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Literatur

Geteiltes Echo auf Nobelpreis für Peter Handke

Sabine Peschel
10. Oktober 2019

Beide Preise blieben in Europa. Eine Absage an Political Correctness sehen Kritiker in der Auszeichnung von Peter Handke. Manche loben ihn als großen Autor, andere reagieren mit Entsetzen.

Schweden Stockholm Nobelpreis Literatur 2019 Autor Peter Handke
Bild: picture-alliance/K. Schöndorfer

Es ist eine sehr lange Liste. 95 Werke von Peter Handke führt das Nobelpreiskomitee unter den biografischen Angaben zum Preisträger des Jahres 2019 auf. Bücher, die der Österreicher seit seinem 24. Lebensjahr veröffentlicht hat. Der Erstlingsroman "Die Hornissen", erschienen 1966 bei Suhrkamp, machte ihn noch nicht international bekannt. Aber schon "Die Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke", noch im selben Jahr veröffentlicht, etablierte ihn als einen nicht übersehbaren, oft gefeierten Schriftsteller und viel gespielten Theaterautor. Dem jetzt, im Alter von 76 Jahren, mit dem Literaturnobelpreis die höchste Ehrung zu Füßen gelegt wird, die die Literaturwelt zu vergeben hat.

"Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" (1969), "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1970), "Wunschloses Unglück" (1972),"Der kurze Brief zum langen Abschied"(1972), "Die linkshändige Frau" (1976), "Versuch über die Müdigkeit" (1989) – viele von Handkes Titeln, vor allem die frühen, sind im deutschsprachigen Raum ins kollektive Bewusstsein eingegangen, so etwas wie sprichwörtlich geworden. Man kennt sie, selbst wenn man die Bücher nicht gelesen hat. Die Schwedische Akademie, die für das Nobel-Komitee den – oder wie in diesem Jahr die – Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger findet, ehrt Handke dafür, dass er in seinen Werken "mit linguistischem Einfallsreichtum die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht hat". Er habe sich seit seinem Debütroman mit Werken in verschiedenen Genres als einer der einflussreichsten Schriftsteller der europäischen Nachkriegszeit etabliert, begründet der Vorsitzende des Nobelkomitees, Anders Olsson, die Entscheidung.

Ungeheuer produktiv und stark polarisierend

Handke ist unzweifelhaft einer der produktivsten Autoren der Gegenwart - aber auch einer der umstrittensten. Der Vielschreiber polarisiert seit seinen Anfängen, also seit mehr als 50 Jahren. 1966, noch vor der "Publikumsbeschimpfung" wurde er fast über Nacht bekannt: In einer bei einem Treffen in Princeton gehaltenen Schmährede attackierte er den legendären Literatenzirkel Gruppe 47, zu der damals honorige Autoren wie Günter Grass, Hans-Werner Richter und Hans-Magnus Enzensberger gehörten. "Beschreibungsimpotenz" attestierte er der Runde. Es war der Aufmerksamkeit heischende Beginn einer äußerst kreativen Karriere.

Der 1942 in einem kleinen Ort im österreichischen Bundesland Kärnten geborene Schriftsteller provozierte, seitdem er nach einem abgebrochenen Jurastudium als Schriftsteller antrat, mit seinen Werken und mit seiner politischen, manche meinen auch, seiner menschlichen Haltung. Schon in der "Publikumsbeschimpfung" vor 53 Jahren in Frankfurt beleidigte er die Theaterbesucher, indem er sie von den Schauspielern als "Glotzaugen", "Rotzlecker" und "Nichtsnutze" beschimpfen ließ. Trotzdem schrieb Handke mit seinen mehr als 20 Stücken Theatergeschichte, wurde und wird auf den besten Bühnen nicht nur deutschsprachiger Länder gespielt. Die Jury des österreichischen Nestroy-Preises ehrte ihn 2018 für sein Lebenswerk.

Ein geteiltes Echo

Unsterblich machte ihn auch sein Drehbuch "Der Himmel über Berlin", das die deutsche Regielegende Wim Wenders verfilmte. "Wer sonst?", kommentierte der Regisseur dann auch hocherfreut die Nobelpreis-Entscheidung. Die Begeisterung teilt naheliegender Weise auch der Chef von Handkes Berliner Verlag Suhrkamp, Jonathan Landgrebe. Der französische Verlag Gallimard, in dem mehr als zehn Bücher von Handke in Übersetzung erschienen sind, zuletzt im Mai "Kindergeschichte", freut sich selbstverständlich auch. Der Autor lebt seit mehr als 30 Jahren südlich von Paris, und möglicherweise ist er in Frankreich beliebter als in Deutschland, Norwegen oder Albanien.

Szene aus dem Film von 1987 "Der Himmel über Berlin" mit Bruno GanzBild: STUDIOCANAL

Denn viele Kritiker haben dem zornigen Autor seine Haltung während des Balkankriegs nicht verziehen. Handke stand auf der Seite Serbiens, verurteilte die Nato für ihre Luftschläge und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawischen Ex-Diktators Slobodan Milosevic eine Rede.

Begeisterung und Kritik

Entsprechend zurückhaltend fiel die Gratulation Monika Grütters' aus. Die Staatsministerin für Kultur und Medien bemerkte, Handke habe sich nie dem Zeitgeist unterworfen, sondern sei immer unbequem geblieben. Mit seiner Provokationslust habe er so manches politische Tabu gebrochen.

Andere reagierten geradezu entsetzt. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) kritisierte die Nobel-Entscheidung scharf. "Es ist vollkommen unverständlich, warum das Nobelpreiskomitee die intellektuelle Unterstützung für den Völkermord auszeichnet", empörte sich Jasna Causevicdie, GfbV-Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung.

Peter Handke selber zeigte sich "sprachlos und gerührt". Sicherlich freut er sich über die Äußerung, mit der die erste österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (2004) auf Handkes Ehrung reagierte: "Großartig! Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen", teilte sie der österreichischen Nachrichtenagentur APA mit.

"Der kurze Brief zum langen Abschied" von Peter Handke

02:06

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