Lindners Rücktritt überrascht Koalition
14. Dezember 2011So schnell und so überraschend ist selten eine politische Karriere in Deutschland zu Ende gegangen. Wenige Wochen vor seinem 33. Geburtstag erklärte Christian Lindner am Mittwoch (14.12.2011) seinen Rücktritt vom Amt des Generalsekretärs der Freien Demokraten (FDP). Einen konkreten Grund für seine Entscheidung nannte der gebürtige Rheinländer in seiner knapp zweiminütigen öffentlichen Erklärung in der Berliner FDP-Zentrale nicht. Es gebe den Moment, "in dem man seinen Platz freimachen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen", sagte Lindner. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen hätten ihn in dieser Einschätzung bestärkt.
Knackpunkt Mitgliederentscheid?
Offenkundig meinte er damit die von ihm und FDP-Chef Philipp Rösler ausgelösten Irritationen im Zusammenhang mit dem Mitgliederentscheid über den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM). Der umgangssprachlich als "Euro-Rettungsschirm" bezeichnete Maßnahmen-Katalog zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung und Eindämmung der staatlichen Schuldenkrise wird von einer Gruppe um den FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler vehement abgelehnt. Obwohl die schriftliche Abstimmung noch nicht abgeschlossen war und das Ergebnis des Mitgliederentscheids frühestens am Freitag bekannt gegeben werden soll, hatten Lindner und Rösler schon von einem Scheitern der Euro-Skeptiker gesprochen.
Dass die Kritik an dieser Vorgehensweise der Grund für Lindners Rücktritt sein könnte, wird innerhalb wie außerhalb der FDP bezweifelt. Womöglich war sie der Auslöser für seine Entscheidung. Denn trotz aller Anstrengungen war es dem programmatisch und rhetorisch hochbegabten Shootingstar während seiner zwei Jahre währenden Amtszeit als Generalsekretär nicht gelungen, den Niedergang der Liberalen aufzuhalten oder gar umzukehren. Seit ihrem 2009 errungenen besten Ergebnis bei einer Bundestagswahl (14,6 Prozent) und der nach elf Jahren in der Opposition erfolgten Rückkehr in die Regierung geht es mit der Partei bergab.
Seit Monaten im Umfrage-Tief
Bei mehreren Landtagswahlen flog die FDP aus dem Parlament. Zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl müssen die Liberalen ernsthaft um ihre politische Existenz bangen. In Umfragen liegt die Partei seit langem unter der Fünf-Prozent-Klausel, sie würde also den Einzug ins Parlament verpassen. Vielleicht ist es diese Dauerkrise, der Christian Linder nun Tribut zahlen musste. So lässt sich auch seine Erklärung interpretieren, er lege sein Amt "aus Respekt vor meiner Partei und meinem eigenen Engagement für die liberale Sache" nieder. Damit ermögliche er dem FDP-Bundesvorsitzenden Philipp Rösler, die wichtige Bundestagswahl 2013 mit einem neuen Generalsekretär vorzubereiten und mit neuen Impulsen zu einem Erfolg für die FDP zu machen.
Partei-Chef Rösler reagierte prompt und nominierte den Bundestagsabgeordneten Patrick Döring zu Lindners Nachfolger als Generalsekretär. Auf die offizielle Bestätigung muss der 38-jährige FDP-Schatzmeister bis zum nächsten Bundesparteitag im April 2012 in Karlsruhe warten. Erst dann kann er, der Partei-Satzung entsprechend, von den Delegierten gewählt werden.
Unmittelbare Auswirkungen auf die Regierungskoalition mit den Konservativen (CDU/CSU) dürfte der plötzliche Abgang Linders kaum haben. Unruhe innerhalb der FDP ist Bundeskanzlerin Angela Merkel schon gewöhnt. Lange Zeit war es die Kritik an der Amtsführung ihres Außenministers Guido Westerwelle, der bis Mai 2011 zehn Jahre lang der FDP als Vorsitzender seinen Stempel aufdrückte. Schon unter Westerwelles Führung übernahm Lindner kommissarisch den aufreibenden Job des Generalsekretärs, weil sein Vorgänger Dirk Niebel als Entwicklungsminister ins Kabinett gewechselt war. Der neue Partei-Vorsitzende Philipp Rösler hielt an Linder fest.
Die "Boygroup" ist gesprengt
Auch Rösler, der inzwischen Bundeswirtschaftsminister und Stellvertreter von Regierungschefin Angela Merkel geworden ist, zählt mit 38 Jahren zur sogenannten "Boygroup" der FDP. Dritter im Bunde ist Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (35). Mit frischem Wind wollte dieses Trio den Liberalen ein neues Image verpassen. Auf den Jungen ruhten die Hoffnungen, der Partei die oft nachgesagte Kälte nehmen zu können. Was sie darunter verstehen, kann man in einem von Lindner und Rösler 2009 herausgegebenem Buch nachlesen. Der Titel klingt betont programmatisch: "Freiheit: gefühlt – gedacht – gelebt".
Trotz seines spektakulären Rücktritts vom Amt des Generalsekretärs will Christian Linder politisch aktiv bleiben. Sein Bundestagsmandat wolle er behalten und "weiter aus Überzeugung für den politischen Liberalismus kämpfen". Der werde in Deutschland dringender denn je gebraucht und habe nur eine politische Heimat, die FDP, ergänzte Linder.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Nils Naumann