Lise Klaveness: "Der Fußball ist in einer kritischen Phase"
3. April 2025
Lise Klaveness ist sich der Wichtigkeit des Augenblicks im Weltfußball durchaus bewusst. Deshalb fordert sie auch andere Führungspersönlichkeiten dazu auf, ihn zu ergreifen. Die ehemalige norwegische Nationalspielerin wurde am heutigen Donnerstag als zweite Frau ins UEFA-Exekutivkomitee (Exko) gewählt, nachdem die Organisation die Zahl der garantierten Plätze für weibliche Mitglieder auf zwei verdoppelt hatte.
Seit ihrer Ernennung zur Präsidentin des nationalen Fußballverbands Norwegens (NFF) 2002 drängt sie auf Veränderungen im globalen Fußball. Insbesondere fordert sie eine wachsamere Führung, die die grundlegenden Werte des europäischen Sportmodells schützt.
"Wir sollten wissensbasiert sein, dialogbasiert, aber uns auch wirklich bewusst sein, dass wir uns in einer kritischen Zeit befinden, in der grundlegende Werte auf dem Spiel stehen. Das ist nicht nur eine Schlagzeile in den Medien. Das europäische Sportmodell steht heute unter mehr Druck als je zuvor. Und wenn wir dieses Modell mögen und diese Demokratie im Sport erhalten wollen, müssen wir bereit sein, dafür zu streiten, darüber zu reden und Druck auszuüben", sagte Klaveness gegenüber der DW.
Die Norwegerin spricht seit langem offen über Menschenrechtsverletzungen und die Rechtmäßigkeit von Bewerbungsverfahren, insbesondere bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar und dem bevorstehenden Turnier 2034 in Saudi-Arabien. Im Dezember 2024 äußerte sie sich außerdem zu den israelischen Angriffen auf Gaza, nachdem Norwegen in eine WM-Qualifikationsgruppe mit Israel gelost wurde.
"Es ist über den rein sportlichen Aspekt hinaus schwierig für uns", sagte Klaveness damals. "Keiner von uns kann angesichts der unverhältnismäßigen Angriffe Israels auf die Zivilbevölkerung Gazas gleichgültig bleiben."
Seit diesen Äußerungen sei sie immer wieder gezwungen, ihre Position und die des NFF zu verdeutlichen, sagte Klaveness gegenüber der DW. "Die Leute fragen mich: Warum wollt ihr jetzt nicht die USA boykottieren? Ihr wolltet Katar boykottieren? Nein, wir wollten Katar nicht boykottieren, das war der Punkt. Wir wollten teilnehmen, aber wir haben uns nicht qualifiziert", sagte Klaveness. "Wir haben auch gegen Israel gespielt. Das heißt aber nicht, dass wir nicht für unsere Grundwerte kämpfen sollten."
Ungleiches Spiel
Klaveness, die erste Frau an der Spitze des NFF, hatte bereits 2023 versucht einen Sitz im UEFA-Exekutivkomitee zu ergattern - damals allerdings einen, der nicht speziell für eine Frau reserviert war. Gegen zehn männliche Kandidaten für damals sieben Sitze, die beim UEFA-Kongress zu vergeben waren, erhielt sie allerdings nur 18 der 55 möglichen Stimmen und wurde am Ende zehnte (von elf). Das Ergebnis bedeutete, dass es nur eine einzige Frau unter den 20 Mitgliedern des UEFA-Exekutivkomitees gab. Nach der Regeländerung im letzten Jahr ist Klaveness nun als zweite Frau neben der Waliserin Laura McAllister in das Komitee eingezogen.
Klaveness möchte nach Amtsantritt vor allem mehr Klarheit darüber erlangen, mit welcher Vision der Fußball in Zukunft geführt werden soll. Ihre Präsenz am Tisch verspricht aber vor allem auch ein neues Verständnis dafür, wie man den Frauenfußball einbeziehen und verbessern kann. "Es ist auch eine Frage der Kompetenz, denn wir hatten sehr viele Männer, die den Fußball in verschiedenen Gremien vertreten haben. Die meisten von ihnen, ich würde sagen, mehr als 90 Prozent, kamen aus dem Männerfußball und nie aus dem Frauenfußball", sagte Klaveness, bevor sie auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in sportlicher und physiologischer Hinsicht hinwies.
Mehr europäische Frauenligen erforderlich
"Wenn Mädchen in die Pubertät kommen, ist das ein anderer Leistungsrahmen als bei Männern. Die Anforderungen sind anders", so Klaveness weiter. "Der Markt ist auch anders, wenn man schwanger wird und danach wieder zurückkommt, um Leistung zu bringen."
Der Frauenfußball sieht sich derzeit mit vielen Problemen konfrontiert. Für die Norwegerin ist das vielleicht dringlichste davon, zu verhindern, dass sich die Elite vom Rest abhebt.
"Ich denke, es ist jetzt sehr wichtig zu verstehen, was wir unterhalb der ersten vier Ligen tun müssen, damit sich der Kopf nicht vom Körper entfernt. Wir brauchen mehr professionelle Ligen in Europa, damit Mädchen in allen Ländern davon träumen können, diesen Beruf zu ergreifen - als Anführerin, Trainerin oder Spielerin."
Der Artikel wurde aus dem englischen Original Lise Klaveness: 'Football is in a critical time' adaptiert.