Die Schwedische Akademie hat den Gewinner des Literaturnobelpreises bekanntgegeben: Es handelt sich um Abdulrazak Gurnah aus Tansania.
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Jedes Jahr ist es dasselbe Prozedere: Um 13.00 Uhr öffnet sich eine schwere Tür im Börsenhaus in der Stockholmer Altstadt Gamla Stan und der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, Mats Malm, verliest den Namen der Preisträgerin oder des Preisträgers der weltweit renommiertesten Auszeichnung für Literatur. Dieses Jahr ist es der tansanische Schriftsteller Abdulrazak Gurnah. Er erhält den Preis "für sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Schicksals des Flüchtlings in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten", wie Mats Malm erläuterte.
Gurnah habe erst gedacht, ihm spiele jemand einen Streich, als bei ihm das Telefon klingelte. Als Malm weiter mit ruhiger Stimme mit ihm gesprochen habe, sei die Nachricht langsam bei ihm angekommen. Gegenüber der BBC sagte Gurnah, es sei "brillant und wundervoll", mit dem Preis geehrt zu werden. "Ich musste wirklich warten, bis ich die Bekanntgabe gehört habe, bevor ich es glauben konnte."
Kolonialismus und Exil
Der 1948 geborene Autor ist auf der Insel Sansibar aufgewachsen und floh Ende der 1960er-Jahre nach Großbritannien, wo er bis heute lebt. Bis vor kurzem lehrte er an der Universität von Kent englische und postkoloniale Literaturen. Geflohen war Gurnah nach der Unabhängigkeit und der gewalttätigen Revolution auf Sansibar. Mit 20 Jahren begann er zu schreiben.
Gurnah hat zehn Romane und eine Reihe von Kurzgeschichten veröffentlicht. Er nimmt auch immer wieder Bezug auf seine ehemalige Heimat und thematisiert die Kolonialherrschaft der Deutschen und Engländer. Seine Muttersprache ist Swahili, er schreibt jedoch auf Englisch.
In England ist Gurnah einer der bekanntesten Autoren aus dem ehemaligen britischen Empire, seine Romane erscheinen in großen Auflagen bei renommierten Verlagen. Für den deutschen Buchmarkt bedeutet der neue Literaturnobelpreisträger allerdings eher eine Enttäuschung. Auf Deutsch sei derzeit kein Titel von Gurnah lieferbar, berichtete das Fachmagazin "Börsenblatt" in Frankfurt.
Strenge Geheimhaltung, viel Spekulation
Zwar werden die Namen der tatsächlich Nominierten traditionell geheim gehalten (die Liste kann man sogar erst 50 Jahre nach der jeweiligen Verleihung einsehen), doch in den Wochen vor der Bekanntgabe der Literaturnobelpreise verdichten sich die Spekulationen der Experten und Wettbüros auf einen kleinen Kreis einflussreicher Autorinnen und Autoren. In den letzten Jahren wurde immer wieder die Kanadierin Margaret Atwood (u.a. "Alias Grace"/"Der Report der Magd") als potenzielle Preisträgerin gehandelt, neben ihrer Landsfrau Anne Carson.
Auch der Japaner Haruki Murakami, der Kenianer Ngugi wa Thiong'o sowie die Russin Ljudmila Ulitzkaja und Maryse Condé aus dem französischen Überseegebiet Guadeloupe erscheinen immer wieder in der engen Auswahl. Zuletzt kamen der Rumäne Mircea Cartarescu und die Französin Annie Ernaux dazu. Gurnah ist eine überraschende Wahl, ähnlich wie 2020 die US-amerikanische Lyrikerin Louise Glück.
Die Literaturnobelpreisträger seit 2000
Die Preisträger seit der Jahrtausendwende könnten unterschiedlicher kaum sein. Darunter sind eine sarkastische Österreicherin, ein umstrittener chinesischer Autor und ein Norweger, der königlich residiert.
Bild: Jessica Gow/picture alliance
2023: Jon Fosse
Ihn hatte 2023 wohl keiner so richtig auf dem Schirm, obwohl er eigentlich zum Favoritenkreis zählte: Jon Fosse. Der Norweger ist der renommierteste Autor seines Landes und hat auch international eine treue Leserschaft. Der 64-Jährige bewohnt in Oslo eine Künstlerresidenz im Schloss des Königs. Fosses umfangreiches, melancholisch geprägtes Werk wurde schon mehrfach ausgezeichnet.
Bild: Jessica Gow/picture alliance
2022: Annie Ernaux
Der Nobelpreis für Literatur 2022 ging an die Französin Annie Ernaux. Die 82-jährige Autorin stammt aus der Normandie und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Ihr Leben hat sie in ihren Büchern immer wieder autobiografisch verarbeitet. Sie galt schon seit Jahren als Favoritin für den Nobelpreis.
Bild: Ger Harley/EdinburghElitemedia/picture alliance
2021: Abdulrazak Gurnah
Der Überraschungsgewinner 2021 ist der 1948 geborene tansanische Autor Abdulrazak Gurnah. Er wuchs auf Sansibar auf und kam als Flüchtling Ende der 1960er-Jahre nach Großbritannien, wo er seither lebt. Obwohl Swahili seine Muttersprache ist, schreibt Gurnah seine Bücher auf Englisch. Sein vierter Roman "Das verlorene Paradies" (1994) brachte ihm den internationalen Durchbruch.
Bild: Frank Augstein/AP Photo/picture alliance
2020: Louise Glück
Die mit dem Literaturnobelpreis gekrönte US-amerikanische Dichterin und Essayistin hatte in ihrer Heimat bereits viele Auszeichnungen erhalten, darunter den Pulitzer-Preis, den National Book Award sowie die National Humanities Medal, die ihr 2016 von Barack Obama überreicht wurde. Zu ihren bekanntesten Werken zählen "The Triumph of Achilles" (1985) und "Wilde Iris" (1992).
Bild: Daniel Ebersole/Nobel Prize Outreach/Handout/REUTERS
2019: Peter Handke
Der Österreicher wurde mit experimentellen Theaterstücken wie seiner "Publikumsbeschimpfung" von 1966 bekannt. Außerdem schrieb er gemeinsam mit Wim Wenders Drehbücher, darunter "Der Himmel über Berlin". Die Auszeichnung Handkes war wegen seiner Haltung zu den Jugoslawien-Kriegen umstritten. Zudem hatte er 2015 die Abschaffung des Literaturnobelpreises gefordert und ihn als "Zirkus" bezeichnet.
Bild: Franz Neumayr/picturedesk.com/picture alliance
2018: Olga Tokarczuk
Die polnische Schriftstellerin erhielt den Nobelpreis 2018 eigentlich erst 2019 - da die Verleihung nach allerlei Skandalen in der den Preis vergebenden Schwedischen Akademie um ein Jahr verschoben wurde. Die zweifache Gewinnerin des Nike-Preises, dem wichtigsten polnischen Literaturpreis, wurde 2010 schon für ihren Roman "Flights" ("Unrast") mit dem Man Booker International Prize geehrt.
Bild: Krzysztof Kaniewski/Eastnews/IMAGO
2017: Kazuo Ishiguro
Der in Japan geborene britische Romancier, Drehbuchautor und Verfasser von Kurzgeschichten wurde 2017 ausgezeichnet. Kazuo Ishiguros bekanntester Roman "Was vom Tage übrig blieb" ("The Remains of the Day") aus dem Jahr 1989 wurde mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle verfilmt. Ishiguros Werke beschäftigen sich mit Erinnerung, Zeit und Selbsttäuschung.
Bild: Ben Stansall/AFP/Getty Images
2016: Bob Dylan
Der US-amerikanische Singer-Songwriter erhält die Auszeichnung 2016 für seine "poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Gesangstradition" hieß es bei der Bekanntgabe des Preises. In den 1960er Jahren begann seine Karriere als Folksänger, im Zuge der Protestbewegungen avancierte er an der Seite von Joan Baez zur Ikone der Hippie- und Bürgerrechtsbewegung in den USA.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Castello
2015: Swetlana Alexijewitsch
Mit der weißrussischen Autorin würdigte das Nobelkomitee eine neue Form von Autorenschaft: In ihren Reportagen und Essays entwickelte Swetlana Alexijewitsch ihren ganz eigenen literarischen Stil. Sie führte Interviews und verdichtete diese zu emotionalen Collagen des tagtäglichen Lebens. Niemand sonst hat den Zerfall der UdSSR so dokumentiert wie sie, als eine Chronistin menschlichen Leids.
Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance
2014: Patrick Modiano
Krieg, Liebe, Besatzung, Tod: Das sind die Themen, mit denen sich der französische Autor Patrick Modiano beschäftigt, um die Erinnerungen an seine unglückliche Kindheit im Paris der Nachkriegszeit aufzuarbeiten. Für eben diese "ganz besondere Erinnerungskunst" zeichnete ihn die Jury aus. In Frankreich schon lange hochgeschätzt, zählte Modiano bis dahin international eher zu den großen Unbekannten.
Bild: PATRICK KOVARIK/AFP
2013: Alice Munro
2013 gewann die kanadische Schriftstellerin Alice Munro den Literaturnobelpreis. Für die Schwedische Akademie, die den Preis seit 1901 jährlich vergibt, ist sie die "Meisterin der zeitgenössischen Zeitgeschichte". Munros Vorgänger der jüngsten Vergangenheit sind Vertreter unterschiedlichster literarischer Traditionen und Genres.
Bild: CHAD HIPOLITO/empics/picture alliance
2012: Mo Yan
Das Nobelkomitee würdigte Guan Moye, besser bekannt unter seinem Pseudonym Mo Yan, als Autor, der "mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart vereint". Die Entscheidung wurde von chinesischen Künstler-Kollegen wie Ai Weiwei kritisiert. Mo Yan sei dem kommunistischen Regime zu nah.
Ihre Entscheidung für Tomas Gösta Tranströmer begründete die Jury 2011 mit seinen "komprimierten, erhellenden Bildern, die neue Wege zum Wirklichen weisen." In den 1960er Jahren arbeitete der schwedische Dichter als Psychologe an einer Einrichtung für straffällig gewordene Jugendliche. Seine Gedichte wurden in über 60 Sprachen übersetzt.
Bild: Henrik Montgomery/epa/dpa/picture alliance
2010: Mario Vargas Llosa
Der peruanische Schriftsteller erhielt den Nobelpreis für "seine Kartografie von Machtstrukturen und seine energischen Bilder des individuellen Widerstands, der Rebellion und Niederlage." In Lateinamerika ist er vor allem für seinen 1990 im Fernsehen geäußerten Satz "Mexiko ist die perfekte Diktatur" und seine Faustattacke gegen den früheren Freund Gabriel García Márquez 1976 bekannt.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Riedl
2009: Herta Müller
Die deutsch-rumänische Schriftstellern zeichne "mittels der Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit", so die Begründung der Jury zur letzten deutschsprachigen Gewinnerin. In ihren Werken kritisiert sie das autoritäre Ceaușescu-Regime, das Rumänien bis 1989 regierte. Ihr Roman "Atemschaukel" (1990) wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt.
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2008: J.M.G. Le Clézio
Le Clézio sei der "Verfasser des Aufbruchs, des poetischen Abenteuers und der sinnlichen Ekstase" und der "Erforscher einer Menschlichkeit außerhalb und unterhalb der herrschenden Zivilisation", begründete die Akademie damals die Auszeichnung. Jean-Marie Gustave Le Clézio ist der Sohn einer Französin und eines Mauritiers. Den Inselstaat im Indischen Ozean nennt er sein "kleines Vaterland".
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2007: Doris Lessing
Zum Werk der britischen Autorin gehören unter anderem Romane, Theaterstücke und Kurzgeschichten. Die Akademie würdigte Lessing als "Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat." Sie engagierte sich gegen Atomkraft und war eine lautstarke Gegnerin des Apartheid-Regimes in Südafrika.
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2006: Orhan Pamuk
Ferit Orhan Pamuk, "der auf der Suche nach der melancholischen Seele seiner Heimatstadt neue Sinnbilder für Streit und Verflechtung der Kulturen gefunden hat", war der erste türkische Literaturnobelpreisträger. Mit elf Millionen verkauften Büchern in mittlerweile 35 Sprachen ist er der meistgelesene türkische Schriftsteller weltweit. Eine literarische Hommage an seine Stadt, Istanbul.
Bild: Peter Steffen/dpa/picture alliance
2005: Harold Pinter
Der britische Dramatiker starb drei Jahre nach der Auszeichnung an Lungenkrebs. Harold Pinter habe in seinen Dramen "den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz freilegt" und sei "in den geschlossenen Raum der Unterdrückung" eingebrochen, so die Begründung der Jury. In vielen seiner Stücke übernahm er selbst Rollen und führte Regie.
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2004: Elfriede Jelinek
Die österreichische Schriftstellerin bekam den Nobelpreis für "den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen", der soziale Klischees enthülle. Ein zentrales Thema in Jelineks Werken ist die weibliche Sexualität. Ihr Roman "Die Klavierspielerin" (1983) ist die Vorlage für die gleichnamige Verfilmung aus dem Jahr 2011 mit der Französin Isabelle Huppert in der Hauptrolle.
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2003: John M. Coetzee
John Maxwell Coetzee porträtiere "die Teilhaftigkeit des Menschen an der Vielfalt des Daseins in oft überrumpelnder Weise", lobte die Jury den Autoren. Neben dem Literaturnobelpreis hat der Südafrikaner bereits zwei Mal den renommierten Man Booker Prize erhalten. Sein wohl bekanntester Roman "Schande" (1999) beschäftigt sich mit der Postapartheid-Ära in Südafrika.
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2002: Imre Kertész
Der jüdisch-ungarische Auschwitz-Überlebende erhielt den Preis für sein Werk, in dem er "die fragile Erfahrung des Individuums gegen die barbarische Willkürlichkeit der Geschichte stellt". Kertész beschrieb in seinen Romanen das Grauen der Konzentrationslager. An seinem "Roman eines Schicksalslosen", eine der eindrucksvollsten Erzählungen über den Holocaust, arbeitete er über 13 Jahre.
Naipaul bekam den Preis für seine Erzählkunst, "in der er eine besonders sensible Wahrnehmung mit unbestechlicher Genauigkeit vereint, um uns zu zwingen, die Gegenwart unterdrückter Historien" zu erkennen. Der indisch-britische Schriftsteller hat die Freiheit des Individuums in einer im Niedergang begriffenen Gesellschaft zu seinem Thema gemacht, in verschiedenen Gegenden und Kulturen der Welt.
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2000: Gao Xingjian
Der erste Literatur-Nobelpreisträger des neuen Jahrtausends war ein Chinese, der seit 1987 in Paris lebt, als Schriftsteller, Dramatiker und Maler. Ausgezeichnet wurde er für "ein Werk von universeller Gültigkeit", das von "bittere Einsichten und sprachlichen Reichtum" gekennzeichnet sei und das dem chinesischen Roman und Schauspiel neue Wege eröffnet habe.
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Keine deutschen Autoren unter den Favoriten
Als bislang letzter deutschsprachiger Autor bekam der Österreicher Peter Handke 2019 die Auszeichnung verliehen, zuvor ging sie an Herta Müller (2009), Elfriede Jelinek (2004), Günter Grass (1999), Heinrich Böll (1972), Hermann Hesse (1946) und Thomas Mann (1929). Während der Literaturnobelpreis nur eine herausragende literarische Persönlichkeit auszeichnet, werden die wissenschaftlichen Nobelpreise häufig an zwei oder drei Preisträgerinnen und Preisträger auf einmal vergeben, zum Beispiel wenn sie gemeinsam zum selben Themenfeld geforscht haben.
In der ersten Wochenhälfte waren in Stockholm die diesjährigen Preisträger in Medizin, Physik und Chemie verkündet worden. Mit dem Meteorologen Klaus Hasselmann und dem Chemiker Benjamin List waren darunter auch zwei Deutsche. Insgesamt wurden in den drei bisherigen Kategorien sieben Preisträger benannt - Frauen waren dieses Jahr nicht dabei.
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Hoch dotiert in allen Kategorien
Alle Nobelpreise sind wie im Vorjahr mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 980.000 Euro) je Kategorie dotiert. Die Auszeichnungen werden traditionell am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, verliehen. Am Freitag, dem 8.Oktober 2021, folgt die Bekanntgabe des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers, der als einziger in der norwegischen Hauptstadt Oslo gekürt wird.
Zurück in Stockholm werden dann zum Abschluss die Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften verkündet. Diese Kategorie ist die einzige, die nicht auf das Testament von Preisstifter und Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833-1896) zurückgeht.