Linksterror der RAF: Gelingt Deutschland weitere Aufklärung?
11. April 2024Es war die spektakulärste Festnahme seit Jahrzehnten im Zusammenhang mit den Linksterroristen der "Roten Armee Fraktion" (RAF): Nach Hinweisen aus der Bevölkerung klingelten Zielfahnder aus Niedersachsen am Montag, dem 26. Februar 2024, in einem Mietshaus in Berlin-Kreuzberg. Die Frau, die sie dort ohne Widerstand verhafteten, war die 65 Jahre alte Daniela Klette, Mitglied der früheren "Rote-Armee-Fraktion". Seitdem hoffen die Ermittler, viele bislang ungeklärte Straftaten der Linksterroristen aufklären zu können. Die RAF hatte bis in die 1990er Jahre in Deutschland Überfälle und Terroranschläge verübt.
Ermittler finden Panzerfaust, Gefechtsköpfe, Kalaschnikow-Gewehre
Die Ermittler fanden unter anderem: 40.000 Euro Bargeld, eine Panzerfaust mit Gefechtskopf, Pistolen und Kalaschnikow-Gewehre. Während der Festnahme kam es offenbar zu einer peinlichen Panne: Die Beamten erlaubten Klette wohl, zur Toilette zu gehen. Per Handy warnte sie ihren mutmaßlichen Komplizen Burkhard Garweg.
Garweg, der sich bis dahin auch in Berlin aufhielt, und der dritte mutmaßliche Ex-Terrorist Ernst-Volker Staub sind seitdem verschwunden. Der Präsident des niedersächsischen Landeskriminalamtes Friedo de Vries sagte dazu der "Deutschen-Presse-Agentur" (dpa): "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die beiden aktuell in Ruhe ihre Tage verbringen. Wir sind fest entschlossen, Herrn Garweg und Staub festzunehmen."
Eine Waffe, vor 40 Jahren erbeutet
Die Waffenfunde sind der größte Erfolg der Ermittlungsbehörden seit vielen Jahren. Eine der Pistolen etwa stammt aus einem Überfall auf ein Waffengeschäft in Maxdorf in Rheinland-Pfalz im Jahr 1984 - vor 40 Jahren also. Die Beamten hoffen, weitere der gefundenen Waffen den Straftaten der RAF zuordnen zu können. Denn wer genau die Überfälle und Mordtaten beging, ist noch weitgehend ungeklärt.
Ziel des Hasses: Vertreter des verhassten Staates
Die sogenannte "dritte Generation" der Linksterroristen, der auch Klette und die jetzt Geflüchteten angehörten, hielt das Land zwischen 1984 und 1993 in Atem und tötete zehn Menschen. Besonderes Aufsehen erregten die Morde am Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen im Jahr 1989 und am Chef der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder 1991.
Die Treuhandanstalt war damals eine Behörde, die die Überleitung der staatlichen Betriebe der früheren DDR in die Marktwirtschaft organisieren sollte. Das waren typische Ziele der Terrorgruppe: Repräsentanten des verhassten kapitalistischen Staates.
RAF-Geschichte begann in den 1960er-Jahren
Drei Generationen von linksextremen Terroristen gab es in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihr Ziel zu Beginn, nach den Studentenrevolten Ende der 1960er Jahre: eine linke Revolution in Deutschland, ein Ende des US-Krieges in Vietnam. Die erste RAF-Generation um die Gründer Andreas Baader und Ulrike Meinhof verübte Anschläge auf Kaufhäuser und wurde inhaftiert.
Die zweite Generation machte es sich zum Ziel, die Gründer aus dem Gefängnis freizupressen. Sie beging Mitte der 1970er Jahre Morde etwa an dem damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dem Chef der Arbeitgeberverbände Hanns Martin Schleyer. Die dritte Generation, die bis zur Selbst-Auflösung der Terrorgruppe 1998 aktiv war, gab die meisten Rätsel auf: Sie verübte Anschläge, ohne entdeckt zu werden. Und die Mitglieder überfielen später Geldtransporte und Banken, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren, und blieben weiterhin unentdeckt. Bis jetzt.
Schauten die Behörden zu lange weg?
Nach Ansicht von Konstantin von Notz, dem Innenexperten der Grünen im Bundestag, nahmen die Sicherheitsbehörden die weiter bestehende Gefahr durch die RAF-Mitglieder nicht ernst genug. Es gab ja keine Attentate. So vergingen lange Jahre bis zur jetzigen Festnahme.
Von Notz sagt der DW: "Die durch sie begangenen Straftaten würden, so die Argumentation, allein der Geldbeschaffung zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts der Täter im Untergrund dienen. Eine weiterhin bestehende politische Tatmotivation wurde stets ausgeschlossen." Die Fahndungsplakate von Klette, Garweg und Staub zeigten jahrzehntealte Bilder. Alle drei schienen wie vom Erdboden verschwunden.
Bizarre Solidaritäts-Bekundungen für verhaftete Klette
Jetzt sitzt Klette im Frauengefängnis Vechta in Niedersachsen. Sie ist strikt von anderen Gefangenen isoliert. In ihrer Zelle wird sie rund um die Uhr per Video überwacht. Und sie schweigt zu allen Vorwürfen, wie schon viele gefasste RAF-Mitglieder vor ihr.
Nach ihrer Verhaftung gab es in mehreren Städten des Landes bizarre Solidaritäts-Demonstrationen für Klette. Am 9. März zogen rund 600 Personen in Berlin unter anderem vor die Wohnung der Frau, die zu dem Zeitpunkt bereits in Haft saß. Am 17. März gab es eine Demonstration in Vechta, wo sie im Gefängnis sitzt.
Für nächste Woche ist eine weitere Protest-Aktion in Vechta angekündigt. Für von Notz ist das ein Zeichen dafür, dass die Ideologie der Linksextremen immer noch Zulauf findet: "Schon die Funde in der Wohnung der Beschuldigten, aber auch Sympathiebekundungen aus der linksextremen Szene zeigen, dass durchaus noch eine erhebliche Gefahr von den Mitgliedern der dritten Generation der RAF ausgeht und ihre Taten von einigen Verwirrten noch immer nicht klar verurteilt werden."
RAF verübte 33 Morde in 22 Jahren
Mindestens 33 Morde verübte die Terrorgruppe zwischen 1971 und 1993. Im inneren Kern der Gruppe waren nach Expertenschätzungen jeweils bis zu 80 Menschen aktiv. In der gesamten Zeit bis zur Auflösung 1998 wurden rund 1000 Menschen wegen Unterstützung der Gruppe und etwa 500 wegen Mitgliedschaft verurteilt.
Schockiert war die Öffentlichkeit darüber, mit welcher Kaltblütigkeit auch Personenschützer, Fahrer oder Polizisten ermordet wurden. Hanns Martin Schleyer wurde am 5. September 1977 in Köln entführt, seine vier Begleiter wurden mit 119 Schüssen regelrecht hingerichtet.
26 Mitglieder der RAF-Führung wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Einige von ihnen sind wieder auf freiem Fuß, so Christian Klar, einer der führenden Köpfe der RAF in den 1970er Jahren. Er hat sich nie von seinen Taten distanziert.