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Transsexueller Widerstand aus Brasilien

1. Februar 2019

Die afrobrasilianische Performerin gilt als "verrückte schwarze Königin der Favelas". Eine energische Aktivistin in einem Land, das nach rechts gerückt ist. Jetzt ist sie in Berlin zu Gast - mit universeller Message.

Portrait Linn da Quebrada beim Konzert in Berlin 2019 im Hebbel am Ufer (Foto: Camille Blake/CTM Festival)
Bild: Camille Blake/CTM Festival

Gerade einmal einen Monat, nachdem der Dokumentarfilm "Bixa Travesty" über Linn da Quebradas Jugendjahre auf der Berlinale 2018 mit dem Teddy Award gefeiert wurde, erlebte die Queer-Bewegung in Brasilien einen schweren Schlag: Die afrobrasilianische Stadträtin Marielle Franco wurde im März 2018 in Rio de Janeiro erschossen. Aktivistin Quebrada, die gegen die traditionellen Rollen- und Machtverhältnisse anrappt, kämpft entschlossen weiter – und gab kürzlich ein ausverkauftes Konzert in Berlin.

Nur wenige Wochen nachdem der neu gewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro in seiner Antrittsrede versprach, "Gender-Ideologie zu bekämpfen" und LGBT-Menschen keine weiteren Rechte zu gewähren, wehrt sich Quebrada mit Nachdruck gegen politische Gewalt, wie sie während ihrer Berliner Show betonte. Sie kämpft gegen Zustände in einem Land, das der homosexuelle Abgeordnete Jean Wyllys kürzlich aus Angst um sein Leben verlassen musste.

Proteste in Brasilien

02:29

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Quebrada trägt einen engen Bodysuit, als sie am Sonntag (27. Januar) bei dem jährlich stattfindenden Festival CTM im Berliner "Hebbel am Ufer" (HAU) auftritt - die Betonung ihrer Figur wird zur Waffe. Das Haar kurz geschoren, rahmen aufgeklebte Glitzersteine ihr Gesicht und überdecken das Stacheldraht-Tattoo auf ihrer Stirn. An diesem Abend steht sie nicht allein auf der Bühne, sondern mit neun weiteren Musikern und Performern, unter ihnen ihre Weggefährtin und Jugendfreundin Jup do Barrio ("Black Queen Vocal").

"Meine Haut ist ein Umhang des Muts"

Beide starteten als Favela-Rapperinnen mit einer Mischung aus Funk Carioca und Hip-Hop, gemeinsam performen sie Texte wie "Meine schwarze Haut ist ein Umhang des Mutes" während sie gegen Transphobien in ihrem Land kämpfen, dem laut Trans Murder Monitoring 2016 mehr transsexuelle Personen zum Opfer gefallen sind als in jedem anderen.

Der Name Quebrada ist ein Wortspiel: Übersetzt aus dem Portugiesischen bedeutet er "zerbrochen", in São Paulo ist er ein Slang-Ausdruck für die armen und kriminellen Randbezirke der Megacities. Linn da Quebrada ist demnach die "Wundervoll Zerbrochene", Repräsentantin der queeren, schwarzen, armen und zerbrochenen Menschen in den Favelas von São Paulo.

Gerappte Pistolenschüsse
Den Durchbruch schaffte die Performerin und Schauspielerin Quebrada mit ihrem Debut-Musikvideo "Enviadescer" (2016). Mitgerissen von einem funkigen Carioca-Rhythmus drängt sie ihren männlichen Lover dazu, sich dem queeren Lifestyle anzuschließen. Mit geschminkten Lippen rappt sie direkt in die Kamera, umgeben von einer bunten Menge junger, queerer Tänzerinnen und Tänzer.

Mit "Bixa Preta" (2017), einer kraftvollen Antwort auf MC João's Macho-Hit "Baile de Favela" (2015), stilisiert sich Quebrada zu einer

"schwarzen Königin der Favelas". Der Song spielt lautmalerisch mit Pistolenschüssen, energisch, angriffslustig und ein Highlight der Live-Auftritte. Mit dem Song, der sogar im landesweiten TV-Sender Globo ausgestrahlt wurde, verleiht sie einer bisher marginalisierten Jugend eine Stimme. Ihr 2017 daraufhin veröffentlichtes Debut-Album "Pajubá" konnte sie dank Crowdfunding aufzeichnen und finanzieren.

Gender-Terrorismus

Im Anschluss an den Berliner Auftritt erzählt Quebrada der DW, dass sich der Titel ihres Albums auf einen Sprach-Kodex bezieht, der sich über Generationen in der brasilianischen Transgender-Bewegung entwickelt hat und Worte aus dem westafrikanischen Yoruba enthält. Schließlich sind Sprache wie auch Darstellung ein wichtiger Bestandteil der Marke Quebrada, die sich selbst als "Gender-Terroristin" bezeichnet.

Rapperinnen seit Jugendzeit: Quebrada (links) und Jup do Barrio beim Konzert in BerlinBild: Camille Blake/CTM Festival

Kaum ist der erste Song vorbei, hat sich das gesamte Publikum von den Theatersitzen des Berliner HAU erhoben und tanzt. Auf einer Videoleinwand werden die Liedtexte währenddessen ins Englische projiziert und richten sich an die wachsende internationale Zuhörerschaft. Als Quebrada "Come together trans and dykes" singt, formiert sich ihr Publikum zu einer regelrechten Front gegen Masochismus, Patriarchat und Männerprivilegien.

Unerschrockener Widerstand

Linn Da Quebrada: "Schwarze Königin der Favelas"Bild: NubeAbe

Angesichts der offenen Homosexuellen-Feindschaft, sowohl des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro, der sei "unfähig, einen schwulen Sohn zu lieben", als auch des US-Präsidenten Trump, der Transgender-Menschen vom Militärdienst ausschließt, erhebt sich die lang unterdrückte afrobrasilianische LGBT-Bewegung zum Widerstand gegen Rechtspopulisten.

Auf dem Album "Pajubá" kommt der frühere Hit "Enviadescer" düsterer und aggressiver daher. Mit diesem Song beendet Quebrada auch ihr Berliner Konzert und es klingt wie die globale Hymne einer Bewegung: "And now macho alpha, there is nowhere to run… I've already broken my closet, now I'm going to destroy you!" (Und jetzt, du masochistisches Alpha-Tier, gibt es keinen Ort mehr, an dem du dich verstecken könntest… Ich habe bereits meine Garderobe zerstört, jetzt werde ich dich zerstören).

Linn da Quebrada ist am Freitag, 1. Februar 2019, beim CTM-Festival bei einem Künstlergespräch zu hören, im Anschluss wird der preisgekrönte Dokumentarfilm "Bixa Travesty" gezeigt. Außerdem wird die Brasilianerin bei der Abschlussparty am 3. Februar ein DJ-Set spielen.

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