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Politik

Lindners neue Russland-Politik

Kay-Alexander Scholz
7. August 2017

FDP-Chef Christian Lindner hat für Wirbel in der deutschen und russischen Öffentlichkeit gesorgt. Er plädiert für eine Neubewertung der Krim-Frage - und erntet zum Teil heftige Kritik aus der deutschen Politik.

Deutschland Berlin Bundespressekonferenz FDP
Bild: Reuters/H. Hannschke

"Ich befürchte, dass man die Krim zunächst als dauerhaftes Provisorium ansehen muss." Nein, er wolle sich nicht damit abfinden, dass Russland einen Teil der Ukraine annektiert hat, so Christian Lindner. "Aber diesen Konflikt wird man einkapseln müssen, um an anderen Stellen Fortschritte zu erzielen." Diese Sätze des FDP-Chefs, am Wochenende veröffentlicht in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, haben zu heftigen Reaktionen in Deutschland geführt. Kein Wunder, denn der Tabubruch, von dem Lindner im Interview sprach, war auch einer.

Der FDP-Chef rüttelt an einer Maxime deutscher Außenpolitik der vergangenen Jahre unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier - dem Verhältnis zu Russland. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim dürfe nicht akzeptiert werden, so Merkel in der Vergangenheit.

Die "Huffington Post" nahm Lindners Krim-Vorstoß zum Anlass, ausführlich über die Reaktionen in Moskau zu berichten. Danach werde der FDP-Chef - und zwar wegen seiner Abkehr von der bisherigen Politik - regelrecht gefeiert. Doch Lindner hat, das hat man in Russland missverstanden, in der deutschen Außenpolitik nichts zu sagen.

Haltung der Bundesregierung unverändert

Die Bundesregierung meldete sich am Montag zu Wort. Die Äußerungen von Lindner "stehen für sich", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin, Ulrike Demmer, in der Bundespressekonferenz. Die Distanzierung begründete Demmer unter anderem mit einem Zitat der Bundeskanzlerin aus dem Jahr 2014. Merkel habe sich damals gegen eine militärische und für eine diplomatische Lösung der russisch-ukrainischen Krise ausgesprochen. 

Diese Haltung der Bundesregierung sei unverändert, sagte Demmer. Auch in der Frage von Russland-Sanktionen, die unter anderem wegen der Krim-Annexion verhängt worden seien, gebe es keine neue Sichtweise.

Außenamtssprecher: Die Russen wollen nicht über die Krim reden

Zwar wird über die Ostukraine seit Juni 2014 im sogenannten Normandie-Format zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland immer wieder gesprochen. Doch ein wichtiger Teil des Konflikts, nämlich die Krim-Frage, wurde dabei bisher immer ausgeklammert. "Hätten wir damals über die Krim reden wollen, hätten wir keine Gesprächspartner gefunden", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer, in der Regierungspressekonferenz, "weil die Russen gar nicht bereit sind, mit uns über dieses Thema zu verhandeln". Das sei heute sicherlich nicht anders als damals. Und auch aus deutscher Sicht gebe es dazu gar nichts zu sagen, so Schäfer weiter.

Das Normandie-Quartett: Angela Merkel, Wladimir Putin, Petro Poroschenko und Francois Hollande im Oktober 2015Bild: Reuters/M. Palinchak

Lindners Einschätzung, den "Konflikt wird man einkapseln müssen, um an anderen Stellen Fortschritte zu erzielen", ist vom Vorgehen des Außenministeriums so weit also gar nicht entfernt.

Auf die Frage, wie der Zustand der Krim denn nun überhaupt verändert werden könne, sagte Schäfer lediglich, dass bei jeder sich ergebenden Gelegenheit deutlich gemacht werde, dass die Annexion ein Bruch mit geltendem Recht sei. Außerdem würden die Sanktionen von Deutschland im Rahmen der EU angepasst.

Etwas weiter geht der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler. Das Thema Krim sollte im gemeinsam europäischen Vorgehen erst in einem späteren politischen Prozess auf die Tagesordnung gebracht werden. "Es wäre hilfreich, wenn sich auch Herr Lindner an diese Verabredung hielte", sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke-Gruppe. 

Moral und Realpolitik

Eine der schärfsten Reaktionen auf den Tabubruch kam vom Grünen-Chef Cem Özdemir. Er warf Lindner vor, "eine neue Koalition der Diktatorenfreunde" zusammen mit der traditionell russlandfreundlichen Linkspartei vorzubereiten.

Dabei ist die Bundesregierung selbst, wie schon seit Jahrzehnten, trotz aller Konflikte an einem guten Verhältnis zu Russland interessiert. Eine Tradition deutscher Außenpolitik lautet, immer im Gespräch zu bleiben, gerade auch wenn es kompliziert ist.

Wahlkampf in Deutschland!

Neues Denken - Die FDP hofft auf den Wiedereinzug in den BundestagBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

In der FDP selbst, so ist zu hören, sind nicht alle von Lindners Vorstoß begeistert. Schließlich heißt es im Wahlprogramm der FDP: "Wir Freie Demokraten fordern die russische Regierung auf, die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim ... unverzüglich zu beenden." 

Die Reaktionen der Wähler auf einen Tabubruch sind in der Regel schwer vorhersehbar: Fühlen sich davon mehr Wähler ermutigt oder abgeschreckt? Für die Liberalen kann wenig darüber entscheiden, ob sie wieder im Bundestag vertreten sein werden oder sogar eventuell Partner einer Regierungskoalition. In Umfragen scheint derzeit eine schwarz-gelbe Mehrheit möglich.

"Von Putin-Versteherei kann überhaupt keine Rede sein", sagte EU-Parlamentsvize Alexander Graf Lambsdorff der "Welt". Lindner habe "deutlich gemacht, dass wir die Krim-Frage nicht als einzigen Aufhänger dafür nehmen wollen, ob man mit Russland redet oder in einzelnen Fragen kooperiert". Lambsdorff lehnte sich damit an die offizielle deutsche Politik an. Doch er verwies auch auf den derzeitigen Bundestagswahlkampf: Lindner sei "absichtlich falsch verstanden" worden.

Auf Twitter hagelt es Kritik. Die FDP wird als nicht mehr wählbar oder nicht regierungsfähig kritisiert. 

In anderen Tweets wird der FDP Populismus vorgeworfen, oder es werden Vergleiche zur AfD gezogen. Die AfD selbst wirft Lindner vor, aus ihrem Wahlprogramm abgeschrieben zu haben. Schließlich tritt gerade AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland seit langem für eine andere Russland-Politik ein. 

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