Linken-Parteitag lehnt bedingungsloses Grundeinkommen ab
20. Oktober 2024Nach jahrelanger Diskussion hat sich die Linke vorerst gegen den Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen gestellt. Gemeint ist damit eine „existenzsichernde" Zahlung vom Staat, die alle Bürger unabhängig vom eigenen Job oder von ihrer Bedürftigkeit bekommen würden. Der Bundesparteitag der Linken in Halle lehnte es mit deutlicher Mehrheit ab, die Forderung nach einem solchen Grundeinkommen ins Parteiprogramm aufzunehmen.
Gegen das Grundeinkommen hatte unter anderem die neue Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner argumentiert. Sie plädierte stattdessen für eine "sanktionsfreie Mindestsicherung". Der Unterschied ist, dass diese nur Bedürftigen zugutekäme. Beträge wurden in dem Antrag des Parteivorstands nicht genannt, Studien gehen aber von einem existenzsichernden Betrag von etwa 1200 Euro monatlich aus, Kinder möglicherweise die Hälfte. Die Kosten werden auf dieser Basis mit gut eine Billion Euro im Jahr geschätzt, wobei es je nach Ausgestaltung eine erhebliche Spannbreite gibt.
Pro und contra
Gegner des Grundeinkommens argumentierten auch mit den hohen Kosten der Pauschalzahlung für alle Menschen. Auch wurde kritisiert, dass eine Multimilliardärin wie Susanne Klatten denselben Betrag erhalten würde wie eine Alleinerziehende mit einem sehr geringen Einkommen. Dies sei ungerecht.
Befürworter argumentierten, dass das Grundeinkommen allen Menschen ohne Ängste und Bedarfsprüfungen ein existenzsicherndes Einkommen sichern würde. Sie führten zudem an, dass sich die Mitglieder 2022 in einer Abstimmung für das Konzept entschieden hatten. Der Parteivorstand sah sich daher verpflichtet, die Aufnahme ins Linken-Programm auf einem Parteitag zur Abstimmung zu stellen. Schwerdtner sagte zu, das Thema bei einer Programmdiskussion nach der Bundestagswahl erneut aufzugreifen.
Neues Führungsduo
Bereits am Samstag hatte die Partei mit neuem Spitzenpersonal einen Neustart ausgerufen. Die Journalistin Ines Schwerdtner und der frühere Bundestagsabgeordnete Jan van Aken sind die neuen Vorsitzenden der Linken. Die Doppelspitze wurde bei einem Bundesparteitag in Halle mit großer Mehrheit gewählt. Die beiden folgen auf Martin Schirdewan und Janine Wissler, die sich nach einer Serie von Wahlschlappen zurückziehen.
Die Partei sei "viel lebendiger, als die Wahlen es zeigen", an der Basis sei "so viel Energie, so viel Feuer", gab sich van Aken kämpferisch. Bei seiner Vorstellung sagte der 63-jährige Biologe, er wolle der Mehrheit im Land eine Stimme geben und sich mit den "unanständig Reichen" anlegen. Die Linke solle wieder Hoffnung machen. Schwerdtner sagte in ihrer Bewerbungsrede: "Wir sind das Gegenteil von Angst, wir sind die Hoffnung." Nötig seien für die Linke Klarheit, Fokus und Glaubwürdigkeit, betonte die 35-Jährige, die erst im Sommer 2023 in die Partei eingetreten war. Sie wünsche sich eine Linke, die auch eine Stimme des Ostens sei.
Van Aken und Schwerdtner kündigten nach ihrer Wahl an, mit Freiwilligen in den nächsten Wochen an Hunderttausenden Haustüren zu klingeln. Die Menschen sollten ihre konkreten Nöte und Wünsche schildern, ob Miete, hohe Preise oder die Schließung eines Krankenhauses. Die Antworten würden systematisch ausgewertet, sagte van Aken. Danach werde die Linke über ihre beiden Fokusthemen für den Wahlkampf entscheiden. Das könnten etwa Mietendeckel oder Bürgerversicherung sein.
Partei in der Krise
Mit der neuen Doppelspitze reagiert die Linke auch auf die "existenzbedrohende Situation". Diese Diagnose findet sich auch im Leitantrag zum Parteitag, der am Samstag beschlossen wurde. Seit der Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) im Herbst 2023 und dem damit einhergehenden Verlust des Fraktionsstatus' im Bundestag ging es für die Linke in der öffentlichen Wahrnehmung bergab. Dazu kam das schlechte Abschneiden bei der Europawahl sowie den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In bundesweiten Umfragen hängt die Linke ebenfalls unter der Fünf-Prozent-Hürde fest.
Aber auch an innerparteilichen Streitigkeiten und unterschiedlichen Positionen zum Nahost-Konflikt rieb sich die Partei auf. Ganz anders entwickelte sich hingegen das BSW: Dieses holte aus dem Stand gut sechs Prozent bei der Europawahl und jeweils zweistellige Ergebnisse in den drei Bundesländern. Angesichts der akuten Existenzkrise hat sich die Partei zum Ziel gesetzt, 2025 wieder in den Bundestag einzuziehen.
Aufruf zur Geschlossenheit
Schluss mit dem oft quälenden innerparteilichen Streit - dies forderten fast alle Rednerinnen und Redner auf dem Parteitag. Das Linken-"Urgestein" Gregor Gysi beispielsweise sieht in diesem und der "Selbstbeschäftigung" der Partei Gründe für die Krise der Linken. Ihm gehe diese Selbstbeschäftigung "auf die Ketten", sagte auch Thüringens scheidender Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Die neugewählte Parteispitze rief deshalb zu mehr Geschlossenheit auf. "Wenn ihr mich wählt, dann kriegt ihr nicht nur den netten Jan von nebenan", betonte van Aken, sondern auch "jemand, der sehr klar sagt: Ab sofort ist Schluss mit Zoff". Probleme müssten künftig intern im Gespräch geklärt werden.
Ein erstes Zeichen von mehr Geschlossenheit zeigte die Partei bereits bei der Debatte um den Krieg im Nahen Osten - ein Thema, bei dem die Positionen teilweise weit auseinandergehen. Auf dem Parteitag diskutierten die Delegierten hitzig über mehrere Anträge, die vorrangig pro-palästinensische Positionen vertraten und in denen von einem Existenzrecht Israels nicht die Rede war. Der Partei gelang es jedoch schließlich, sich auf einen Konsens-Antrag zu einigen - und das mit großer Mehrheit. Die Linke fordert in diesem "einen sofortigen Waffenstillstand in Israel und Palästina", wendet sich aber auch gegen Antisemitismus in jeder Form.
Zu dem Beschluss trug maßgeblich van Aken bei, der zuletzt für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv arbeitete. Damit bestand der neue Parteivorstand seine erste Feuertaufe. Die Linke habe mit ihrer Einigung gezeigt, dass sie "sehr, sehr stark" sein könne, "wenn sie geeint und geschlossen und gemeinsam zusammensteht", betonte Schwerdtner.
kle/sti/haz (afp, dpa)