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Auktion: Bild aus Gurlitt-Fund versteigert

Stefan Dege 25. Juni 2015

Max Liebermann malte die "Zwei Reiter am Strand" 1901. Der Ausritt geriet zur Odyssee: Das Bild wurde als Raubkunst im Gurlitt-Fund identifiziert und jetzt in London für 2,6 Millionen Euro versteigert.

Zwei Reiter am Strand aus dem Schwabinger Kunstfund (vermutlich bis 1939 Sammlung David Friedmann, Breslau)
Bild: gemeinfrei

Zwei Reiter traben entlang der Meeresbrandung. Sie tragen Stiefel, Kappe und Jackett. Ein Pferd schreitet ruhig aus, während das zweite die heranrollenden Wellen umtänzelt. Max Liebermann (1847 – 1935) bannte viele solcher Strandszenen pastos auf die Leinwand. Immer wieder zog es den Impressionisten an die holländische Nordseeküste, wo ihn Licht, Menschen und Landschaft begeisterten. Er war Mitbegründer und Vorsitzender der Berliner Secession und Präsident der Preußischen Akademie der Künste. Er litt unter den Nationalsozialisten. Doch welchen politischen, juristischen und kriminellen Verwerfungen seine "Reiter am Strand" ausgesetzt sein würden, davon machte sich der Künstler kein Bild.

Es war die größte anzunehmende Kunst-Sensation, als vor drei Jahren in München der "Schwabinger Kunstfund" auftauchte. Unter den hunderten Kunstwerken, die sich in der Wohnung des betagten Cornelius Gurlitt stapelten, fand sich auch Liebermanns Reiterbildnis. Die bayerischen Behörden stellten es sicher. Provenienzforscher einer staatlichen Taskforce recherchierten und kamen 2014 zu der Erkenntnis: Liebermanns Bild ist "mit hoher Wahrscheinlichkeit" NS-Raubkunst. So wurde das Gemälde an die Erben der einstigen Besitzer restituiert. Vier Wochen später landet es nun auf dem Kunstmarkt. Beim Auktionshaus Sotheby's in London hat es nun 2,6 Millionen Euro gebracht.

Bild: picture alliance / AP Images

Spät entdeckte Raubkunst

Schon 1954, neun Jahre nach Kriegsende, schmückten die "Reiter" eine Liebermann-Retrospektive in der Kunsthalle Bremen. Zuletzt hingen sie noch 1960 in Ausstellungen in Berlin, Recklinghausen und Wien. "Niemand erhob damals den Vorwurf", bemerkte spitz die Frankfurter Allgemeine Zeitung, "es handele sich um Raubkunst."

Wer im Werkverzeichnis Liebermanns nachschlägt, findet dort als ersten Besitzer einen gewissen David Friedmann, jüdischer Ziegelfabrikant und Kunstsammler in Breslau. Er besaß das Bild mindestens bis 1928. "Spätestens seit 1938 wurde die Familie David Friedmann von nationalsozialistischer Verfolgung bedroht", schreibt die Taskforce Schwabinger Kunstfund in ihrem Provenienzbericht. Das dunkelste Kapitel in der Gemälde-Biographie ist da längst aufgeschlagen.

David Toren, rechtmäßiger Erbe des ReiterbildnissesBild: DW/S. Czimmek

Erster Eigentümer David Friedmann

Das belegt ein Brief des Breslauer Oberregierungsrats Dr. Ernst Westram an Reichswirtschaftsminister Walther Funk vom 5. Dezember 1939. Westram erkundigt sich darin, wie er vermögende Juden "rechtmäßig" um ihre Kunstschätze bringen könne. Die Schätzwerte von David Friedmanns Kunstsammlung durch ein Mitglied der Reichsfachschaft für Sachverständigenwesen erscheinen dem Oberregierungsrat zu niedrig. Diese, darunter auch Max Liebermanns "Reiter am Strand", seien das Zehn- bis 15-Fache wert, befindet Westram. Die Nazis verbieten dem Juden Friedmann den Verkauf seiner Schätze. Drei Jahre später stirbt er eines natürlichen Todes. Friedmanns komplette Familie kommt im Holocaust um.

Der Direktor des Schlesischen Museums der bildenden Künste in Breslau, Conrad Müller Hofstede, ersteigert das Bild bei einer Auktion für 1600 Reichsmark; wann genau, ist nicht belegt. 1942 verkauft er die "Reiter" an Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand, einen Kunsthändler im Dritten Reich. Viele nennen ihn den "Kunsthändler Adolf Hitlers".

Als Tastbild hat Toren den verschwundenen Liebermann anfertigen lassen.Bild: DW/S. Czimmek

Nach Kriegsende konfiszieren die "Monuments Men" der US-Alliierten das Bild. Doch schon 1950, in Ermangelung von Dokumenten zur Herkunft, erhält Gurlitt es zurück. Er behauptete, den Liebermann schon 1933 besessen zu haben. Auf diese Weise gelangen Hunderte Werke am Ende in den Besitz von Cornelius Gurlitt. Als dieser im Mai 2014 stirbt, vererbt er seinen Bilderschatz dem Kunstmuseum Bern.

Jüdischer Erbe erhält Bild zurück

Einlieferer zu der Londoner Auktion ist der New Yorker Anwalt David Toren. Die Erinnerung an Liebermanns "Zwei Reiter am Strand" haben den 89-Jährigen sein Leben lang begleitet. Es hing in der Villa seines Großonkels David Friedmann. "Das Gemälde habe ich zum letzten Mal einen Tag nach der Reichskristallnacht, also am 10. November 1938, gesehen", erzählte Toren im Interview mit der Deutschen Welle. "Mein Vater wurde am frühen Morgen von der Gestapo verhaftet - so wie alle jüdischen Männer. Wir wussten, dass man ihn in ein KZ schicken würde." Der 14-Jährige saß in dem kleinen Zimmer, in dem der Liebermann hing. "Ich habe das Bild stundenlang angeschaut, denn ich sollte in dem Zimmer warten. Ich habe es immer gemocht, weil ich Pferde liebe."

Die Datenbank des "Lost art Centers" in Magdeburg hilft bei der Suche nach vermisster KunstBild: Screenshot

David Toren verklagte Deutschland und den Freistaat Bayern auf Rückgabe des Liebermann-Gemäldes. Eine finanzielle Entschädigung wollte er nicht: "Ich nehme kein Geld von diesen Menschen. Ich möchte das Bild zurück, weil es mir gehört und Teil meines Erbes ist", erklärte er 2014 ebenfalls der Deutschen Welle. "Ich möchte nicht, dass irgendjemand anderes es besitzt." Seine Haltung habe er jetzt geändert, schon weil es eine ganze Reihe von weiteren Nachfahren David Friedmanns gebe. "Ich bin 90 Jahre alt und blind", zitiert ihn Sotheby's. Er könne das Gemälde nicht mehr so schätzen, wie er es all die Jahre getan habe.

Zwillingsmotiv in deutscher Sammlung

Liebermanns Bild, das nun bei Sotheby's in London unter den Hammer gekommen ist, ist nur ein Exemplar des berühmten Reitermotivs. Ein Zwillingsbild, das allerdings ein Pferdebein weniger zeigt, besitzt der Düsseldorfer Kunsthändler Rainer M. Ludorff. Ludorff verfolgte die Londoner Auktion, hat aber selbst nicht mitgeboten. Der maximale Schätzpreis wurde vor der Auktion mit rund 800.000 tausend Euro angegeben. Das erachtete Ludorff für "unrealistisch" und behielt damit recht. Sechs Bieter ließen den Preis des Gemäldes um mehr als das Dreifache steigen: Am Ende wechselte es für rund 2,6 Millionen Euro seinen Besitzer. "Zu viel für jedes deutsche Museum", meint Ludorff.

Martin Faass, Leiter der Liebermann-Villa in Berlin-WannseeBild: Liebermann-Villa am Wannsee

Auch Martin Faass, Leiter der Liebermann-Villa in Berlin-Wannsee, die eine kleine, aber feine Sammlung von Gartenansichten des Künstlers besitzt, wollte kein Gebot abgeben. "Liebermanns Reitermotiv passt nicht in unser Beuteschema", scherzte er noch vor der Auktion. Schade fände er, wenn die "Reiter am Strand" nach ihrer "Irrfahrt" auf Jahre hinaus im klimatisierten Safe eines Kunstinvestors verschwänden. "Das widerspräche völlig dem Willen Liebermanns – der zeitlebens alles tat, um seine Bilder einem großen Publikum zu zeigen." Sein neuer Besitzer hat das Gemälde allerdings am Telefon ersteigert. Wer am anderen Ende der Leitung war und wo er seine neue Errungenschaft aufhängen will, blieb am Abend der Auktion unklar.

"Anwälte und Auktionshäuser machen Kasse"

"Nazi-Schatz" hatte das Münchner Magazin Focus nach dem "Schwabinger Kunstfund" vor drei Jahren getitelt. Sogar auf die Titelseite der "New York Times" und des britischen "Guardian" schaffte es der Sensationsfund von München. Auf CNN äußerte sich Jerry Saltz, Kunstkritiker der "New York Times", zur Zukunft der Kunstwerke und den Absichten derer, die Gurlitts Schatz am liebsten sofort aufteilen und dem Kunstmarkt zuführen wollten: "Ich bin traurig, das sagen zu müssen, aber die großen Gewinner dieser Sache werden Anwälte sein. Und die opportunistischen Auktionshäuser, die dazukommen und versuchen werden, Kasse zu machen."

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