Das Streben nach Perfektion
29. Juli 2016DW: Lisa Brennauer, Ihr Beruf ist mit vielen Entbehrungen verbunden, Schmerzen gehören quasi zum Geschäft. Was treibt Sie an?
Lisa Brennauer: Radsport ist meine Leidenschaft, ich mache den Sport schon ganz lange. Ich liebe diesen Sport , den Wettkampf, die Geschwindigkeit, die Perfektion - das sind Sachen, die mich antreiben. Wenn man für ein großes Ziel hart gearbeitet hat und dann ganz oben auf dem Treppchen stehen kann, ist das die größte Belohnung, die man sich selbst bereiten kann.
Das hat bei Ihnen ja früh angefangen. Mit 13 Jahren haben Sie sich zum Geburtstag kein Spielzeug, sondern nur die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft gewünscht. Ein ungewöhnlicher Geburtstagswunsch für eine 13-Jährige...
Das stimmt. Ich wurde damals bayerische Meisterin und hatte mich somit für die Deutsche Meisterschaft qualifiziert. Den Meldeschluss hatte ich ursprünglich verpasst, aber meine Eltern haben es doch noch irgendwie für mich geregelt. Auch, weil ich bei ihnen so lange rumgebohrt hatte. Die Deutsche Meisterschaft fand in Hildesheim statt, von meiner Heimat im Allgäu ein ganzes Stück entfernt. Dann bin ich mit meinem Vater mitten in der Nacht dorthin losgefahren. Ich habe kaum geschlafen, aber das war mir das egal. Ich wollte zur DM. Ich bekam in diesen Jahren enorm viel Unterstützung von meinen Eltern.
War es immer Ihr Ziel, Radprofi zu werden?
Das war es. Ich habe mich über die Juniorenklasse gut entwickelt, bin Juniorenweltmeisterin geworden, und habe an mich geglaubt. Ich habe dann mein Abitur gemacht und parallel etwas Zeit gebraucht, bis ich in der Elite richtig Fuß fassen konnte. Das große Ziel aber habe ich nie aus den Augen verloren. Und das hat mich soweit gebracht, dass ich jetzt zum zweiten Mal zu den Olympischen Spielen fahren darf.
In London 2012 waren Sie schon als junge Fahrerin dabei. Wie haben Sie Olympia vor vier Jahren erlebt?
London war für mich wirklich ein wahnsinnig großes Event. Das sind ganz besondere Momente, wenn ich zum Beispiel an den Einmarsch denke. Davon wird man sein ganzes Leben noch zehren und auch strahlen. Für mich war das wirklich ein ganz großes Highlight.
Jetzt wartet Rio. Was erwarten Sie von den Spielen dort?
Ich erwarte eine tolle Stadt und bin sehr gespannt auf das olympische Dorf und wie die Bevölkerung auf Olympia reagiert. Ich freue mich auf all die Menschen, die als Fans, Familien und Freunde dorthin reisen, um ihre Liebsten zu unterstützen. Ich denke, es wird eine tolle Zeit.
"Mir gefällt beim Zeitfahren der Kampf gegen einen selbst"
Gute Medaillenchancen haben sie vor allem in ihrer Lieblingsdisziplin, dem Einzelzeitfahren. Was ist eigentlich so schön daran, eine Stunde alleine an die Schmerzgrenze gehen?
Mir gefällt alles am Zeitfahren: die intensive Vorbereitung, das Abfahren der Strecke, das Studium der Ideallinie, die Frage nach der richtigen Strategie, das Equipment und einfach der Kampf gegen die Uhr - und gegen mich selbst. Man muss hierfür schon ein Perfektionist sein. Es geht da, wie bei der Formel 1, um kleine Sachen: hier ein paar Watt sparen, da etwas Zeit gut machen. Man kann bei einem Zeitfahren nur wenige Fehler wettmachen, es muss alles nahezu perfekt sein. Und das ist es, was ich so spannend finde.
"Perfekt" sagen sie ziemlich oft. Wie fährt man das perfekte Rennen?
Man braucht beim Zeitfahren einen richtig guten Tag und gute Beine, sonst geht es nicht. Aber die Leistungsdichte ist so hoch. Wenn man eine Kurve zu langsam fährt oder an einem bestimmten Punkt über sein Limit geht, kann man das am Ende nicht mehr korrigieren. Das Streben nach Perfektion muss man mögen, um beim Zeitfahren erfolgreich zu sein.
Ihr Kollege Tony Martin war geschockt, als er zum ersten Mal den Zeitfahr-Parcours in Rio sah. Was denken Sie über die Strecke, und welche Chancen haben Sie?
Ich war auch ein wenig geschockt. Ich muss ehrlich sagen, dass ich so ein schweres Zeitfahren noch nie gefahren bin. Deswegen ist es schwer, eine Prognose abzugeben. Ich habe mich bestmöglich darauf vorbereitet und habe mit meinem kompletten Zeitfahr-Equipment viel an Anstiegen trainiert, wie sie mir in Rio begegnen werden. Und ja: Jeder Sportler, der zu Olympia kommt, hat den Traum, einmal ganz oben zu stehen. Ich habe hart gearbeitet und kann nur hoffen, dass ich zwei wirklich gute Wettkampftage habe. Dann ist wirklich alles möglich.
Sie arbeiten auch mit einem Sportpsychologen zusammen. Kann das im Rennen den Unterschied machen?
Die Arbeit mit meinem Mentalcoach ist enorm wichtig. Er hat mir in diesem Jahr schon oft geholfen. Ich denke, dass im Leistungssport sehr viel im Kopf entschieden wird. Und wenn der Kopf in die richtige Richtung will, dann wollen das die Beine meistens auch.
Sie haben mal gesagt, dass Sie im Wettkampf alles andere um sich herum ausblenden können. Wie machen Sie das?
Das hat etwas mit Zielsetzung zu tun. Während eines Zeitfahrens muss man so sehr in sich hineinhören, dass es nicht schwerfällt, alles andere auszuschalten. Ich werde mir natürlich in Rio die Strecke ganz genau anschauen, sodass ich sie dann hoffentlich fast blind kenne.
Angesichts der jüngsten Dopingskandale stellen einige Athleten die Chancengleichheit in Rio in Frage. Haben Sie das Gefühl, dass alles für faire Wettkämpfe getan wird?
In meiner Situation als Sportler kann ich nur hoffen, dass in Sachen Doping die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Ich glaube natürlich auch an den sauberen Sport und glaube daran, dass es auch in Rio so sein wird.
Russland und Olympia: "Problematisch, alle über einen Kamm zu scheren"
Sollten ihre russische Konkurrentinnen angesichts der Enthüllungen zum russischen Staatsdoping in Rio dabei sein oder nicht?
Schwierige Frage. Ich finde es sehr problematisch, alle über einen Kamm zu scheren. Ich hoffe, dass die Vorwürfe zu 100 Prozent überprüft werden. Es tut mir leid für die Sportler, die nicht Teil eines solchen Systems sind und dann auch mit betroffen sind, aber das ist meine persönliche Sicht.
Der Radsport in Deutschland erlebt derzeit wieder einen Aufschwung zumindest bei den Männern. Wie sieht es mit dem Frauenradsport aus?
Der Frauenradsport ist ebenfalls im Aufwind - auch auf internationaler Ebene. Es gibt seit diesem Jahr zum Beispiel die Women‘s World Tour. Damit versucht der Weltverband, den Frauenradsport nachhaltig zu fördern. Eine wichtige Bedingung ist dabei, dass es TV-Übertragungen gibt. Ich hoffe natürlich auch für den deutschen Radsport, dass wir an diesem Aufschwung mitwirken können. Neulich wurde ja die neue Deutschland-Tour vorgestellt, und ich erhoffe mir, dass der Frauenradsport dort ebenso eine tragende Rolle spielen darf.
Lisa Brennauer, geboren 1988 im bayerischen Kempten, ist seit 2009 Radprofi und steht vor ihren zweiten Olympischen Spielen. Spätestens seit ihrem Weltmeistertitel 2014 gilt die 28-Jährige in ihrer Paradedisziplin Einzelzeitfahren als heiße Kandidatin auf Gold. Die Konkurrenz der Sportsoldatin aus dem Allgäu ist allerdings stark, und der 29,8 Kilometer lange Parcours nahe Rio gilt als der schwerste in der Olympia-Geschichte.
Das Interview führte Joscha Weber.