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PolitikLibyen

Libyens Machtkampf: Wer sind die rivalisierenden Milizen?

Cathrin Schaer
18. August 2023

In Libyens Hauptstadt Tripolis sind erneut bewaffnete Milizen aneinandergeraten. Doch wer sind die Gruppen, die in dem Land eine große Rolle spielen?

Libyen | Unruhen: Sicherheitskräfte in Tripolis halten Wache
Nachdem die Schießereien beendet waren, hielten Sicherheitskräfte in Tripolis WacheBild: Yousef Murad/AP/picture alliance

Bei Gefechten zwischen rivalisierenden Milizen in der libyschen Hauptstadt Tripolis sind mindestens 55 Menschen getötet worden. Etwa 140 weitere wurden verletzt. Wie verschiedene Medien berichten, lieferten sich die Sondereinheit für Abschreckung - die Special Deterrence Force - und die 444. Brigade tagelange schwere Kämpfe. Demnach brachen die Schießereien aus, nachdem die Special Deterrence Force am Montag den Kommandeur der 444. Brigade, Mahmud Hamsa, am Flughafen Mitiga bei Tripolis festgenommen hatte. Erst seine Freilassung im Laufe des Mittwochs habe die Kämpfe beendet.

Obwohl die Lage in Libyen in den letzten zwei Jahren vergleichsweise ruhig war, warnen langjährige Beobachter weiterhin vor den Gefahren, die von den libyschen Milizen ausgehen. In der Tat ist der Vorfall in dieser Woche nur der jüngste in einer Reihe solcher Zusammenstöße. Doch wer sind die Gruppen, die sich in Libyen bekämpfen? Ein Überblick:

Woher kommen die Milizen?

Die libyschen Milizen sind eng verbunden mit den informellen Kampfgruppen, die infolge der Revolution 2011 entstanden sind. Das ölreiche Libyen ist nach dem Sturz und Tod des langjährigen Diktators Muammar Gaddafi ins Chaos gestürzt. Daraufhin haben sich einheimische Kräfte zusammengeschlossen, um Gaddafi-treue Anhänger zu bekämpfen.

Mindestens 55 Menschen sind bei den Gefechten getötet wordenBild: MAHMUD TURKIA/AFP/Getty Images

Seit 2014 ist Libyen gespalten, denn es stehen sich zwei rivalisierende Regierungen gegenüber. Die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung der Nationalen Einheit hat ihren Sitz in Tripolis im Westen des Landes. Ihre Konkurrentin, das Repräsentantenhaus, sitzt im östlichen Tobruk.

Beide Seiten stützen sich auf schwerbewaffnete Milizen und ausländische Regierungen, und beide haben versucht, sich gegenseitig die Kontrolle zu entreißen. Alle Versuche, durch Wahlen das Land zu vereinen, sind bisher gescheitert.

Nach jahrelangen Kämpfen und Instabilität hatte die Gewalt in diesem Jahr jedoch weitgehend nachgelassen. Im Osten Libyens ist es dem ehemaligen Warlord und heutigen Politiker Khalifa Haftar gelungen, sein Kommando über mehrere Milizen zu stabilisieren. Im Westen hatten verschiedene bewaffnete Gruppen um die Vorherrschaft konkurriert. Jetzt gibt es dort zwar weniger, dafür aber umso mächtigere Milizen. Sie haben bereits Politiker, Zivilisten, aber auch Mitarbeiter von Organisationen offen schikaniert.

Roberta Maggi, Projektmitarbeiterin am Geneva center for Security Sector Governance, schrieb 2022: "Das erste libysche Parlament wurde regelmäßig von Milizen überfallen, sie haben die Sitzungen behindert und die Abgeordnete eingeschüchtert, in der Hoffnung, ihre (der Milizen) Vorteile zu schützen und weitere Zugeständnisse zu erhalten."

Wer hat in Tripolis gekämpft?

Die beiden Milizen, die sich in dieser Woche bei Schießereien gegenüber standen, waren die 444. Brigade und die Special Deterrence Forces. Sie sind nur zwei von vielen bewaffneten Gruppen, die in der libyschen Hauptstadt um die Macht ringen.

Die meisten von ihnen stehen mit einer offiziellen Institution in Verbindung. "Fast alle bewaffneten Gruppen agierten unter dem Deckmantel staatlicher Legitimität - ob innerhalb neu geschaffener Institutionen oder schlicht als Einheiten des Innen- oder Verteidigungsministeriums", schreibt Wolfram Lacher, Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Tatsächlich vertreten sie jedoch in erster Linie die Interessen ihrer Anführer, Mitglieder oder ihrer sozia­len Basis und entgehen weitgehend der staatlichen Kontrolle."

Die 444.Brigade sei lose mit dem Verteidigungsministerium des Landes verbunden, sagt ein lokaler Journalist in Tripolis der DW. Viele Leute in der Stadt zögen die 444. anderen Milizen vor, weil sie sich professioneller verhielten. Aus Angst vor Konsequenzen möchte der Journalist jedoch nicht mit seinem Namen zitiert werden. SWP-Experte Lacher kann diese Einschätzung jedoch bestätigen: "In Tripolis, das noch vor einigen Jahren von besonders zügellosen Milizen beherrscht wurde, ist die 444. Brigade das neue Modell: eine Einheit, die in den von ihr kontrollierten Gebieten südlich von Tripolis als diszi­pliniert, verlässlich und kompromisslos im Umgang mit Krimi­nalität gilt."

Bei den Special Deterrence Forces (SDF) handelt es sich um eine religiöse Hardliner-Miliz, die in Tripolis als eine Art Polizeitruppe fungiert. Die Gruppe, die auch als Al Radaa bekannt ist, kontrolliert viele öffentliche Einrichtungen, darunter den zivilen Flughafen Mitiga International Airport. Dort wurde der Kommandeur der 444. Brigade diese Woche festgenommen als er die Stadt verlassen wollte, um zu einer Veranstaltung zu fliegen. Die SDF war lose mit dem Innenministerium der Regierung verbunden, agiert aber faktisch unabhängig. Die konservative Gruppe ist berüchtigt für die willkürliche Festnahme von Einheimischen, darunter auch libysche Politiker und Aktivisten der Zivilgesellschaft. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und der UN-Menschenrechtsrat haben die SDF auch deshalb kritisiert.

Es ist nicht das erste Mal, dass die 444. und die SDF in Tripolis aneinandergeraten sind. Es gab auch in den vergangenen Jahren bereits Kämpfe zwischen beiden Gruppen.

Wird es zu einem neuen Bürgerkrieg kommen?

Die Zusammenstöße zwischen den Milizen haben sich, wie zuvor auch, erst einmal beruhigt. Die beiden libyschen Regierungen im Osten und im Westen des Landes verurteilten die Kämpfe.

In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Gefechten zwischen Milizen Bild: Mahmud Turkia/AFP/Getty Images

Experten haben jedoch keine Zweifel, dass Milizen weiterhin eine große Rolle in Libyens Zukunft spielen werden. Deren Anführer seien meist nicht nur die offiziellen Kom­mandeu­re der Ein­heiten, sondern überhaupt an der Spitze der staatlichen Institutionen ange­kommen, schreibt Libyen-Experte Lacher. Die Institutionalisierung dieser Gruppen und die massive Einflussnahme ihrer An­führer auf höchster Ebene zeigten aber, dass die Milizen zum Staat geworden seien. "Die groben Konturen des Sicherheitssektors dürften auf Jahre hinweg fortbestehen: eine militärische Landschaft, die von konkurrierenden Machtpolen geprägt ist und deren Führungsfiguren ihr militärisches Gewicht einsetzen, um politische und finanzielle Gewinne zu erzielen."

Die Milizen "spielen geschickt mit der Unsicherheit, der Illegitimität und der allgemeinen Unfähigkeit der Politiker, um sich zu bereichern und ihre Positionen innerhalb der libyschen Institutionen zu festigen", so Tarek Megerisi, Senior Policy Fellow und Libyen-Experte beim European Council on Foreign Relations, Ende vergangenen Jahres in einem Kommentar. "Das Land ist zwischen zwei Regierungen gespalten, die kein Interesse daran haben zu regieren oder von der Öffentlichkeit unterstützt zu werden."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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