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Literatur

Literarischer Advent II: Fünf Krimi-Empfehlungen

Sabine Peschel
4. Dezember 2016

Die Abende sind lang und dunkel, bestens geeignet für spannende Lektüre. Aber gute Krimis jenseits der bekannten Pageturner zu finden, ist schwer. Wir haben sie: Buchtipps für alle, die es nicht nur besinnlich mögen.

Pictureteaser Advent Bücher 2

Kriminalromane sind gesellschaftsfähig geworden. Man tauscht sich aus über gute Krimis. Doch neben den Buchhandlungskassen liegen meistens die Übersetzungen von Elizabeth George, Nicci French und anderen bekannten Pseudonymen der englischsprachigen Unterhaltungsliteratur. Dabei gibt es neben diesen Genre-Größen immer mehr anspruchsvolle Autoren. Wir haben fünf besondere Titel für Sie ausgewählt:

Friedrich Ani: "Nackter Mann, der brennt"

Bild: picture alliance/dpa/U. Zucchi

Heiligsheim, ein erzkatholisches Dorf in Bayern. Niemand erkennt den Mann, der nach Jahrzehnten in sein Heimatdorf zurückkommt. Coelestin, der Himmlische, so hieß er einst, als er hier noch Messdiener und tiefgläubig war. Doch neben Bibelzitaten und Litaneien hat er in seinem Religionsheft noch anderes aufgeschrieben. Notizen, die dem als Ludwig Dragomir Zurückgekehrten bei seinem Rachefeldzug als Leitfaden dienen. Voller Hass, zwischen Selbstzweifeln und Wahn, bringt er die Honoratioren des Dorfes um. Ehe er einen Mann nach dem anderen in einem grausamen Ritual tötet, konfrontiert er sie mit ihren Taten, dem sexuellen Missbrauch, durch den sie nicht nur seine Kindheit zerstört haben.

Der preisgekrönte Münchner Autor hat die Leser lange mit den Ermittlungen seines Kommissars Tabor Süden in Spannung gehalten. Mit diesem Buch bewegt sich Friedrich Ani in einem anderen Milieu. Sein Held ist wortkarg, bayrische Mundarteinschübe und ein immer wiederholtes Songzitat von Manfred Mann, "Ha ha said the clown", setzen finstere Akzente. Anis düsteren Psychothriller umgibt eine Atmosphäre, die viel real Bedrohliches einfängt. 

Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt, Suhrkamp Verlag 2016, 223 Seiten, ISBN 9783518425428


Philip Kerr: "Die Falsche Neun"

Bild: picture alliance/dpa/T. Garriga

Zugegeben, aktuell schreiben die Leaks aus der Welt der großen Fußballstars Geschichten, gegen die jeder Wirtschaftskrimi blass aussieht. Philip Kerrs Fußballthriller wirkt daneben kein bisschen unrealistisch. Man muss aber kein Fußballfan sein, um Scott Manson bei seinem dritten Fall gespannt zu folgen. Der Schotte mit den afroamerikanischen Wurzeln ist so etwas wie der Philip Marlowe der Fußballwelt. Der vereinslose Trainer wird vom FC Barcelona zu Hilfe gerufen, als plötzlich der neu verpflichtete Stürmerstar verschwunden ist: Gérôme Dumas, der aus dem Überseedépartment Guadeloupe stammende Spieler, hatte sich in seinem französischen Team unbeliebt gemacht. Scott nimmt seine Spur auf. Die Suche führt ihn in die Pariser Banlieues und in die Karibik - und tief hinein in die Probleme einer Gesellschaft voller Widersprüche. 

Philip Kerr ist wie sein Titelheld Schotte und begeisterter Anhänger von Arsenal London. Für "Game over" und "Das Wittgensteinprogramm" wurde er mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Sein Thriller zeigt Fußball als das, was er ist: korruptes Business, ersehnte Perspektive und Objekt heißer Liebe gleichzeitig. 

Philip Kerr: Die Falsche Neun, aus dem Englischen von Hannes Meyer und Simone Jakob, Verlag Klett-Cotta 2016, 367 Seiten, ISBN 9783608502190


Norbert Sahrhage: "Der Mordfall Franziska Spiegel"

Bild: Pendragon Verlag

Wir schreiben das Jahr 1948. Kurz nach der Währungsreform geht es wieder aufwärts in Deutschland. Kriminalinspektor Zöllner raucht Eckstein und bezahlt seinen Kaffee mit 10-Pfennig-Scheinen. Mit seinen neuen Kollegen wird der Kriminalist allerdings nicht recht warm. Zu lange war er außer Dienst, geächtet als Sozialdemokrat und Ehemann einer Jüdin. Zehn Jahre hat er seine Frau nicht mehr gesehen. Man ist sich fremd geworden, sie ist mit ihren Eltern vor den Nazis nach London geflohen. Da kommt Zöllner sein erster Auftrag gerade recht: Er soll den Mord an einer Jüdin aufklären. In Hückerholz bei Spenge haben zwei junge Männer im November 1944 die erschossene Frau im Wald gefunden. Der Verdacht fällt auf zwei SS-Männer, deren Einheit zur selben Zeit in dem nordrhein-westfälischen Ort stationiert war. Der Fall scheint klar, doch der Ermittler stößt auf eine Mauer des Schweigens. Die Netzwerke der alten Nazis funktionieren noch. 

Der Pendragon Verlag hat es sich zum Programm gemacht, Krimis mit realem historischen Hintergrund zu veröffentlichen. Auch dieser Roman von Sarhage beruht auf einer wahren Begebenheit. Man liest ihn mit Beklemmung, so authentisch wirkt der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. 

Norbert Sahrhage: Der Mordfall Franziska Spiegel, Pendragon Verlag 2016, 236 Seiten, ISBN 9783865325709


Peter Temple: "Die Schuld vergangener Tage"

Bild: CC by Bjørn Erik Pedersen

"Ned ist tot." Ein klassischer erster Krimisatz eröffnet den australischen Thriller. Ned hat sich in seiner Scheune erhängt, sagt die Polizei, doch sein Freund, der Ich-Erzähler, glaubt nicht, dass er sich umgebracht hat. Mac Faraday ermittelt auf eigene Faust, eine alte Gewohnheit des ehemaligen Agenten. Seine Recherchen führen ihn zu einer Mädchenleiche, die in einem stillgelegten Schacht entdeckt wurde. Und von ihr in ein Heim für schwererziehbare Mädchen. Auch in diesem Krimi geht es um lang zurückliegenden Missbrauch und darum, wie gefährlich es wird, wenn jemand versucht, die Täter zu entlarven.

Peter Temple ist der große alte Mann der australischen Kriminalliteratur. Der Plot seines Thrillers ist so genretypisch wie schon der erste Satz. Es sind die atmosphärischen Beschreibungen, die diesen Krimi so außergewöhnlich machen und einem das unromantische Land, eine gute Stunde nördlich von Melbourne, mit seinen nüchternen Menschen so nahe bringen. Schön, dass das Original von 1998 endlich auch auf Deutsch zu lesen ist.

Peter Temple: Die Schuld vergangener Tage, aus dem Englischen von Heinz M. Herzog, Penguin Verlag 2016, Originalausgabe 1998, 343 Seiten, ISBN 9783328100706


Benjamin Whitmer: "Nach mir die Nacht"

Bild: Joshua Mork

Wenn Sie die Serie "The Wire" nicht mögen, sollten Sie nicht weiterlesen. Ihren Fans dagegen sei Benjamin Whitmers Krimi empfohlen. Zwar spielt er nicht in Baltimore, sondern vor allem in Denver und dem San Luis Valley im Hinterland Colorados. Extrem hart geht es jedoch auch dort zu. Es gibt viel Drogen und Gewalt, Alkohol, Crack und Kokain gehören zum Alltag. Keine der Figuren ist gut, allen hat das Leben übel mitgespielt. Patterson Wells hat seinen Sohn durch den Fehler eines Arztes verloren und kommt nicht darüber hinweg. Gangster Junior arbeitet sich an seiner Mutter ab. 

Warum man diesen Krimi ohne Happy End überhaupt lesen sollte? Er spiegelt die reale Welt des dualen Amerikas. Da streiten sich die heruntergekommenen Indianer mit den hoffnungslos auf den Tourismus spekulierenden Landwirten um ihre Reservate. Die Existenzen sind einsam, nomadisch, ob in den rostigen Industriebrachen Denvers oder den Hügeln Colorados. Ein gnadenlos unsentimentaler Thriller - als Kontrastprogramm zur stimmungsvollen Vorweihnachtszeit. 

Benjamin Whitmer: Nach mir die Nacht, aus dem Amerikanischen von Len Wanner, Polar Verlag 2016, 308 Seiten, ISBN 9783945133378.

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