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Litauen greift nach den Startup-Sternen

Lisa Louis
8. Oktober 2025

In Litauen setzt man auf den Startup-Sektor, und dabei vor allem auf sogenannte Fintechs. Das könnte das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Jedoch müssen mehr junge Unternehmen den großen Sprung schaffen.

Das TechZity-Bauprojekt in Vilnius aus der Luft. Hier soll Ende 2028 Europas größter Startup-Hub eingeweiht werden
Noch ist die "TechZity" eine Baustelle - doch Ende 2028 soll hier Europas größter Startup-Hub eingeweiht werdenBild: Leon Jütte/DW

Auf dem Gelände im Süden der litauischen Hauptstadt Vilnius herrscht reges Treiben. Dutzende Arbeiter laufen geschäftig hin und her. Ein Betonmischer dreht sich, ein Bagger planiert brummend den Lehmboden. Hier will man Ende 2028 Europas größten Startup-Hub einweihen - genannt TechZity.

In mehreren Gebäuden sollen dann bis zu 5000 Menschen auf etwa 55.000 Quadratmetern arbeiten. Außerdem wird es Cafés und Restaurants, ein Fitnesszentrum und Wohnungen geben. Denn Startups, so die Hoffnung, könnten eines Tages erheblich zur Wirtschaftsleistung des Landes beitragen.

"Diese künftigen Büroräume haben hohe Wände. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass dieser 'Kathedraleneffekt' die Kreativität fördert. Außerdem werden die jungen Unternehmer ständig nur von Gleichgesinnten umgeben sein. Dadurch entstehen neue Ideen - es kommt zur Magie", sagt Darius Žakaitis, einer der Gründer von TechZity zur DW, während er durch einen großen Raum eines Gebäudes mit Glasfassade läuft, das noch nicht ausgebaut ist.

"TechZity": Fintech-Boom in Litauen

03:54

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Früher war es einmal eine Nähfabrik - nun stecken Investoren 110 Millionen Euro in das Projekt. "Litauen verfügt über keine Rohstoffe und wir haben nur wenige Einwohner", meint Žakaitis. "Also müssen wir in Irgendetwas sehr gut sein. Der Startup-Bereich ist eine gute Wahl, denn wir arbeiten hart und viele von uns sprechen gutes Englisch. Ich denke, Startups könnten 2030 ein Viertel unseres Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Und ja, das ist sehr ambitioniert - bisher sind es fünf Prozent."

Inspiration in London

Der Sektor will die Erfolgsgeschichte der sogenannten Fintechs in Litauen reproduzieren. Das sind Unternehmen, die mit moderner Technik Finanzdienstleistungen und -produkte anbieten. Laut litauischer Zentralbank, die auch die Funktion der Finanz-Regulierungsbehörde innehat, hat das Land inzwischen die höchste Anzahl an Fintech-Lizenzen in der EU herausgegeben.

Denn vor einem Jahrzehnt traf man bewusst die Entscheidung, auf diesen Sektor zu setzen, erinnert sich Marius Jurgilas, damals Vorstandsmitglied der Zentralbank. "Wir waren 2015 mit einer Delegation auch des Finanzministeriums in London und haben den damaligen britischen Premierminister David Cameron bei einer Rede sagen hören, er wolle Großbritannien in einen weltweiten Fintech-Hub verwandeln", erinnert sich Jurgilas im Gespräch mit der DW.

"Dadurch entstehen neue Ideen - es kommt zur Magie", sagt Darius Žakaitis, einer der Gründer von TechZityBild: Lisa Louis/DW

"Da haben wir uns angeguckt und uns gefragt - was haben die, das wir nicht haben?" Das Team arbeitete daraufhin eine eigene Fintech-Strategie für Litauen aus, welche das Kabinett verabschiedete. "Wir haben eine finanzielle Pforte an der Zentralbank geschaffen für Unternehmen, die keine Banken sind, wodurch diese sich mit dem Banksystem verbinden konnten. Außerdem schafften wir eine spezifische Lizenz, durch die Fintechs nur eine anstelle von fünf Millionen Euro Startkapital brauchen", erklärt Jurgilas, der inzwischen sein eigenes Fintech gegründet hat: Axiology. Damit will man auf eine europaweite Kapitalmarktinfrastruktur hinarbeiten.

Röntgen, eine Crowdfunding-Plattform für Investitionen in Immobilien, war eins der ersten Fintechs, das 2017 auf diesen Zug aufsprang. Gründer Martynas Stankevičius erklärt, dass er vor allem die schon damals klaren Rahmenbedingungen als Vorteil angesehen habe. Und die Tatsache, dass Litauen ein kleines Land ist.

Startup-Gründer Martynas Stankevičius sieht vor allem die klaren Rahmenbedingungen als StandortvorteilBild: Lisa Louis/DW

"Wir haben hier direkten Zugang zu Mitarbeitern der Zentralbank und der Ministerien", sagt Stankevičius zur DW. "So kann man innovative Geschäftsideen schnell umsetzen. Wenn man auf Probleme stößt, was unvermeidlich ist, fragt man rasch die Regulierungsbehörde, welches Vorgehen für diese akzeptabel ist, ohne dass man den Innovationsprozess anhalten muss." Inzwischen hat das in Vilnius angesiedelte Unternehmen 17 Angestellte und einen jährlichen Umsatz von zwei Millionen Euro.

Abschreckendes Beispiel: Wirecard

Bis Ende 2024 hatte Litauen 282 Fintechs lizensiert. Doch hat sich die anfängliche Begeisterung etwas gelegt. Man prüfe inzwischen neue Anträge genauer, so Lukas Jakubonis, Chief Business Development Officer der Zentralbank. "Der Korruptionsskandal beim Finanzdienstleister Wirecard war wie ein Weckruf - uns wurde bewusst, dass wir mit jeder Lizenz neues Risiko hinzufügen. Deswegen sind wir nun extra-strikt bei Regelverstößen, auch um gegen Geldwäsche vorzugehen", betont Jakubonis gegenüber DW. Der deutsche Finanzleistungsanbieter Wirecard hatte 2020 Insolvenz angemeldet, nachdem korrupte Praktiken und betrügerische Berichterstattung bekannt geworden waren.

Indre Dargyte hat diese erhöhte Vorsicht nicht abgeschreckt. Auch wenn sie neun Monate auf ihre Lizenz warten musste - anstelle der bis zu sechs Monate am Anfang von Litauens Fintech-Boom. Vergangenes Jahr eröffnete sie ihr Startup Bemybond, ebenfalls eine Crowdfunding-Plattform. Denn für Dargyte hat Litauen längst einen kaum einholbaren Vorsprung in Sachen Fintechs. "Als Neuling braucht man viel Unterstützung, weil man alles zum ersten Mal macht", meint sie gegenüber DW. "Da ist es sehr praktisch, von so vielen Fintechs umgeben zu sein, die das alles schon durch haben."

Indre Dargyte findet es "praktisch, von so vielen Fintechs umgeben zu sein, die das alles schon durch haben"Bild: Lisa Louis/DW

Das führe auch zu einer besseren Work-Life-Balance, fügt Agne Selemonaite dem hinzu. Auch deswegen ist sie nach 15 Jahren in Großbritannien, Schweden und China in ihre Heimat zurückgekommen. Selemonaite ist Vorstandsmitglied der Fintech Payhawk für Ausgabenmanagement, mit Sitz in Bulgarien und zusätzlicher Lizenz in Litauen. "Hierher zu kommen macht auch Sinn, weil es noch immer einen großen Talentpool gibt, auf den Fintechs zurückgreifen können", erklärt sie gegenüber DW.

Hunger nach Innovationen

Aber Litauens Startups haben ein Problem: Wachstum. Bisher gibt es nur drei sogenannte Einhörner im Land - so nennt man Startups, die mit über einer Milliarde Dollar bewertet sind. "Zugang zu privatem und öffentlichem Kapital ist ein Problem für junge Unternehmen, wenn es um weltweites Wachstum geht. Hinzu kommt, dass die Regierung dieses Jahr die Unternehmens- und Einkommensteuer erhöht hat", sagt Martynas Gruodis, Politikanalyst bei Litauens Institut für Freien Markt in Vilnius, gegenüber DW. "Außerdem sollte die Regierung mehr in spezifische Aus- und Weiterbildung investieren, denn es gibt immer mehr Bedarf für qualifiziertes Personal - auch im Verteidigungssektor, der eine Gelegenheit bietet für Startups."

Martynas Gruodis weist auf den Verteidigungssektor hin, "der eine Gelegenheit bietet für Startups"Bild: Lisa Louis/DW

Eine der Erfolgsgeschichten Litauens ist "Vinted" - ein Startup für Kleidung aus zweiter Hand. 2008 von zwei Litauern gegründet, wurde es 2019 zum ersten Einhorn des Landes. Vergangenes Jahr machte es einen Umsatz von 813 Millionen Euro, hat inzwischen mehr als 2000 Angestellte und zahlreiche Büros in Europa. Für Vinteds Vizepräsidenten Modestas Tursa bietet Litauen noch immer außergewöhnliche Bedingungen für innovative Unternehmen.

"Wir sind ein relativ neues Land, welches erst 1990 im Zuge des Falls der Sowjetunion unabhängig wurde und zur Marktwirtschaft überging", betont er im Gespräch mit der DW. "Wir mussten Unternehmen vollständig neu aufbauen. Deswegen gibt es hier Hunger, zu kreieren, zu innovieren und eine unglaubliche Fähigkeit, sich an neue Technologien anzupassen." Weitere Innovationen hat auch Vinted im Auge. Es ist gerade dabei, sein eigenes internes Zahlungssystem aufzubauen: Vinted Pay. Ein Fintech natürlich.

Der Fall Wirecard

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