyer müssen das selbst machen. Aber die Afrikanische Union, die UNO, die EU und auch die arabische Liga stehen bereit, die Libyer dabei zu unterstützen."

Allerdings hat ausländischer Einfluss die inner-libyschen Konflikte nach 2011 erst so richtig angeheizt. Unterschiedliche Milizen wurden von unterschiedlichen Staaten aus- und aufgerüstet, mit Waffen und mit Geld: Katar und die Türkei unterstützen vor allem Milizen im Osten. Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien fördern bewaffnete Gruppen im Westen. Mattia Toaldo sieht in eben dieser Einmischung von außen einen der wesentlichen Gründe für Libyens Abrutschen in die Anarchie.

Libyen in der Arabellion

Zur Erinnerung: Auch Libyen war Anfang 2011 von der Welle der Revolutionen in den Nachbarländern Ägypten und Tunesien erfasst worden. Proteste eskalierten im Februar zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Ihr Zentrum wurde bald die ostlibysche Stadt Bengasi. Im März hatte sich das Regime Gaddafi wieder gefasst und war im Begriff, verlorene Gebiete wieder unter seine Kontrolle zu bringen - auch unter Einsatz der Luftwaffe. Die Aufständischen forderten eine Flugverbotszone.

Muammar Al-Gaddaf: über 40 Jahre Diktator, dann ein gewaltsamer Tod 2011Bild: imago/Anan Sesa

Frankreich griff diese Forderung auf und wurde zur treibenden Kraft der Intervention. Nachdem Frankreich in Tunesien zunächst noch den Diktator Ben Ali unterstützt hatte und auch in Ägypten noch lange auf das Überleben des Regime Mubaraks gesetzt hatte, wollte es sich dieses Mal frühzeitig auf die Seite der Sieger stellen. Möglicherweise spielte dabei auch eine Rolle, dass Frankreich gerade einen Milliarden-Deal mit Libyen über die Lieferung von Kernkraftwerken abgeschlossen hatte, den es nicht gefährden wollte. Und auch, dass Frankreich etwa zehn Prozent seines Erdöls aus Libyen bezog.

Am 17. März jedenfalls erlaubte die Resolution 1973 des Weltsicherheitsrates die Schaffung einer Flugverbotszone sowie den Schutz der Bevölkerung mit militärischen Mitteln. Außerdem forderte die Resolution einen sofortigen Waffenstillstand.

Deutschlands Sonderweg

Deutschland hat sich bei der Abstimmung damals der Stimme enthalten - so wie auch Russland und China. Der damalige Außenminister Guido Westerwelle wurde für diese Enthaltung nahezu flächendeckend sowohl in der Politik wie in den Medien heftig kritisiert.

Musste für Deutschlands Enthaltung viel Kritik einstecken: Guido WesterwelleBild: dapd

Am 19. März begann mit dem Einsatz von zehn französischen Kampfflugzeugen die internationale Militärintervention. Der Einsatz richtete sich gegen die Offensive der Regierungstruppen auf Bengasi, ein Militärkonvoi wurde beschossen, Artilleriestellungen zerstört. Sieben Monate lang kämpfte die NATO auf der Seite der Rebellen, als deren Luftwaffe. Dabei wurde auch Gaddafis Heimatstadt von NATO-Jets massiv beschossen - und nach Worten des Kommentators Seumas Hilne im britischen Guardian "so in Schutt und Asche gelegt, wie das tschetschenische Grosny durch die Russen".

Acuh wenn die Rettung von Menschenleben das Ziel der Intervention war, am Ende schätzte selbst der Nationale Libysche Übergangsrat die Zahl der Todesopfer im Laufe der Revolution auf etwa 30.000. Aus Sicht des SPD-Außenpolitikers Rolf Mützenich wurde das Mandat der Resolution 1973 deutlich überdehnt. Überhaupt gibt sich Mützenich im DW-Interview sehr nachdenklich. Und weist selbstkritisch darauf hin, dass sich Deutschland trotz der Stimmenthaltung im Weltsicherheitsrat am Ende doch an der Mission beteiligt hat - wenn auch nur durch AWACS-Aufklärungsflugzeuge und Marineeinheiten zur Verhinderung von Waffenlieferungen.

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