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Literatur

Reclam-Klassiker auf Youtube: Literatur to go

Sabine Peschel
10. November 2017

Der Theatermacher Michael Sommer hat die Reclam-Klassiker und Youtube zusammengebracht. Der DW erzählt er, warum die Weltliteratur dort bestens hinpasst und weshalb er ein großer Fan der kleinen gelben Heftchen ist.

150 Jahre Reclam- Buchmesse Leipzig
Bild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Deutsche Welle: Odyssee, Shakespeare, Heine - warum passen Reclam-Klassiker und Youtube so gut zusammen?

Michael Sommer: Vielleicht hängt es mit der Kompaktheit zusammen. Das Buchformat von Reclam ist ja für jede Hosen-, Hemd-, und Manteltasche geeignet, und Youtube passt ja auch auf jedes Handy - jedenfalls meine kleinen Youtube-Versionen.

"Weltliteratur to go", so übertiteln Sie ihre Videos. Sind Ihre kleinen Filme vielleicht eine späte Rache am schulisch verordneten Kulturkanon?

Eine kleine Reclam-Feldbücherei aus dem Ersten WeltkriegBild: picture-alliance/dpa/F. Kraufmann

In keiner Weise. Ich freue mich, wenn ich spielen kann. Ich versuche, eine spielerische Herangehensweise an die Literatur zu finden. Und ihr damit einen Gefallen zu tun, eher als mich an ihr zu rächen.

Reclam feiert jetzt 150 Jahre Billigklassiker. Hat das der deutschen Bildung geschadet?

Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass die Tatsache, dass Reclam relativ billig ist, in zweifacher Hinsicht richtig gut ist. Erstes, weil man sich's leisten kann. Man muss keinen Hunderte von Euro für Goldschnittausgaben von Klassikern ausgeben, sondern kann die für günstiges Geld kaufen - und dabei noch eine gute, also verlässliche Ausgabe. Und das andere ist: Es hat niemand ein Problem damit, in einen Reclam was reinzuschreiben, was anzustreichen oder reinzumalen. Man kann was damit machen, das ist das Tolle an Reclam. Man kann irgendwie spielerisch mit der Literatur umgehen, und deswegen lebt sie auch. Das ist der Gefallen, den Reclam der Literatur getan hat. 

Die meisten Ihrer Videos dauern sieben bis neun Minuten, Shakespeare gönnen Sie ausnahmsweise eine Viertelstunde. Jetzt wollen Sie zehn Reclam-Bestseller in zehn Minuten präsentieren. Wie kriegen Sie das hin?

Schneller (lacht). Es wird alles durch den Fleischwolf gedreht, nur das Wichtigste bleibt übrig. Natürlich habe ich das Personal bei diesen Werken auf die allerwichtigsten Drei reduziert, es sind immer drei, die übrigbleiben am Schluss: Hauptdarsteller, Gegenspieler und im Zweifelsfall die Geliebte.  Man muss sagen, es sind immer Männer, die übrigbleiben. Nur eine einzige weibliche Hauptfigur, nämlich Maria Stuart, ist unter diesen Top Ten, das ist erschreckend. Ich versuche einfach zu verwursten, was das Zeug hält, und am Ende bleiben zehn Minuten übrig.

An der Spitze der Reclam-Bestseller seit 1948 steht Schillers "Wilhelm Tell". Ist das bei Ihren Videos genauso?

Nein! Ganz klar ist "Faust" das Video, das am häufigsten abgerufen wird. Das liegt nicht etwa daran, dass ich "Wilhelm Tell" erst so spät gemacht hätte, sondern daran, dass "Faust" mehr gelesen wird. Nun ist "Faust" ja nicht so ein klassisches Drama, "Wilhelm Tell" schon. Ich vermute, dass das der Grund ist, warum der "Tell" in den Schulen sehr häufig gelesen wurde und auch immer noch wird. Weil das Drama sehr regelmäßig ist im Vergleich zu "Faust", dieser wilden Tour de Force durch alle möglichen Welten und alle möglichen innerlichen Vorgänge, die da vorkommen.

Sie erzählen im flotten, oft auch lauten Ton. Wie kriegt man es hin, auch Anne Franks KZ-Abtransport zu ver-youtuben?

Anne Frank ist bei Reclam - schülergerecht - mit Werken und Materialien vertretenBild: Reclam

Ich habe die Reclam-Ausgabe von Anne Franks "Aus den Tagebüchern" zusammengefasst, weil es ein wichtiges Buch ist, und weil es auch ein Schulstoff ist, der viel gelesen wird und von meinen Zuschauern viel gefragt wurde. Ich habe einfach versucht, es ernst zu nehmen. Das ist selbstverständlich ein Thema, über das man keine Witze machen kann. Jedenfalls über dieses Werk nicht - es gibt ja humoristische Herangehensweisen selbst an den Nationalsozialismus und den Holocaust. Aber nicht in so einem Kontext. Deswegen habe ich es knapp zusammengefasst, ohne meine üblichen Mittel der platten Witze einzusetzen.

Die Reclamheftchen sind heutzutage knallgelb. Sie benutzen Playmobilmännchen für Ihre Video-Inszenierungen. Wo ist die Verbindung?

Sie haben schon Recht, das hat einen gewissen Signaleffekt, dass man solche Hingucker verwendet. Und Playmobilfiguren sind genau so ein Hingucker wie das Knallgelb im Bücherregal. Das fällt sofort auf. Da weiß man, da ist die Klassikerecke, da ist die Reclam-Ecke. Die Playmobilfiguren sind nichts anderes als Eyecatcher, die dazu dienen, dass die Leute mit den Augen dableiben und mir zuhören bei dem, was ich zu sagen habe. Denn seien wir einmal ganz ehrlich, so furchtbar spannend ist das optisch nicht, was ich da mit den Playmobilfiguren mache. Ich hoffe aber, dass es ausreichend spannend ist. Vielleicht werden da auch so urtümliche Gefühle angesprochen - man fühlt sich an das wohlige Gefühl auf dem Teppichboden im Kinderzimmer erinnert, wo man spielen durfte. Auf diese Weise habe ich die Zuhörer am Haken und kann ihnen mein Literaturgift ins Ohr träufeln.

Wieviel Reclamheftchen haben Sie zuhause?

Das weiß ich nicht. Vielleicht 100. Ich habe in letzter Zeit aber auch sehr viele elektronische Ausgaben gekauft, und zwar tatsächlich aus Platzmangel.

Die Hefte sind doch so klein, die verschwinden doch…

Ja, sie sind klein, aber auch bei kleinen Büchern ist der Raum endlich, den man zur Verfügung hat. Und ich wohne in München, da ist Wohnraum teuer. Viele stehen auch noch auf dem Dachboden meiner Eltern.

Und was haben Sie draufgekritzelt auf Ihre Heftchen?

Ich bin ein großer Ornamentmaler. Wenn mir im Schulunterricht langweilig war, dann habe ich sehr viel Ornamentales draufgemalt auf die gelben Reclams. Ich erinnere mich aber, dass ich bei Amphitryon beispielsweise das Siebentorige Theben auf das Cover gemalt habe. Aber ich hätte bei dem Wettbewerb, den Reclam neulich veranstaltet hat, nichts gewonnen.

Und zum Schluss: Welchen Klassiker haben Sie am meisten gehasst, welches Heftchen war Ihnen das liebste? Oder ist es auch immer noch?

"Kaba und Liebe", so hieß die Ausstellung der schönsten Cover-Verzierungen durch LeserBild: Reclam

Ich weiß, was ich sehr gern hatte.  Anfang der Neunziger, als dieser Film über Cyrano de Bergerac rauskam, gab es eine Reclam-Ausgabe des Stücktextes. Das Cover war fotorealistisch mit einem Bild aus dem Film gestaltet, mit Gérard Depardieu als Cyrano. Das Stück liebe ich sehr, und ich liebte damals auch dieses Reclamheft sehr, als ich es gekauft und mir dann zu Gemüte geführt habe.

Was ich nicht mochte und was wir tatsächlich in der Reclam-Ausgabe in der Schule gehabt haben, das ist Goethes "Iphigenie". Das kann ich bis heute nicht gut leiden. Ich finde, das ist eher eine Quälerei für Leute, die das lesen müssen. Reclam kann dafür eher weniger, aber das projiziert man natürlich darauf. So ist das: Wenn man inhaltlich die Dinge liebt, dann mag man auch die Objekte, in denen sie gespeichert werden.

 

Michael Sommer, geb. 1976,  studierte Literaturwissenschaft in Freiburg und Oxford und arbeitete anschließend als Regisseur, Autor und langjähriger Leitender Schauspieldramaturg am Theater Ulm. Zu seinen neuesten Projekte gehört ein Stück für Eltern ("Gebrauchsanweisung für Eltern und andere Psychos") und ein Aufklärungsstück über psychische Krankheiten. 

Das Gespräch führte Sabine Peschel.

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