Libysche Rebellen rücken vor
28. März 2011Die libyschen Rebellen sind am Montag (28.03.2011) bis an die Heimatstadt von Machthaber Muammar al Gaddafi – Sirte – herangerückt. Sirte liegt auf halbem Weg der 1.000 Kilometer langen Strecke zwischen Bengasi im Osten und Tripolis im Westen. Die 150.000 Einwohner zählende Küstenstadt gilt als Hochburg von Gaddafis Anhängern – mit regimetreuen Kämpfern und Truppen. Berichte, Sirte sei bereits erobert, wurden nicht bestätigt. Ein Rebellen-General sagte in dem 30 Kilometer dahinter gelegenen Ort Bin Dschawwad: "Sirte wird nicht einfach zu nehmen sein."
Seit Beginn der alliierten Luftangriffe vergangene Woche ist es den Rebellen gelungen, aus der militärischen Defensive zu kommen. Nacheinander nahmen sie die Städte Es Sider, Ras Lanuf, Brega, Sueitina und Tobruk im ölreichen Osten des Landes ein. Dem TV-Sender Al-Dschasira zufolge kontrollieren sie auch die rund 120 Kilometer von Sirte entfernt liegende Stadt Naufalija. Die NATO-Kampfflugzeuge hätten mit ihren Treffern den Weg geebnet, sagten mehrere Rebellenkämpfer. Vor dem internationalen Eingreifen am 19. März standen sie in Bengasi kurz vor der Niederlage gegen Gaddafi.
Strategisch wichtige Stadt
Augenzeugen in Sirte sagten, am Morgen seien Kampfflugzeuge und Einschläge zu hören gewesen. Auf den Straßen werde jedoch nicht gekämpft; auch Rebellen seien nicht zu sehen gewesen. Einige Bewohner der Stadt seien geflüchtet, nachdem eine von Gaddafis Sohn El Saadi befehligte Brigade und verbündete Milizionäre in den Außenbezirken der Stadt Position bezögen hätten, um diese zu verteidigen, berichteten Zeugen.
Rebellen-General Hassi sagte, die Aufständischen wollten beim Kampf um Sirte nicht nur auf eine militärische Offensive setzen, sondern auch versuchen, einige Stämme in der Stadt auf ihre Seite zu ziehen. "Da ist Gaddafi und da sind Kreise um ihn herum, die ihn unterstützen, von denen einer nach dem anderen sich langsam von ihm absetzt", sagte Hassi. "Wenn sie sich erheben, würde die Sache leichter."
Die Einnahme der Stadt wäre ein wichtiger Sieg für die Rebellen und würde ihnen den Weg nach Tripolis und in die von ihnen gehaltene Stadt Misrata öffnen. Dort berichteten Einwohner am Montag von heftigem Beschuss durch Regierungstruppen. Gaddafi hatte einen Aufstand in Misrata zuvor brutal niedergeschlagen.
Moskau: Überschreitung des UN-Mandats
Russland, das sich wie Deutschland bei der UN-Resolution der Stimme enthalten hatte, warf dem Westen vor, mit den Angriffen Partei für die Rebellen zu ergreifen. "Wir sind der Auffassung, dass die Intervention der Koalition in einen de facto Bürgerkrieg nicht von der Resolution des Sicherheitsrates gedeckt ist", sagte Außenminister Sergej Lawrow. Die internationalen Luftangriffe gingen über das UN-Mandat hinaus. Die Angriffe bedeuteten eine Parteinahme in einem Bürgerkrieg.
Der stellvertretende libysche Außenminister Chaled Kaim sagte in Tripolis, den Alliierten gehe es nicht um den Schutz der Zivilbevölkerung. Sie kämpften gegen die libyschen Streitkräfte und versuchten, das Land an den Rand eines Bürgerkriegs zu treiben. Libyen warf der NATO vor, die Bevölkerung zu terrorisieren und Zivilisten zu töten. Ziel sei es, das nordafrikanische Land zu demütigen und zu schwächen.
NATO: Geht um Schutz der Bevölkerung
Der NATO-Kommandeur für den Libyen-Einsatz, der kanadische Generalleutnant Charles Bouchard, wies die Kritik zurück. Die Mission diene ausschließlich dem Schutz der Zivilbevölkerung. Die NATO sei nun – nach der entsprechenden Vereinbarung vom Sonntag – dabei, die Leitung von den USA zu übernehmen. Die NATO hatte am Sonntag zugestimmt, das Oberkommando der Intervention zu übernehmen. Auch Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte der britischen BBC, die NATO sei da, "um Zivilisten zu schützen, nicht mehr und nicht weniger". Die Bündnisländer greifen nach eigenen Angaben nur militärische Ziele in Libyen an, um die Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung durchzusetzen.
Alliierte Kampfflugzeuge flogen in der Nacht zum Montag nach Angaben von Militärkreisen 110 Einsätze, darunter 75 Angriffe auf Munitionslager, Flugabwehrstellungen und Bodentruppen mit Panzern und Militärfahrzeugen. In Washington erklärte US-Verteidigungsminister Robert Gates, er könne keinen Zeitrahmen für den militärischen Einsatz in Libyen nennen.
"Gaddafi muss sofort gehen"
Vor der Libyen-Konferenz mit 35 Teilnehmerstaaten in London am Dienstag forderten Frankreich und Großbritannien die Gefolgsleute Gaddafis zum Bruch mit dem Machthaber auf. "Gaddafi muss sofort gehen", erklärten der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron in Paris. "Wir rufen seine Anhänger auf, ihn fallenzulassen, bevor es zu spät ist." An die Opposition richteten beide Länder die Aufforderung, sich an einem Prozess des Übergangs zu beteiligen. Eine Besetzung Libyens sei nicht angestrebt. Die Souveränität, Einheit und Unabhängigkeit Libyens werde respektiert. Frankreich und Großbritannien fliegen in vorderster Front die Luftwaffeneinsätze gegen das nordafrikanische Land.
Italiens Außenminister Franco Frattini sagte, sein Land habe mit Deutschland, Frankreich und Schweden über Vorschläge für eine politische Lösung in Libyen gesprochen. Auch die Türkei solle einbezogen werden. Teil der Überlegungen sei, dass ein afrikanisches Land Gaddafi Asyl anbieten könne. Gaddafi müsse einsehen, dass er nicht an der Macht bleiben könne. Geplant sei zudem ein Dialog zwischen den Aufständischen und den Anführern der regionalen Stämme in Libyen.
Autorin: Naima El Moussaoui (dapd, rtr, dpa)
Redaktion: Marko Langer