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Literatur

"Liu Xiaobo bezahlte mit seinem Leben"

Sabine Peschel
13. Juli 2017

Die Menschenrechtsaktivistin Tienchi Martin-Liao war mit Liu Xiaobo befreundet und hat lange für seine Ausreise nach Deutschland gekämpft. Im DW-Interview klagt sie nach seinem Tod die chinesische Regierung an.

Hong Kong | Trauer um  Liu Xiaobo
Bild: picture-alliance/AP Photo/Kin Cheung

Die chinesisch-deutsche Menschenrechtsaktivistin Tienchi Martin-Liao ist Vorsitzende des inoffiziellen Chinese PEN - ein Amt, das sie als Stellvertreterin Liu Xiaobos übernommen hatte. Sie hat seine Schriften herausgegeben und stand nach seiner Verhaftung in engem Kontakt mit der Ehefrau des Friedensnobelpreisträgers, Liu Xia. Als wir mit ihr sprachen, war sie von seinem Tod zutiefst betroffen.

Deutsche Welle: Wie Carl von Ossietzky 1938 ist heute der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo unter unerträglichen Bedingungen als Häftling auf dem Krankenlager gestorben.

Tienchi Martin-Liao: Für die chinesischen Offiziellen ist er noch immer ein Verbrecher, ein Krimineller. Seine Familie soll anscheinend nicht einmal ein Grab für ihn suchen dürfen. Seine Angehörigen dürfen gar nichts. Die paar Leute, die sich getraut haben, zum Krankenhaus zu kommen, sind alle verhaftet worden. Das ist eine solche Barbarei - ich habe dafür keine Worte mehr. Ich habe wirklich keine Worte, das ist noch schlimmer als in der Nazizeit.

Tienchi Martin-Liao ist Vorsitzende des inoffiziellen Chinese PENBild: Getty Images/AFP/T. Aljibe

Was glauben Sie, bedeutet sein Tod für seine seit vielen Jahren unter Hausarrest stehende Ehefrau Liu Xia?

Ich glaube, wir müssen alle Kraft einsetzen, um sie zu retten. Sonst wird sie nicht überleben. Sie werden sie isolieren. Sie werden ihr das Leben so zur Hölle machen, dass sie nicht mehr weiterleben können wird. Das ist meine volle Überzeugung. Der chinesische Apparat weiß natürlich, dass Liu Xia als die Person, die Liu Xiaobo am nächsten stand, mehr als alle anderen weiß. 

Aber auch sie hat erst vor kurzem erfahren, wie schwerkrank er war. Seit dem 26. Juni war sie bei ihm, die ganzen letzten Tage. Ich kann nicht beurteilen, ob sie die beiden Tag und Nacht überwacht haben, aber es gab ganz sicherlich Gelegenheiten, dass er ihr etwas ins Ohr flüstern konnte. Insofern bin ich sicher: Sie weiß einiges. Und da wird die Regierung sie nicht frei laufen lassen. Auch sie wird wie ein Schwerverbrecher permanent überwacht.

Hatten Sie schon Kontakt mit ihr?

Nein, sie ist seit dem 26. Juni von allen Kommunikationsmöglichkeiten abgeschnitten.

Liu Xia am Krankenbett von Liu XiaoboBild: picture-alliance/AP

Haben Sie noch die Hoffnung, dass sie nach Deutschland kommen kann?

Jetzt kommt es wirklich darauf an. Die Merkel-Regierung hat noch bis letzte Woche eine leise Diplomatie betrieben. Wahrscheinlich haben sie Xi Jinping hinter verschlossenen Türen um eine bessere Behandlung oder eine Ausreisegenehmigung für den Friedensnobelpreisträger gebeten. Aber das hat alles nichts genützt. Jetzt ist es absolut an der Zeit, dass die Regierung sich mit allen Mitteln für Liu Xia einsetzt. Diese Frau hat doch nichts verbrochen - man darf sie doch nicht festhalten!

Was hat China mit Liu Xiaobo verloren?

China hat mit Liu Xiaobos Tod verloren, dass man es jemals wieder als einen zuverlässigen Partner betrachten kann. Diese grausame, antihumanitäre Behandlung zeigt, dass China ein unzuverlässiges, unberechenbares, unzivilisiertes Regime ist. Mir ist klar, dass Europa versucht, neben den USA mit Trumps neuer Weltpolitik, einen neuen Partner zu finden, und dabei nach China blickt. Aber mit diesem einen Akt hat man gesehen, wie das Regime dasteht. 

Wenn man trotzdem noch weiter mit China unbehelligt Geschäfte treibt, und Projekte macht und zusammen was aufbaut, dann ist das ein Verrat an jeglicher Moral und Humanität. Dann kann auch Europa nicht mehr behaupten, dass wir eine kultivierte Gesellschaft sind. Die universellen Menschenrechte kann man nicht ablehnen. Aber China hat wieder bewiesen, wie weit entfernt dieses Land von unseren Universalwerten ist.

Für Xi Jinping wäre das diesmal eine Chance gewesen: Hätte er Liu Xiaobo freigegeben, dann hätte er bei anderen Ländern an Vertrauen und Ansehen gewonnen. Aber diese Chance haben er und seine Partei verpasst.

Für Liu Xiaobo: Tienchin Martin-Liao bei einer Solidaritätsveranstaltung des Internationalen Literaturfestivals Berlin 2016Bild: DW/S. Peschel

Wird Liu Xiaobos Werk und die Charta 2008 in Zukunft für China noch wichtig sein? Was hinterlässt dieser einst so populäre Intellektuelle?

Ich habe in diesen Tagen einige seiner Artikel noch einmal gelesen. Es stehen so wunderbare Sachen darin: so klare Analysen, so substantielle Kritik, nicht nur an der Gesellschaft und Politik, sondern auch am - wie soll ich sagen - chinesischen Charakter. Das sind so wertvolle Erkenntnisse. Ich denke, es ist wichtig, dass wir die Schriften von Liu Xiaobo wieder heraussuchen und sie noch einmal lesen. Vielleicht weniger für westliche Leser, viel wichtiger ist, dass die Chinesen seine Sachen lesen. Auch, damit sie wissen, was für einen tollen Menschen sie verloren haben.

Haben die Menschen in China denn eine Chance, an seine Publikationen zu kommen?

Weit verbreitet nicht. Aber in Intellektuellenkreisen ist es möglich. Und ich hoffe es, dass die Leute Mut kriegen, dass sie weiter sagen, so nicht mit uns, so nicht mit Liu Xiaobo. Meiner Meinung nach war Liu Xiaobo einmalig: Er war mutig, er schloss keine Kompromisse. Er wusste, dass er mit seiner Freiheit und mit seinem Leben bezahlen musste, wenn er sich frei äußerte. Aber er tat es trotzdem. Und ich hoffe, dass dies seine Freunde und Kollegen und die junge Generation ermutigt, aufzustehen und zu sagen: nicht mit uns! Wir haben nichts verbrochen, und ihr könnt uns nicht verhaften, wenn wir Liu Xiaobos Schriften lesen!

Liu Xia, die Frau des Friedensnobelpreisträgers, 2010 - mit einem Bild aus besseren ZeitenBild: dapd

Das Gespräch führte Sabine Peschel.

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