Lieber keine EU-Verfassung als eine schlechte
11. Dezember 2003Optimistische Vorhersagen waren von Außenminister Joschka Fischer im Bundestag nicht zu hören. Zwar wünscht sich Fischer, dass die Staats- und Regierungschefs den vorliegenden Verfassungsentwurf annehmen, so wie er ist. Dabei weiß er, dass das in einigen der 25 jetzigen und künftigen Mitgliedsländer anders gesehen wird: "Ob wir in den kommenden Tagen zu einem positiven Ergebnis kommen werden, das - und das ist jetzt keine diplomatische Formulierung, keine Floskel - ist in der Tat offen."
Die Bundesregierung will nämlich keine Einigung um jeden Preis, keinen schlechten Kompromiss. Eine Verfassung, die strittige Punkte ausklammere und ihre Klärung auf einen späteren Zeitpunkt verschiebe, komme nicht in Frage, so Fischer: "Kein Ergebnis in diesem Jahr ist deutlich besser als ein schlechtes Ergebnis, das die Arbeit in Europa über Jahre hinweg behindern oder verzögern würde."
Deutschland will "doppelte Mehrheit"
Einer der größten Streitpunkte ist der Abstimmungs-Modus im Ministerrat der EU. Der Verfassungsentwurf sieht dafür eine so genannte "doppelte Mehrheit" vor. Das bedeutet: Eine Entscheidung fällt nur, wenn mindestens die Hälfte aller Mitgliedsländer zustimmen und diese gleichzeitig mindestens 60 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren. Diesen Vorschlag hält die Bundesregierung für praktikabel und fair, und davon wolle man nicht abrücken, so Fischer: "Die doppelte Mehrheit gewährleistet einen fairen Interessen-Ausgleich zwischen den großen und den kleinen Staaten in der Union."
Das sehen Länder wie Polen oder Spanien anders. Im Vertrag von Nizza ist eine Mehrheitsregelung enthalten, die ihnen mehr Gewicht als im Verfassungsentwurf des Konvents verleiht - und daran wollen sie festhalten.
EU-Interessen wichtiger als nationale
Da an dieser Frage eine Einigung scheitern könnte, traf sich Bundeskanzler Gerhard Schröder am Donnerstag (11.12.) in Berlin noch einmal mit dem polnischen Präsidenten Alexander Kwasniewski. Bei dem Gespräch, in der es vor allem um die Frage der Stimmrechte ging, waren auch die beiden Außenminister dabei. Schröder und Fischer plädieren dafür, das Verfassungswerk nicht an nationalen Interessen scheitern zu lassen.
Deshalb der Appell des deutschen Außenministers: "Ich denke, alle Beteiligten müssen sich im Klaren sein über die historische Dimension dessen, was jetzt anzupacken ist, dass es nicht um die Verteidigung der nationalen Interessen allein geht. Darum ging es im Konvent immer, selbstverständlich! Aber letztendlich stand im Konvent nicht das nationale Interesse, sondern der europäische Kompromiss an erster Stelle. Und das unterscheidet den Konventsentwurf von Nizza."
Opposition: Regierung hat Vertrauen zerstört
Die Opposition unterstützt die Bundesregierung bei ihrem Einsatz für den vorliegenden Verfassungsentwurf. Der CDU-Außenpolitiker Wolfgang Schäuble warf der Bundesregierung aber vor, durch ihre Europa-Politik in den letzten Monaten Vertrauen zerstört zu haben: "Wie jetzt um Stimmrechtsanteile gerungen wird, in einer Art und einer Tonart, die wir für falsch halten - da zeigt sich: Die Politik der deutschen Regierung ist von anderen als der Versuch der Dominanz und der Rücksichtslosigkeit verstanden worden und musste so verstanden werden. Das hat zur Zerstörung von Vertrauen geführt und die Einigungsmöglichkeiten in Europa dramatisch erschwert. Das ist der Bundesregierung anzulasten, und das darf nicht fortgesetzt werden."
Ebenso wie die Bundesregierung plädierte aber auch Schäuble dafür, die Verhandlungen über die Verfassung eher fortzusetzen als sie am Wochenende mit einem schlechten Ergebnis abzuschließen.