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Politik

Litauen: Standhaft gegen China

12. Dezember 2021

Kaum ein Land bietet China derzeit so sehr die Stirn wie Litauen. Vilnius verlässt ein Wirtschaftsforum mit Peking, rät zum Wegwerfen chinesischer Handys und eröffnet diplomatische Beziehungen zu Taiwan. Warum?

Präsident Litauens - Gitanas Nauseda
Will "nicht vor China einknicken": Litauens Präsident Gitanas NausedaBild: JANIS LAIZANS/REUTERS

Es ist ein eher schmuckloses Bürohochhaus mitten in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Hinter der glatten Glasfassade finden sich Anwaltskanzleien, Firmenbüros und eine Unternehmensberatung. Ende November aber sind neue Mieter in die Adresse J. Jasinskio 16b eingezogen - und um die gibt es nun heftigen Streit. Dabei haben sich die Neuen, soweit bekannt, keineswegs danebenbenommen. Es ist vor allem der Name am Türschild, der nicht allen gefällt. "Taiwanesisches Vertretungsbüro in Litauen" prangt dort in Schwarz auf Messing - und das sorgt gut 6500 Kilometer weiter östlich, in Peking, für heftige Verstimmungen. 

Es gibt nicht mehr viele Länder auf der Welt, in denen Taiwan noch unter seinem offiziellen Namen vertreten ist. Und die sich noch trauen, sind keine wirtschaftlich bedeutsamen: die Marshallinseln etwa, Guatemala, St. Lucia oder das afrikanische Eswatini. China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und sieht jede offizielle diplomatische Beziehung mit Taiwan als Angriff auf seine Ein-China-Politik. Deshalb macht es massiv Druck. Druck, unter dem in der jüngsten Vergangenheit immer mehr Staaten ihre Verbindungen zu Taiwan abbrachen.

Taiwanesische Diplomaten bei der Eröffnung ihres Vertretungsbüros in Litauens Hauptstadt VilniusBild: Taiwan Ministry of Foreign Affairs via AP/picture alliance

Ausgerechnet das kleine Litauen geht nun aber den umgekehrten Weg: Erstmals seit 18 Jahren erlaubte es Taiwan Ende November wieder eine diplomatische Vertretung auf europäischem Boden.

Immer wieder Reibungspunkte mit China

Es ist nicht das erste Mal, dass Litauen China die kalte Schulter zeigt. So riet das litauische Verteidigungsministerium im September seinen Bürgern offiziell davon ab, chinesische Handys zu kaufen. Wer bereits ein derartiges Smartphone besitze, solle dieses am besten wegwerfen, so die Empfehlung. Eine staatliche Untersuchung hatte zuvor ergeben, dass in diesen Smartphones jederzeit aktivierbare Zensurfunktionen eingebaut worden waren. Auch den Ausbau des 5G-Telekommunikationsnetzes will das Land "aus Sicherheitsgründen" ohne chinesische Mobilfunkbetreiber vorantreiben. Und schon zu Beginn des Jahres hatte Litauen - als bisher einziges Land - das sogenannte 17+1-Format verlassen, ein wirtschaftspolitisches Kooperationsforum zahlreicher mittel- und osteuropäischer Länder mit China.

In Peking zeigt man sich zunehmend fassungslos ob dieser Haltung in Vilnius. Was erlaube sich dieses Land, fragte die "Global Times", das Sprachrohr der chinesischen KP, Ende November - "ein Land, dessen Einwohnerzahl kleiner ist als die des Pekinger Stadtviertels Chaoyang". Litauen sei "nur eine Ratte, wenn nicht ein Floh, unter den Füßen kämpfender Elefanten". 

Der Elefant schlägt zurück

Und der Elefant holte umgehend zum massiven Gegenschlag aus. Ende November bereits stufte China die diplomatischen Beziehungen zu Litauen herab, zog den eigenen Botschafter endgültig aus Vilnius ab und erklärte dessen litauische Kollegin zur unerwünschten Person. Anfang dieser Woche folgte dann die Aussetzung des gesamten Handels mit Litauen. Man müsse "die lästige Fliege zerquetschen", schrieb die "Global Times" in einem weiteren Leitartikel, "ohne sich dabei die Finger zu sehr schmutzig zu machen".

China hat die Ausfuhr sämtlicher Waren nach Litauen gestopptBild: Chinatopix Via AP/picture alliance

"Der Ton in den chinesischen Staatsmedien war sehr scharf", kritisiert Kai-Olaf Lang, Baltikum-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Das hat man in Litauen entsprechend aufgenommen." Die Regierung fühlte sich in ihrem Kurs Richtung Taiwan eher bestätigt. "Dort heißt es: Wir dürfen da jetzt nicht einknicken", so Lang. Tatsächlich könne Vilnius sich das auch erlauben, glaubt der Wissenschaftler. "Der Anteil der litauischen Exporte nach China betrug 2020 nur 1,1 Prozent." Auch wenn der Anteil chinesischer Importe im selben Zeitraum leicht darüber lag, sei dies "nichts, was das Land in größere Probleme stürzt".

Wertgebundene Außenpolitik

Anders als viele andere Staaten muss sich Litauen bei seiner Chinapolitik also nur wenig Sorgen um seine wirtschaftlichen Interessen machen. Zudem sind die Litauer aufgrund der eigenen Geschichte kommunistischen Regimen gegenüber besonders skeptisch eingestellt. Litauen war 1990 das erste Land, das sich von der Sowjetunion unabhängig erklärt und sich damit aktiv und erfolgreich gegen das übermächtige Moskau gestellt hatte. Litauens Politik werde seitdem "von einer stark normativen Komponente beherrscht", so Kai-Olaf Lang. Freiheit, Demokratie und Menschenrechte seien Werte, für die die litauische Politik in besonderem Maße eintrete, so der Baltikum-Experte.

Fand Zuflucht in Litauen: die belarussische Exil-Oppositionelle Swetlana TichanowskajaBild: Petras Malukas/AFP/Getty Images

Das habe sich seit Herbst 2020 noch verstärkt. Da gab es in Vilnius einen Regierungswechsel - zu einer Zeit, als sich die Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko im Nachbarland Belarus auf dem Höhepunkt befanden. "Viele Litauer erinnerte das an ihren eigenen Freiheitskampf", erklärt Lang. Auch deshalb hielt die neue konservativ-liberale Regierung bereits damals im Koalitionsvertrag fest: "Wir stellen uns aktiv gegen jede Verletzung von Menschenrechten und demokratischen Freiheiten und verteidigen all diejenigen, die für die Freiheit in der Welt kämpfen - von Belarus bis Taiwan."

Tatsächlich gewährte das Land in der Folgezeit vielen verfolgten Regimegegnern aus dem Nachbarland Zuflucht - so lebt auch die führende belarussische Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja mittlerweile im Exil in Vilnius.

Rückhalt aus Washington

Die litauischen Beziehungen zu Peking, Minsk und auch zu Moskau sind also traditionell angespannt. Rückendeckung hingegen kommt aus Washington. Litauen "sieht sich ohnehin in einer schwierigen sicherheitspolitischen Situation", erklärt Kai-Olaf Lang. "Die Antwort ist aber nicht, dass man versucht, sich damit zu arrangieren, und zurückweicht, sondern dass man sagt: Wir müssen hier jetzt konsequent bleiben!" Litauens sicherheitspolitische Lebensversicherung ist dabei die Allianz mit den US-Amerikanern, etwa über die Mitgliedschaft in der NATO. Während Washington bisweilen mit der China- und Russlandpolitik anderer europäischer Staaten hadert, "zeigt sich Litauen den USA gegenüber als loyaler Partner, der zum einen versucht, Russland zurückzudrängen, und Washington zum anderen signalisiert: Wir gehen in die gleiche Richtung, wenn es um die Eindämmung Chinas geht."

Rückversicherung durch die NATO - Litauen verlässt sich außenpolitisch vor allem auf die USABild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Mit dieser Sicherheit im Rücken drängt Litauen auch stark auf eine strengere gesamteuropäische Haltung gegenüber China. "Wir brauchen kein 17+1-Format, wir brauchen ein 27+1-Format", betonte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis im September und forderte damit Einigkeit der 27 Mitgliedstaaten der EU gegenüber China. Zumindest in diesem Punkt scheint die Eskalation des Konfliktes zwischen Vilnius und Peking nun Bewegung in die Europäische Union zu bringen. "Die EU ist bereit, sich gegen alle Arten von politischem Druck und Zwangsmaßnahmen zu wenden, die gegen einen Mitgliedstaat gerichtet sind", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am vergangenen Mittwoch.

Brüssel signalisiert also Entschlossenheit gegenüber Peking. Es sieht so aus, als ob die Mieter in der J. Jasinskio 16b in Vilnius ihr Türschild noch länger behalten dürfen.

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik