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Liebe ohne Likes: Wie die Amish in Pennsylvania daten

Annika Sost | Laura Kabelka
7. Dezember 2024

Dating-Apps sind in den USA gang und gäbe. Doch Amish leben ohne Elektrizität und sind dauerhaft offline. Zwei Autorinnen der DW sind nach Pennsylvania gereist, um herauszufinden, wie sich junge Menschen hier treffen.

Ein Mann und eine Frau auf einer Kutsche, auf der Rückbank sitzen zwei Kinder in einem roten Kleid.
Die Kutsche - für die Amish nach wie vor ein aktuelles FortbewegungsmittelBild: John Greim/Loop Images/picture alliance

Weite Felder mit Kornspeichern und langen Wäscheleinen vor den Bauernhöfen prägen die Landschaft. Kombiniert mit den vielen Pferdekutschen auf den Straßen fühlt man sich zurück katapultiert in eine längst vergangene Zeit. 

Errungenschaften der Moderne wie Autos oder das Internet sind in der Welt der Amish meist nicht erlaubt. Und damit auch keine Dating-Apps, die ansonsten die Partnersuche hier in den USA dominieren. Wir wollen wissen, wie die Mitglieder dieser christlichen Glaubensgruppe zueinanderfinden.

Darum fahren wir - "The English", wie die Amish alle Nicht-Amish bezeichnen - nach Lancaster County im nordöstlichen US-Bundesstaat Pennsylvania. Denn hier befindet sich mit über 43.600 Amish die größte Siedlung weltweit.

Lange Wäscheleinen: ein typisches Bild in der Siedlung der Amish in PennsylvaniaBild: CHARLY TRIBALLEAU/AFP/Getty Images

Die Amish streben nach Demut und Gemeinschaft. Als Teil der Glaubensgemeinschaft der Täufer folgen sie einer strengen Auslegung der Bibel. Ursprünglich stammen sie aus der Schweiz, dem Elsass und aus Süddeutschland. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden sie wegen ihrer Glaubensvorstellungen verfolgt, viele fanden Zuflucht in Kanada und den USA. In Pennsylvania herrschen günstige Bedingungen für ihr landwirtschaftlich geprägtes Leben.

Hochzeitssaison im Herbst und Winter

Unsere ersten Stationen sind Farmen und Quilt-Läden der Amish, mit denen wir schnell ins Gespräch kommen. Viele fragen nach unserer Herkunft, weil sie uns Deutsch sprechen hören. Sie selbst reden nämlich Pennsylvaniadeutsch, eine Mischung aus Deutsch und Englisch. 

Im Herbst ist Hochzeitssaison bei den Amish. Sie beginnt Mitte Oktober und zieht sich bis in den März. Die Zeitspanne ist kein Zufall: Die Menschen nutzen die Monate nach der Ernte, weil sie da mehr Zeit für die aufwendigen Feierlichkeiten haben. Zudem erlauben die kühlen Temperaturen die Lagerung der vielen Speisen - ganz ohne elektrische Kühlschränke.  

Mittlerweile hat sich das Durchschnittsalter für Hochzeiten verschoben. "Die meisten heiraten nicht mehr als Teenager, so wie ich damals, sondern mit Anfang zwanzig", erzählt die Bäuerin Martha.

"Trennung vor der Hochzeit ist keine Sünde"

Eine Hochzeit sei ein großes Ereignis, erzählt uns eine junge Frau, die als Kellnerin in einem Restaurant arbeitet. "Die Familien feiern bei sich zu Hause und erwarten 300 bis 500 Gäste. Eine Hochzeit geht den ganzen Tag, dabei werden drei Mahlzeiten serviert."

Eine traditionelle Speise besteht aus Hähnchenfleisch mit hausgemachter Brotfüllung, Kartoffelpüree, Selleriecreme und frischem Krautsalat. Zwischen den Mahlzeiten wird gesungen - und zwar aus dem Ausbund, dem ältesten Gesangsbuch der Täufer.  

"Meine jüngere Schwester heiratet nächstes Jahr im Oktober", erzählt sie. Sie ist seit zwei Jahren mit ihrem Partner zusammen, mit kurzen Unterbrechungen. Das sei erlaubt und keine Sünde. Eine Scheidung würde allerdings mit Exkommunikation bestraft. Sex vor der Ehe sei zudem verpönt. Bei einer Schwangerschaft müsse dann schnell geheiratet werden, um in der Gemeinschaft bleiben zu können.

Man muss bei den Amisch nicht zwingend heiraten, man kann auch sein Leben lang Single bleibenBild: Annika Sost/DW

Kennenlernen und Daten: öffentlich oder versteckt?  

In den Sozialen Medien erklären Aussteiger, wie daten bei den Amish funktioniert: Eine Freundesgruppe fährt nachts mit der Kutsche zu einem Mädchen und fragt stellvertretend für den Kumpel, ob das Mädchen Interesse habe. Bei einer positiven Antwort darf der junge Mann in ihr Zimmer.  

"Sie liegen im Bett, Sex ist nicht erlaubt. Sie unterhalten sich, aber irgendwann übernimmt der Junge die Führung, legt seine Arme um das Mädchen (...) Danach wiegen sie sich eine Weile hin und her," erklärt Lizzie in diesem Video. "Die Regel ist, dass man sich drei Mal hin und her wiegt, dann gibt es einen Kuss. Und danach lässt man los und redet weiter." 

Lizzie war Teil der "Swartzentruber", eine der konservativsten Untergruppen. Hier in Lancaster County gehören fast alle der "Old Order Amish" an. Die Bräuche unterscheiden sich je nach Gruppe, Bischof und Familienregeln stark. Das erklärt, warum Susan, die wir in einem Handwerksladen treffen, andere Abläufe schildert. 

Die "Rumspringa"- Jahre

"Sobald wir 16 sind, gehen wir sonntags zur Jugendgruppe. Wir singen biblische Lieder und spielen Volleyball. Hier treffen Mädchen und Jungen aufeinander", erzählt Susan. Der erste Kontakt gehe dabei von den Jungen aus. Nicht bei Dunkelheit, sondern während dieser Treffen lernen sie einander kennen. "Sie dürfen auch zusammen in der Öffentlichkeit gesehen werden und einander besuchen."

Diese Phase, in der sich die Jugendlichen mehr von den Eltern entfernen und in die Welt hineinschnuppern, wird "Rumspringa" genannt. Sie endet mit der Taufe, meist im Alter von 18 bis 22 Jahren. Die Täufer lehnen eine Kindestaufe ab, um einen bewussten Glaubenseinstieg zu ermöglichen.  

Ausflug nach Washington: Eine Gruppe junger Frauen in den traditionellen blauen Kleidern der AmishBild: NICHOLAS KAMM/AFP/Getty Images

"Für manche kann diese Zeit mit abweichendem Verhalten verbunden sein. Am Samstagabend auf eine Party zu gehen, auf der viel Alkohol ausgeschenkt wird oder so. Obwohl das nicht unbedingt die Norm ist", so Steven Nolt, Direktor des Young Center für täuferische und pietistische Studien am Elizabethtown College.

Traditionen lieben und leben

Obwohl Traditionen hier hochgehalten werden, geht die Zeit auch an den Amish nicht spurlos vorbei. Hier und da sieht man vereinzelt Solarpanels vor den Farmen - ein Symbol für den schleichenden Wandel? Vielleicht leben manche "Old Order Amish" doch etwas moderner als vermutet. Laut Steven Nolt liegt die Ausstiegsquote bei den Amish bei nur 10 bis 15 Prozent. Es scheint also nach wie vor seinen Reiz zu haben, dieses einfache Leben inmitten der modernen Zeit.

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