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Bob Dylan: "Der größte lebende Dichter"

Sabine Peschel | Jürgen Brendel
13. Oktober 2016

Seit rund zwanzig Jahren wurde Bob Dylan regelmäßig für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Jetzt, wo ihn merkwürdiger Weise kaum noch jemand als Favoriten auf der Liste hatte, wurde er dem Songschreiber zugesprochen.

Bob Dylan
Bild: picture alliance/dpa/D. Castello

Die Journalisten in Stockholm jubelten, als die Entscheidung des Nobelkomitees verkündet wurde. Sicherlich wird es auch Kritiker geben, die fragen, ob es denn in diesem Jahr keinen "echten" Literaten gegeben hätte, dem man den Literaturnobelpreis hätte zuerkennen können. Die meisten aber dürften die literarische Leistung des wichtigsten Songschreibers des vergangenen Jahrhunderts anerkennen.

Eine Ikone der Musikgeschichte

Literaturnobelpreis geht an Bob Dylan

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Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist Bob Dylan eine der einflussreichsten Figuren der Popmusik. "Er hat den Status einer Ikone. Sein Einfluss auf die zeitgenössische Musik geht tief", befand das Nobelkomitee. Die Entscheidung für Dylan sei mit großer Einigkeit gefallen, erklärte Sara Danius, die Ständige Sekretärin der Nobel-Akademie, bei der Bekanntgabe am Donnerstag (13.10.16) Mittag. Dylan erhalte den Preis für die Schaffung "neuer poetischer Ausdrucksformen" in der großen Tradition der amerikanischen Musik. Er  kreiere mit seinen Liedtexten Bilder, "Poesie für die Ohren". Akademiemitglied Per Wastberg hält ihn für "den wahrscheinlich größten lebenden Dichter".

Der am 24. Mai 1941 geborene Dylan prägt die Folk- und Rockszene seit rund fünfeinhalb Jahrzehnten. Mit Songs wie "Blowin' In the Wind" und "The Times they Are A-Changin" schrieb er Musikgeschichte und wurde zu einem der Wegbereiter des Rock. Ein Idol wollte er trotzdem nie sein. Der Sänger mit der Krächzestimme hat sich allen Kategorisierungen immer wieder entzogen. Legendär ist sein Auftritt beim Newport-Folkfestival 1965, als er die akustische durch die E-Gitarre ersetzte und damit eingefleischte Folk-Fans nachhaltig vergrätzte. Die Anhänger waren mehr als irritiert: Sie sahen das Konzert als Verrat an der Folkmusik an und buhten Dylan aus.

Bob Dylan im Jahr 1975 Bild: picture-alliance/akg-images

Der Folkkünstler Dylan

Bis dahin war seine Karriere relativ geradlinig verlaufen. Noch unter seinem Geburtsnamen Robert ("Bobby") Allen Zimmerman spielte der aus Duluth in Minnesota stammende Gitarrist und Pianist zunächst Mitte der 1950er-Jahre Rock'n'Roll in Highschool-Bands. Das Faible für die neue Folk-Bewegung entdeckte der aus einer jüdischen Familie stammende junge Mann 1959 in seinem Studienort Minneapolis. Der Songwriter-Tramp Woody Guthrie und die US-Linken-Ikone Pete Seeger wurden ihm nun wichtiger als Little Richard oder Gene Vincent.

Es verschlug den jungen Dylan in den New Yorker Szene-Stadtteil Greenwich Village. Hier fiel er der bereits berühmten Joan Baez auf, die ihn auf ihre Tournee mitnahm. So erhielt er nicht nur die Chance, seine Songs vor einem großen Publikum zu spielen, sondern etablierte sich auch als politische Protestfigur. Wilde, wütende Lieder qualifizierten Dylan für die Protest-Folk-Bewegung. In "Masters Of War" erhebt er Anklage gegen skrupellose Waffendealer und Kriegsherren, in "A Hard Rain's A-Gonna Fall" wünscht er sich andere (bessere) Zeiten. Manche interpretieren den Song auch als Anti-Atom-Hymne. Zusammen mit Joan Baez trat er 1963 beim Marsch der Bürgerrechtler, dem "Civil Rights March", auf. Bob Dylan trat aus dem Schatten seiner Mentorin, und sein Einfluss in der Szene wuchs stetig - und ist immer noch spürbar. Laut dem "Newsweek"-Magazin ist Dylan so wichtig für die Popmusik wie Einstein für die Physik.

Poetische Tiefe

Seine mit Metaphern und Anspielungen durchsetzten Texte sind von beispielloser Qualität. "Die Mehrzahl der Protestsongs sind dümmlich. Ihnen fehlt jede Schönheit. Im Gegensatz dazu sind Bob Dylans Songs voller Kraft, als Lyrik und als Musik", schwärmte einst Joan Baez. "Bob drückt aus, was all die Kids sagen wollen. O mein Gott, wie der Junge singen kann. Er kann einen so furchtbar anrühren."

Bob Dylans alter Fender StratocasterBild: picture-alliance/dpa

U2-Sänger Bono sagte über den gesellschaftskritischen Song "Like A Rolling Stone", dass Dylan es schaffe, mit seinen Worten Wein zu Essig zu machen. Hier ist Dylan geradezu gehässig und labt sich buchstäblich an dem Leid einer einstigen High Society-Prinzessin, die ins Elend abgestürzt ist. Niemand singt die Zeile "How does it fee-ee-eel" so wie Bob Dylan es konnte - na, wie fühlt sich das an, plötzlich ganz allein zu sein?

Dylans Einfluss auf viele Musiker ist enorm. Zahlreiche Songs aus seiner Feder sind von anderen gecovert worden, unter anderen von Joan Baez, Cher und Eric Clapton, sein "Blowin' in the Wind" von The Hollies, das energetische "All along the Watchtower" in einer einzigartigen Version von Jimi Hendrix oder "Knockin' on Heaven's Door" von Guns N' Roses. Das Fachmagazin "Rolling Stone" sieht mit "Blonde on Blonde" und "Highway 61 Revisited" zwei Dylan Alben unter den Top Ten der 500 besten Alben aller Zeiten. Ganz oben rangiert auch sein Song "Like a Rolling Stone".

Schwierige Jahre

Nach einem Motorradunfall im Sommer 1966 zog sich Dylan aus der Öffentlichkeit zurück, ließ die von ihm geprägte Gegenkultur links liegen und lebte mit seiner Ehefrau Sara Lowndes und den gemeinsamen Kindern nahe Woodstock bei New York. Als dort 1969 das wichtigste Festival des Jahrzehnts über die Bühne ging, war ausgerechnet der neben den Beatles und den Rolling Stones wichtigste Rock- und Pop-Pionier nicht dabei. Diese Auszeit bedeutete auch eine Befreiung von einem kräftezehrenden Terminkalender und einem krankmachenden Lebensstil als Rockmusiker. Die 70er-Jahre waren eine wechselhafte, schwierige Zeit für Dylan: die Trennung von Sara Lowndes, eine gewisse künstlerische Stagnation und am Ende des Jahrzehnts eine Hinwendung zum Christentum, die ihm erneut von Fans übelgenommen wurde. Auch für die 80er fällt die Bilanz im Rückblick durchwachsen aus: einige schwache Platten, Alkoholprobleme, chaotische Konzerte. Auf der Habenseite stehen eine zweite Heirat, kommerzielle Erfolge mit der All-Star-Band Traveling Wilburys und der Beginn der berühmten "Never Ending Tour" mit 100 Konzerten pro Jahr seit 1988.

Joan Baez und Bob DylanBild: picture alliance/AP Images

Unzählige Auszeichnungen und Ehrungen

Dylans Auszeichnungen sind kaum noch zu zählen: elf Grammys, der Oscar für einen Filmsong, der Pulitzer-Preis für "lyrische Kompositionen von außerordentlicher poetischer Kraft", die 2012 von Präsident Barack Obama verliehene "Presidential Medal of Freedom" als höchste zivile Auszeichnung der USA. Ach ja, als Schauspieler war Bob Dylan auch aktiv, zum Beispiel in "Pat Garrett jagt Billy the Kid" von 1973. Rund 100 Millionen Tonträger soll er bis heute verkauft haben, und er wird es sicher verschmerzen, dass dies weniger sind als bei Justin Bieber.

Bob Dylan beim Gurtenfestival in Bern Bild: picture alliance/KEYSTONE/STR

Bob Dylan selber denkt nicht öffentlich darüber nach, was seine Rolle in der Musikgeschichte ist. Das hat jetzt das Nobelpreiskomitee für ihn getan.

 

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