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Musik

Rammsteins Liebesgrüße aus Moskau

Sertan Sanderson
3. August 2019

Ein Kuss geht um die Welt: Die neueste Provokation der deutschen Band Rammstein trifft den gesellschaftlichen Nerv Russlands. Dabei geht es den Musikern um mehr, als nur darum, Aufsehen zu erwecken.

Rammstein mit Best-of-Album auf Platz eins
Bild: picture-alliance/dpa

Zwei Männer küssen sich in Russland und schon gibt es Ärger. Denn schließlich existieren seit 2013 Gesetze im Land, die besagen, dass keine positiven Äußerungen über Homosexualität gemacht werden dürfen. Und solche Gesetze müssen in Wladimir Putins Russland natürlich streng eingehalten werden - egal, was die LGBTI Community Russlands, die in den letzten Jahren immer härter geächtet, belästigt und drangsaliert wird, davon halten mag. Zur Not werden oppositionelle Stimmen in Russland mit Gewalt zum Schweigen gebracht.

Doch handelt es sich bei den knutschenden Herren in dieser Woche nicht um irgendwelche Aktivisten oder ein süßes ausländisches Paar, das nichts von all dem wusste. Nein, es geht um die Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers von der Band Rammstein, einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Musikexporte in Russland. Deren zarte Geste auf der Bühne des Moskauer Luschniki Stadiums sorgte - wie zu erwarten - für viel Aufsehen.

Der Kuss, der die Gemüter bewegte, ging um die WeltBild: Instagram/rammsteinofficial

Homosexuelle Propaganda?

Bereits vor einer Woche gab es einen kleinen Skandal um die Band während eines Auftritts im polnischen Chorzow: unter Rammsteins Requisiten befanden sich Regenbogenflaggen und Schlauchboote - letzteres wohl, um Aufmerksamkeit auf Polens Migrationspolitik zu lenken.

Dass Rammstein gerne provoziert, ist schon seit über 20 Jahren bekannt, auch in Russland, wo die Band eine Ihrer größten Fangemeinden hat. Aber im digitalen Zeitalter, in dem solch gewagte Aktionen binnen weniger Momente um die Welt reisen und für die Ewigkeit fortbestehen, fallen auch die Reaktionen härter aus als zu anderen Zeiten.

Rammstein teilte den Kuss direkt nach dem Gig auf ihrem Instagram Account samt Kommentar auf Russisch: Россия, мы любим тебя - auf Deutsch: Russland, wir lieben Dich. Dass diese Nachricht es bis in den Kreml schaffte, dürfte die Metal-Band aus Berlin nicht gerade überrascht haben. Der Parlamentsabgeordnete Vitali Milonow rief Rammstein dazu auf, solche Auftritte in Russland künftig zu unterlassen.

"Wenn sie es für möglich halten, sich derartig aufzuführen, dann sollten wir es auch für möglich halten, uns von solchem Müll fernzuhalten", sagte Milonow auf Radio NSN - und setzte noch einen drauf, indem er die Fans der Band als "nicht normal" bezeichnete. Allerdings war Milonow auch einer der Initiatoren des Gesetzes gegen die sogenannte "homosexuelle Propaganda".

Reaktionen gehen um die Welt

Doch die Fans lassen sich das nicht ohne weiteres gefallen. Binnen zweier Tage gab es über 250.000 Reaktionen auf den Rammstein Schmatzer auf Instagram (darunter sehr viele auf Russisch), die von einfachen Kommentaren wie "Liebe" und einem dazu passenden Herzchen bis hin zu ausführlicheren Analysen reichen. Instagram-User elizavetavenetsianskaia zum Beispiel findet die Sache "großartig" und hofft, dass das Ganze keine negativen Konsequenzen nach sich zieht:

"Vielleicht hat das Küsschen ja nichts Besonderes symbolisieren sollen, und andere haben da einfach ihre eigene Bedeutung hineininterpretiert. Aber es war ein toller Teil der Show. Gott verbiete, dass Ihr deswegen verboten werdet", meint sie auf Instagram.

Ein anderer User namens iren_filini freut sich unterdessen auf den Rammstein-Auftritt in Sankt Petersburg und meint: "Wenn es heute in St. Petersburg keinen Kuss gibt, fühle ich mich beleidigt." User pavel_blacktown schrieb, der Kuss sei ein "hübscher, großartiger Zug gegen das homophobe Russland".

Es waren aber nicht alle begeistert von der Aktion. Manche Follower meinten, sie seien von der Band "enttäuscht" oder könnten, wie zum Beispiel @sadbowrie, solch ein "Benehmen nicht damit rechtfertigen, dass das typisch für Rammstein sei".

Andere wiederum meinten, wie zum Beispiel @twegeek auf Twitter, sie würden jetzt ihre Rammstein-Alben vernichten:

User nikishaeva__julia schrieb unterdessen auf Instgram "Ich habe mit Sicherheit nichts gegen Schwule, aber ich hätte nicht gedacht, dass meine Lieblingsgruppe aus Schwulen besteht."

Provokation als Programm

Ob solche Aussagen als homophob oder nicht eingestuft werden können, darüber lässt sich in Deutschland zumindest kaum streiten. Und vielleicht ist es gerade diese unterschwellige Homophobie, bei der Rammstein anecken möchte - und nicht bei irgendwelchen Gesetzen, die Karrierepolitiker wie Putin ohnehin meist nur unterstützen, um von der breiten Masse Zuspruch zu kriegen.

Provokation als Program: Rammstein spricht Themen an, die bei vielen Menschen Reaktionen hervorrufen.Bild: YouTube - Rammstein Official

Denn Beleidigungen wie "Weg mit Schwulen von der Bühne" von agzhansu oder "Fuck you, alte Schwuchteln: In unserem Land gelten unsere Regeln" von mihafrukt würden Frontmann Till Lindemann und co ohnehin kaum interessieren. Das ist zu konkret, zu direkt, zu unreflektiert für Rammstein. Die Metal Band legt viel mehr Wert auf Symbolik und Metaphern, sucht auch in ihren Musikvideos immer wieder nach raffinierten Wegen, um gesellschaftlichen Gesprächsstoff zu liefern.

Wer die Musik und die Philosophie Rammsteins auch nur annähernd verstehen und lieben lernen möchte, muss da schon ganz andere Ansprüche stellen. Seit über zwei Jahrzehnten lässt sich die Band partout nicht festlegen, sucht immer wieder nach neuen Wegen, um die Menschen zu provozieren und zum Nachdenken zu bringen und ist dabei sogar bereit, dass gesamte politische Spektrum zu thematisieren, ob nun Hakenkreuz und KZ oder doch eher Regenbogenflagge.

Keyboarder Christian "Flake" Lorenz brachte die Essenz Rammsteins im Juni wie folgt im Musikmagazin "Rolling Stone" auf den Punkt: "Wir wollen provozieren, Leute in Bewegung bringen. Das ist das Gegenteil von Entertainment. Wenn man das Publikum unterhalten will, hat man in meinen Augen den Endpunkt der Kunst erreicht. Dann kann man eigentlich auch aufhören."

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