Litauens Regierung legt erstmals eine nationale Sicherheitsstrategie vor
21. Februar 2002Vilnius, 18.2.2002, 1830 GMT, LITAUISCHES FERNSEHEN, lit., Copyright BBC monitoring
Eine von der litauischen Regierung eingesetzte Arbeitsgruppe hat eine nationale Sicherheitsstrategie entworfen. Es ist das erste Dokument dieser Art. (...) Gast in unserem Studio ist der Minister für Nationale Verteidigung Linas Linkevicius. (...)
(Frage)
Warum braucht Litauen jetzt, da wir bereits ein Gesetz über die Grundprinzipien der nationalen Sicherheit haben, eine neue nationale Sicherheitsstrategie?(Antwort)
Das Problem ist, dass wir bisher keine Strategie hatten. Nach der gesetzgeberischen Logik sollten wir als Erstes eine Strategie haben, die festlegt, in welcher Richtung wir uns bewegen wollen. Ihr sollten dann detailliertere Dokumente und Gesetze folgen, die definieren, wie diese Strategie umzusetzen ist. Aber in Litauen gibt es diesbezüglich gewisse Lücken und einige Rechtsexperten, die sich mit unserer Gesetzgebung befassen, haben uns darauf aufmerksam gemacht. Ich denke, wir werden diese Lücke künftig füllen können.(Frage)
Die Strategie teilt unsere nationalen Interessen in wichtige und vorrangige Interessen ein.Wichtige Interessen:
1. Souveränität, territoriale Integrität, demokratische Ordnung.
2. Menschenrechte und Freiheiten.
3. Friede und Wohlergehen im Staat.
Vorrangige Interessen
1. Globale und territoriale Stabilität.
2. Freiheit und Demokratie in Europa.
3. Offenheit und Kalkulierbarkeit der Sicherheitspolitik der Staaten des euroatlantischen Raumes.
Aus dieser Liste ist ersichtlich, dass unsere Mitgliedschaft in der NATO und in der Europäischen Union erforderlich ist, um die zweite Gruppe der Interessen zu garantieren. Wenn dem so ist, warum ist dann die euro-atlantische Integration als die höchste Priorität definiert worden?
(Antwort)
Nun, es ist wohl besser, ich wende meinen Blick von dieser Liste ab und sage es mit deutlichen Worten: Wir müssen die Schritte anzeigen, die uns dabei helfen werden, einen wirklich sicheren Staat aufzubauen. Die Integration in diese beiden Organisationen wird zu den wichtigsten Aufgaben unseres Staates gezählt. Sie würde Investitionen, eine sichere Umwelt und ein sicheres Leben garantieren.Ich möchte auf einen Aspekt hinweisen, den Sie in Ihrer Frage zum Gesetz über die Grundsätze der nationalen Sicherheit nicht erwähnt haben. Das Gesetz betrifft ein sehr wichtiges Stadium. 1996 gehörte ich zufällig der Arbeitsgruppe an, die mit dem Entwurf dieses Gesetzes beauftragt war. Und das Gesetz beinhaltet in der Tat wichtige Bestimmungen über die demokratische Kontrolle der Streitkräfte, den gesamten Verteidigungsbereich und andere Fragen. Inhalt des Gesetzes sind vorwiegend militärische Gefahren und Aspekte. Sicherheit im Allgemeinen umfasst aber auch die finanzielle, wirtschaftliche und innere Sicherheit. Auf all diese Fragen geht die nationale Sicherheitsstrategie ein.
(Frage)
Gemäß der Strategie sieht Litauen seine Sicherheit derzeit von außen nicht bedroht. Gefährdet werden könnten Staat und Gesellschaft plötzlich und stark durch eine unausgewogene soziale Entwicklung, durch Korruption und die Verbreitung des organisierten Verbrechens. Wie würden Sie die derzeitige Sicherheitslage des Landes einschätzen?(Antwort)
Ich würde sie so einschätzen, wie es auch jeder andere Bürger täte. Ich glaube, gelinde ausgedrückt, wir können sagen, dass es hier noch Raum für Verbesserungen gibt. Um uns in unserem Lande von Tag zu Tag immer sicherer zu fühlen, müssen wir noch einiges tun. Die Experten, die unsere nationale Entwicklung analysierten, machten uns ebenfalls auf diese Aspekte aufmerksam. Negative Erscheinungen wie Korruption haben etwas mit Sicherheit zu tun. Meine Einschätzung ist also ähnlich wie die jedes anderen und die Ihre. Dementsprechend müssen wir auch reagieren. Ich glaube, die Regierung berücksichtigt bei der Planung ihrer Mittel bereits diese Faktoren. Mit einem Dokument, auf das man sich geeinigt hat und das unsere Vorstellung von einem sicheren Staat darlegt, wird es uns leichter fallen, Schritte zu planen, um die von Ihnen eben erwähnten Gefahren zu beseitigen.(Frage)
Besteht aber in Litauen genügend Gleichgewicht? Wir weisen immer wieder auf Rüstungsstandards, militärische Standards und die Finanzierung des Verteidigungssektors hin. Finanziert werden muss aber auch die innere Sicherheit - die Polizeikräfte, Recht und Ordnung, Bildung etc.(Antwort)
Der Vorteil der Strategie ist, dass sie auf eine längere Zeit ausgerichtet ist und nicht nur auf die nächste Zukunft. Wir können sagen, militärische Bedrohungen morgen oder in der kommenden Woche sind unwahrscheinlich, das stimmt schon. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns in Selbstzufriedenheit wiegen können und aufhören, nach Sicherheitsgarantien zu suchen. Das ist der Grund, warum wir der NATO beitreten wollen, einer Organisation, die die Sicherheit garantiert. Das würde uns dabei helfen, langfristig bei unserer Lebensplanung Ärger zu vermeiden. Alles muss sich die Waage halten. Dinge wie innere Sicherheit, äußere Sicherheit, finanzielle Sicherheit und Investitionssicherheit können nicht nebeneinander gestellt werden. Wir können nicht sagen, das eine ist wichtiger als das andere. Alles ist wichtig, aber wir brauchen für alles einen Plan und eine Grundlage. Der Staat muss eine Vision haben. Und ich denke, es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage, dass wir, was unsere Vision betrifft, die Reihenfolge unserer Aktionen ein wenig durcheinander gebracht haben. Nun, es kann sein, dass wir zu sehr in Eile oder allzu unerfahren waren. Es kann sein, dass wir solche Traditionen nicht hatten und einfach versuchten, das Bestmögliche zu tun. Aber ich glaube nicht, dass es so dramatisch ist, dass es sich nicht mehr korrigieren ließe. Die nationale Sicherheitsstrategie sollte nicht zu einem weiteren theoretischen Dokument werden, das keiner braucht. Es ist wichtig, sowohl für unsere innere als auch für unsere äußere Sicherheit, denn andere Länder nutzen es als Grundlage für die Bildung ihrer Meinung über unser Land. Sie wollen wissen, wie wir unsere Umwelt und unsere Gefahren sehen.(Frage)
Die Strategie betont in vielen ihrer Klauseln die innere Sicherheit und entsprechende Maßnahmen. Können wir angesichts dessen davon ausgehen, dass sich der neue Strategieentwurf auf die Verteilung des nächsten Haushalts auswirken wird?(Antwort)
Diese Auswirkungen machen sich bereits bemerkbar. Obwohl wir keine Strategie hatten, sollten wir nicht glauben, dass diese Risikofaktoren und Probleme, die in der Strategie definiert werden, nicht schon früher berücksichtigt wurden. Um es einfach auszudrücken, wir hatten kein Dokument, dass all diese Faktoren zusammenfasste. Wir sollten aber nicht denken, dass wir unsere Meinung über unsere Umwelt schon morgen ändern, nur weil es eine Strategie gibt. Ich bin überzeugt, unsere Regierung hat all diese Risikofaktoren bei der Arbeit am diesjährigen Haushalt bereits berücksichtigt. Ich bin sicher, sie wird diesen Fragen auch künftig die erforderliche Aufmerksamkeit widmen. Wie Sie sehen, wird in dem Strategiepapier auch auf mögliche Terrorangriffe eingegangen. Dies ist kein Hirngespinst, sondern eine nüchterne, realistische Einschätzung der Vorgänge um uns herum. (TS)