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Politik

Liz Truss - auf den Spuren der eisernen Lady

Barbara Wesel
5. September 2022

Sie sieht Margaret Thatcher als Vorbild und blieb Großbritanniens Premier Boris Johnson bis zum Ende treu. Seit seinem Sturz kämpfte Liz Truss darum, ihn zu beerben. Nun hoben die Tories sie auf den Stuhl.

Großbritannnien Liz Truss
Die britischen Konservativen wollen Liz Truss als neue Premierministerin habenBild: Jacob King/REUTERS

An skurrilen Auftritten mangelt es ihr wahrlich nicht. Beim Tory-Parteitag 2014 sprach Liz Truss als Vertreterin des Landwirtschaftsministeriums über die Qualität britischer Lebensmittel, schwärmte von britischem Weizen und dem Verkauf von Yorkshire Tee an China. Dann aber donnerte sie plötzlich, Großbritannien importiere zwei Drittel seines Käses aus dem Ausland: "Das ist eine Schande!" Den Delegierten blieb das Sandwich quasi im Hals stecken.

Und dann gibt es das Zitat aus ihrer Zeit im Justizministerium, als sie im Unterhaus nach Maßnahmen gegen Drohnen gefragt wurde, die in Gefängnissen zum Drogentransport genutzt würden. Es gebe in einer der betroffenen Haftanstalten jetzt besondere Wachhunde, erklärte Liz Truss dazu, und die würden in dem Fall bellen. In den sozialen Medien kursieren diese und ähnlich bizarre Auftritte der Kandidatin, mit denen ihre Gegner ihre Eignung und Vernunft infrage stellen. 

Nun wird sie Boris Johnson an der Spitze der Konservativen Partei und damit auch als Premier nachfolgen. Die Tories wählten sie per Mitgliederentscheid mit 57,4 Prozent der abgegebenen Stimmen zur neuen Vorsitzenden. Damit ist sie als künftige Regierungschefin gesetzt. Die Außenministerin galt bereits zuvor als Favoritin, in letzten Umfragen lag sie deutlich vor ihrem Rivalen und Ex-Finanzminister Rishi Sunak, auf den jetzt 42,6 Prozent der Stimmen entfielen. Die bis zu 200.000 Parteimitglieder konnten in den vergangenen Wochen per Brief oder online abstimmen, wer Johnson ablösen soll. Dieser will am Dienstag offiziell seinen Rücktritt als Regierungschef bei Queen Elizabeth II. einreichen.

Steter Aufstieg 

Liz Truss erwies sich in den konservativen Regierungen der letzten zwölf Jahre als Überlebenskünstlerin. Ihr Weg führte unbeirrt nach oben, von der Justiz über die Finanzen und den Handel schließlich ins Außenministerium. Während Dutzende ihrer Kollegen den innerparteilichen Flügelkämpfen und Intrigen zum Opfer fielen, überlebte sie sogar die jüngste Rücktrittswelle nach dem Sturz von Theresa May und ging aus Boris Johnsons letzter großer Kabinettsumbildung einmal mehr als Siegerin hervor. Liz Truss galt immer als loyal und arbeitsam, ohne dass ihre Erfolge je genauer bewertet wurden. Ihr Parteifreund Rory Stewart dagegen berichtet in seinem Politikblog von ihrer gemeinsamen Zeit im Landwirtschaftsministerium, Liz Truss' Management sei im Stil "IBM der 80er Jahre" steckengeblieben, sie irritiere ihre Kolleginnen und Kollegen gern mit wahllosen Matheaufgaben, weil "ihr Vater das wohl immer am Frühstückstisch gemacht hat". Stewart nennt das Erlebnis mit Truss "traumatisierend".

Bei all dem arbeitete sie unermüdlich an ihrem öffentlichen Image. Seit ihrem Einzug ins Außenministerium zeigte sich Liz Truss - ob mit Pelzmütze auf dem Roten Platz in Moskau oder beim Truppenbesuch im Panzer in Militärmontur - unermüdlich auf Instagram und Twitter, den Fotografen immer dabei. Stellten Gegner ihre Kompetenz in Frage, etwa als sie die Ostsee mit dem Schwarzen Meer verwechselte, konterte Truss mit Fotos von ihrem Besuch in der Ukraine und schwor, sie werde Putin Paroli bieten. Das zählt mehr in der Tory-Partei als gelegentliche rhetorische und inhaltliche Ausrutscher.

Fähnchen im Wind

Dabei war ihr eine Karriere bei den Konservativen nicht in die Wiege gelegt. Bei ihrem letzten Wahlkampfauftritt im Londoner Wembley-Stadion, als sich Liz Truss und ihr Kontrahent Rishi Sunak noch einmal ein paar Tausend Parteimitgliedern als Kandidaten präsentierten, räumte sie ein, dass sie keinen "traditionellen konservativen Hintergrund" besitze.

Ihr Vater war Mathematikprofessor, die Mutter Krankenschwester und die politische Neigung der Familie lag eher links. Die kleine Liz wurde auf Anti-Atom-Proteste mitgenommen, aber mit dieser Vergangenheit hat sie längst abgeschlossen. Das gilt auch für ihren Start in der Politik, den sie als Studentin zunächst in der liberalen Partei versucht hatte. Das tut sie längst als Jugendsünde ab.

Ähnlich locker geht sie über ihren Wandel von der Pro-Europäerin vor dem Brexit-Referendum 2016 zur heute glühendsten Verfechterin des britischen EU-Ausstiegs hinweg. In den letzten Jahren bewegte sich Liz Truss konsequent immer weiter nach rechts und gibt sich inzwischen als eine der überzeugtesten Verfechterinnen der reinen konservativen Lehre. Und das zieht bei den Parteimitgliedern in den traditionellen Tory-Wahlkreisen im Süden Englands.

Kampf mit harten Bandagen: Bis zuletzt, zeigt dieses Graffito in Belfast, feilschten Rishi Sunak und Liz Truss um die Gunst ihrer konservativen Parteimitglieder.Bild: Paul Faith/AFP

Vages Programm

Im Wembley-Stadion sagte Liz Truss noch einmal deutlich, was sie nicht will, nämlich Steuererhöhungen. Einmal mehr frustrierte sie alle, die versuchten, ihr zu entlocken, wie sie die gegenwärtige Multikrise von steigenden Energiepreisen und rasanter Inflation in Großbritannien bewältigen will. Während im Land der Satz kursiert, im nächsten Winter hätten viele Briten die Wahl zwischen "heizen oder essen", sagt Truss dazu nur, sie halte nichts von "Geschenken" des Staates und das probate Mittel seien Steuersenkungen, um Wachstum zu erzeugen.

Sie sieht sich als Nachfolgerin von Margaret Thatcher, die in den achtziger Jahren die britische Wirtschaft durch eine Rosskur von Privatisierungen und Deregulierung auf Wachstumskurs gebracht hatte. Liz Truss will auch die gegenwärtige Inflation mit Steuersenkungen bekämpfen, selbst wenn ihr die Ökonomen der Bank of England widersprechen und befürchten, sie könnte die Preisspirale damit eher noch anheizen. Auch Wirtschaftswissenschaftler Simon Lee von der Universität Hull erklärt, es sei "vernünftig, von der neuen Regierung zu erwarten, dass sie Millionen Haushalten, Bürgern und Unternehmen finanzielle Hilfe gibt, um die Krise der Lebenshaltungskosten zu überleben". Schließlich habe Großbritannien in der Finanzkrise 2008 und der jüngsten COVID-Epidemie über zwei Billionen Pfund ausgegeben, um das Land vor dem Absturz zu bewahren.

Liz Truss dagegen lässt die Frage offen, wie sie notleidenden Familien helfen will, das sei Aufgabe des neuen Finanzministers. Der aber kann die Milliarden dafür wohl nur aufbringen, indem er weitere Schulden macht. Schon während der Corona-Krise ist die britische Staatsverschuldung steil in die Höhe geschossen; werden jetzt weitere umfassende Hilfsprogramme notwendig, steigt mit den Zinsen auch die Belastung für den Staat.

Eisernes Schweigen statt eiserne Lady?

Hierzu allerdings verspricht Liz Truss einfach nichts. Ihren Haushalt werde sie vorstellen, wenn sie im Amt sei, sagt sie lapidar. Steuersenkungen würden dafür sorgen, dass "die Leute mehr Geld in der Tasche hätten". Das nützt allerdings der Masse britischer Niedrigverdiener nichts, die jetzt Tausende Pfund für die drastisch gestiegenen Gas- und Stromrechnungen aufbringen müssen. Dagegen setzt Truss die Idee, man müsse am Energiemarkt einfach für mehr Angebot sorgen. Sie will Dutzende neuer Förderkonzessionen für Öl und Gas in der Nordsee vergeben. Umweltschutzbedenken spielen für sie keine Rolle - ebenso wie Fragen einer Energiemarktreform.

Immer wieder protestieren Briten gegen steigende EnergiepreiseBild: picture alliance/ZUMAPRESS.com/Vuk Valcic

In der Außenpolitik ist dagegen deutlich, dass die Kandidatin sofort Streit mit Europa suchen und umgehend das Nordirland-Protokoll aus dem Brexit-Vertrag außer Kraft setzen will. Adam Harrison vom Thinktank "European Council on Foreign Relations" analysiert, Truss betreibe den Brexit mit "der Glut einer Bekehrten". Ansonsten sei ihre Weltsicht "von (Ex-US-Präsident) Reagan geprägt, wo Großbritannien mit Amerika gegen Russland und China steht, ohne die Hilfe der 'feigen' Europäer. Sie pfeffert ihre Bemerkungen zur internationalen Lage gern mit Verweisen auf den Kalten Krieg und die Freiheit".

Das mag beunruhigend klingen, aber Liz Truss musste schließlich nicht eine Mehrheit der Briten von ihren Plänen überzeugen, sondern nur rund 200.000 konservative Parteimitglieder, die für etwa 1,5 Prozent der britischen Bevölkerung stehen. Reguläre Wahlen gibt es erst in zwei Jahren, wenn auch viele bezweifeln, dass eine Regierung Liz Truss so lange durchhalten kann. Eine Mehrheit der konservativen Abgeordneten hätte nämlich ihren Kontrahenten, Ex-Finanzminister Rishi Sunak bevorzugt. Ob und wie lange sie Truss folgen werden, ist offen. Sie haben schon bei Theresa May und zuletzt Boris Johnson gezeigt, wie sie mit scheiternden Premierministern umgehen.

Der kommende Winter des Missvergnügens in Großbritannien, mit Schlagzeilen über Hunger und Armut, das scheiternde Gesundheitssystem und angekündigte Streikwellen werden zur Härteprobe für eine unerprobte Regierungschefin. Ob Liz Truss ihre konservative Ideologie in der Not dann so schnell abwirft wie frühere Überzeugungen, wird sich zeigen. Jedenfalls wird der Zusammenstoß zwischen der harten Realität und ihren marktwirtschaftlichen Glaubenssätzen ein interessantes Schauspiel.

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