Lindemann tourt ohne Rammstein
4. Februar 2020Ihre Zusammenarbeit war schon beim ersten Album fruchtbar. Till Lindemann und Peter Tägtren - schwedisches Allroundtalent - brachten 2015 "Skills in Pills" heraus, eine solide Metal-Platte mit dem typischen Lindemann-Gesang. Allerdings auf Englisch. Die beiden wollten vermeiden, dass sie zu sehr in die Nähe von Rammstein gestellt werden. Sie wollten damals etwas Eigenständiges machen, zumindest musikalisch.
Denn inhaltlich hatte Till Lindemann damals sein komplettes Gruselkabinett aufgefahren - und sich damit teils auch selber durch den Kakao gezogen. Allerdings durch eine dickflüssige, schleimige Masse, in der es vor Blut, Schweinen und Maden nur so wimmelte. Die Kritiken waren größtenteils freundlich - und die Fans kauften die Platte auf Platz 1 der deutschen Albumcharts. Ziemlich erfolgreich für ein Projekt, das zunächst aussah wie eine einmalige Aktion zweier Freunde, die Lust hatten, Musik miteinander zu machen.
Rückzug ins Metal-Studio
Obwohl das Jahr 2019 für Till Lindemann mit dem neuen Rammstein-Album "Deutschland" und der großen Stadion-Tour durch Europa zum Bersten voll war, fand er Zeit, sich zu seinem Freund und Seelenverwandten Peter Tägtgren zurückzuziehen, in dessen "Abyss"-Studio in einem kleinen Dorf in der Nähe von Stockholm. Ein ruhiges Haus direkt am See, das seit vielen Jahren ein Mekka für Metal-Bands ist. Hier haben schon Amon Amarth produziert, Sabaton, Amorphis, die Tägtgren-Bands Hypocrisy und Pain, und Lindemanns erstes Album ist hier auch entstanden.
Auf dem neuen Werk "F & M" singt Till Lindemann deutsch. So wie man ihn kennt. Entstanden war der Sinneswandel durch die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Thalia-Theater vor einem Jahr. Für eine moderne und sehr düstere Version des Märchens "Hänsel und Gretel" wurden Lindemann und Tägtgren für die Musik verpflichtet. Das hat sie zu weiteren Songs inspiriert: "Wir schrieben einen Song nach dem anderen, wir waren plötzlich wie entfesselt", sagte Lindemann in einem Interview mit dem "Tagesspiegel". Und so ist eine neue Platte daraus geworden.
"Ein irrsinniger Jahrmarkt"
Und die zeigt eine enorme Bandbreite. In erster Linie rockig. Viele Songs hauen - wie sollte es anders sein bei Metal-Guru Tägtgren und Rammstein-Sänger Lindemann - direkt auf die zwölf. Sägende Gitarren, pumpendes Schlagzeug, fette Keyboard-Sounds in Songs wie "Ich weiß es nicht", "Steh auf" oder "Allesfresser". "Mathematik" ist ein dickes Elektronik-Brett, das bereits Ende 2018 zusammen mit dem Deutsch-Rapper Haftbefehl veröffentlicht wurde.
Einen "irrsinnigen Jahrmarkt", nennt Lindemann das, was er und Tägtgren auf dieser Platte entfesselt haben - bis hin zu Tango und Oper. Till Lindemann ist unverkennbar in seinem Element, sein typischer Sprechgesang mit dem rollenden "r" wechselt sich mit Flüstern, Schreien, auch Trällern ab. Melodischer und abwechslungsreicher als bei Rammstein sind sowohl Lindemanns Stimme als auch das Arrangement, das Multitalent Tägtgren - wie schon bei der ersten Platte - nahezu komplett alleine eingespielt hat.Die Themen sind bekannt: Lindemann nimmt uns mit auf die dunkle Seite der menschlichen Psyche. Die Titel lauten "Blut", "Allesfresser", "Gummi", "Schlaf ein" - wer Lindemanns Texte kennt, kann sich eine Vorstellung davon machen, um was es in diesen Liedern geht.
Lindemann am Lagerfeuer
Und dann kommt mittendrin ein Lagerfeuer-Song. In "Knebel" wird hübsch zur akustischen Gitarre gesungen, aber irgendwas stimmt natürlich nicht - was sich nach zweieinhalb Minuten sehr deutlich herausstellt. Till Lindemann in seinem Element, als Schocker, Psychopath, zerstörtes Gemüt. Das Video dazu ist auf Youtube an mehreren Stellen zensiert.
Die deutschen Termine der Lindemann-Tour 2020 waren binnen Minuten ausverkauft. Die Konzerte in den eher kleineren Hallen (3.000 - 5.000 Leute) versprechen ein intensives Erlebnis, es entsteht viel mehr Nähe zur Band als bei den Rammstein Stadion-Konzerten. Lindemann und Tägtgren haben sich im Herbst vergangenen Jahres in Tägtgrens "Abyss"-Studio verschanzt, wo sie für die bevorstehende Tour übten, die heute (4.2.2020) startet und durch deutsche Städte sowie durch Stockholm, Helsinki, Prag, Wien, Zürich, Paris, London und im März nach Russland und in die Ukraine führt.