1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Dissident ohne Feinde, ohne Hass

13. Juli 2017

Mit Liu Xiaobo ist ein wichtiger Kritiker von Chinas KP nach jahrelanger Haft gestorben. Der Friedensnobelpreisträger hatte friedlich für Demokratie gekämpft.

Friedensnobelpreis 2010 für Liu Xiaobo
Bild: picture-alliance/NTB scanpix

Liu Xiaobo war ein echter chinesischer Patriot: ein Mann mit einer Vision, mit einer Mission für sein Land. Er ließ sich nicht einschüchtern von der schier allmächtigen Kommunistischen Partei. Mit bewundernswerter Unbeugsamkeit hielt er an seiner Überzeugung fest, dass eben nicht die Ein-Parteien-Diktatur der KP das Beste für China und die Chinesen sei, sondern Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit. Dass ihn diese Haltung in Schwierigkeiten bringen konnte, war Liu Xiaobo klar: "Die Freiheit zu verlieren, gehört zum Berufsrisiko des Dissidenten", sagte Liu bei einem DW-Interview in der Lobby eines Hotels im Sommer 2007. Damals, im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking, gaben sich die chinesischen Behörden ausländischen Medien gegenüber etwas offener. In der Lobby saß ein kleiner, fast zarter Mann mit kurzen Haaren und Brille - ein Intellektueller wie aus dem Bilderbuch. Aber einer mit eisernem Willen, verbunden mit Liebenswürdigkeit; mit grenzenlosem Mut, gepaart mit Humor.

Bekanntschaft mit dem Gefängnis hatte Liu damals schon gemacht, ausgiebig: Dreimal saß Liu in den 1990er Jahren hinter Gittern, insgesamt knapp fünf Jahre. Das erste Mal nach der gewaltsamen Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung im Juni 1989. Liu war kurz zuvor eigens von einem Forschungsaufenthalt in den USA nach China zurückgekehrt. Er wollte persönlich Teil der Demokratiebewegung sein. In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 spielte er eine wichtige Rolle, als er für eine Gruppe von Studenten, die auf dem Tiananmen-Platz demonstriert hatten, den friedlichen Abzug aushandelte - auf diese Weise sorgte Liu dafür, dass bei dem militärischen Angriff der chinesischen Führung gegen ihre eigene Bevölkerung nicht noch mehr Menschen ums Leben kamen. Das Massaker vom Tiananmen hat Liu geprägt. Als Überlebender hielt er es für seine Pflicht, für die Getöteten um Gerechtigkeit zu kämpfen. "Ich habe den Verstorbenen gegenüber eine Art Pflichtgefühl, das ich nie loswerden kann", sagte Liu im DW-Interview 2007.

Chinas Führer schießen 1989 aufs Volk: Das Massaker vom Tiananmen prägte Liu XiaoboBild: AP

Charta 08

Im Dezember 2008 veröffentlichte Liu Xiaobo zusammen mit mehr als 300 weiteren chinesischen Intellektuellen und Bürgerrechtsaktivisten dieCharta 08 . Dieses Manifest forderte demokratische Reformen in China ein - auf friedlichem Wege. 19 Maßnahmen wurden aufgelistet, um die Menschenrechtssituation in China zu verbessern. Gefordert wurden unter anderem eine unabhängige Justiz, die Freiheit, Vereinigungen zu gründen, ein Ende des Einparteiensystems. Das Regime verstand das als Frontalangriff - der umso bedrohlicher erschien, weil sich Intellektuelle aus sehr unterschiedlichen und oft zerstrittenen Lagern hinter das Manifest stellten.

Nur Tage nach der Veröffentlichung wurde Liu als Hauptinitiator festgenommen. Das Glück einer unabhängigen Justiz hatte Liu Xiaobo nicht. Am 25. Dezember 2009 wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt, wegen "Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt". John Kamm, Gründer der US-Rechtshilfegruppe "Dui Hua" (Dialog) konstatierte, Liu habe die längste Haftstrafe erhalten, seit 1997 das Delikt der versuchten Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt eingeführt worden war. Eine perfide Prozessregie hatte die Urteilsverkündung auf den 25. Dezember 2009 gelegt. Chinas Führung wusste: Über Weihnachten sind viele Peking-Korrespondenten ausländischer Medien in ihrer Heimat; dieser Zeitpunkt garantierte international die geringste Aufmerksamkeit und die wenigsten negativen Schlagzeilen.

Demonstranten, Politiker, Prominente forderten seit Jahren Liu Xiaobos Freilassung - ohne ErgebnisBild: AP

"Ich habe keine Feinde"

Die Reaktion Liu Xiaobos auf seine Verhaftung, seinen Prozess, und das Urteil konnte die Welt im Februar 2010 nachlesen.In einem Essay schrieb der Dissident unter anderem: "Ich möchte dem Regime, das mir meine Freiheit vorenthält, sagen: Ich habe keine Feinde". Darin schloss Liu selbst Polizisten, Staatsanwälte und Richter ausdrücklich ein: "Ich akzeptiere eure Überwachung, euren Arrest, eure Urteile nicht. Aber ich respektiere euren Beruf und eure Persönlichkeiten." Liu wandte sich auch gegen den Hass: "Der Hass zerfrisst die Weisheit und das Gewissen einer Person. Das Feinddenken kann den Geist einer Nation vergiften, Toleranz und Menschlichkeit zerstören und den Weg zu Fortschritt und Demokratie verstellen. Ich hoffe, in der Lage zu sein, die Feindseligkeit des Regimes mit besten Absichten zu erwidern und Hass mit Liebe zu entschärfen."

Dieser Text Liu Xiaobos wurde verlesen, als er seinen vielleicht bekanntesten "Auftritt" hatte: Ein leerer Stuhl stand für den politischen Häftling auf dem Podium, als Liu am 10. Dezember 2010 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Das Norwegische Nobelpreis-Komitee hatte Liu die Auszeichnung Preis für seinen "langen und gewaltlosen Kampf für fundamentale Menschenrechte in China" zuerkannt.

Sippenhaft für Lius Frau

Noch nicht einmal Liu Xiaobos Ehefrau Liu Xia durfte stellvertretend für ihn nach Oslo reisen. In einer Art Sippenhaft steht die Künstlerin seit 2010 unter Hausarrest. Zuvor, als Journalisten noch mit ihr sprechen konnten, hatte sie der Deutschen Welle über ihren Mann gesagt: "Liu Xiaobo ist unglaublich willensstark. Wenn er an ein Ziel glaubt, wird er in diese Richtung gehen. Selbst wenn er weiß, dass er es nie erreichen kann. Er hat so etwas unglaublich Stures an sich."

Sippenhaft: Liu Xiaobos Frau Liu Xia steht seit Jahren unter HausarrestBild: dapd

Alle Appelle an die chinesische Regierung, den mittlerweile erkrankten Dissidenten aus der Haft zu entlassen, liefen ins Leere. Ende Juni 2017 war Liu Xiaobo dann doch aus dem Gefängnis gekommen - aber nur, um umgehend ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Wegen einer Leberkrebserkrankung im Endstadium habe man Liu "Bewährung zur medizinischen Behandlung" gewährt, erklärte sein Anwalt Shang Baojun. Sein letzter Wunsch, ihn gemeinsam mit seiner Frau zur Behandlung ins Ausland reisen zu lassen, blieb unerfüllt.

Am 13. Juli ist Liu Xiaobo an Leberkrebs verstorben. Er wurde 61 Jahre alt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen