Lockdown der Kultur: "Viele Künstler überleben nicht"
29. Oktober 2020
Die Schließung trifft Kinos, Theater und Museen hart. Klaus Staeck, Plakatkünstler und früherer Präsident der Akademie der Künste, warnt vor den Folgen.
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DW: Herr Staeck, wie geht es Ihnen heute, am Tag nach den neuerlichen Corona-Beschlüssen?
Klaus Staeck: Besorgt, sehr besorgt über die neuen Corona-Zahlen. Und wer jetzt nicht besorgt ist, der verweigert die Realität - und seine eigene Verantwortung!
Macht Ihnen der drohende Lockdown für die Kultur zu schaffen?
Ja! Die Kultur existiert ja, soweit sie als Kunst entsteht, jenseits von allen Bedrohungen. Für die Institutionen ist das aber teilweise eine Katastrophe. Ich mach mir zum Beispiel große Sorgen um das kleine Kino hier in meiner Heidelberger Hauptstraße. Wenn das noch Wochen oder Monate geschlossen bleibt: Wie soll das gehen? Die Vorsichtsmaßnahmen sind doch überall so ausgeklügelt, dass ich die generelle Schließung, die da jetzt droht, nicht ganz nachvollziehen kann. Man hat sich größte Mühe gegeben, Konzepte zu entwickeln, wie man dieser Ansteckung entgeht. Ich glaube, da wird viel zu viel pauschaliert im Augenblick. Trotzdem nehme ich das alles sehr, sehr ernst. Und ich hoffe, dass die meisten Kultureinrichtungen überleben. Viele Künstler werden nicht überleben können – jedenfalls nicht im Sinne einer bürgerlichen Existenz.
Was geht uns ab ohne die Kultur?
Konzert-Experiment in Leipzig
01:35
Ich kann mir das Leben ohne Kultur nicht vorstellen. Ein kulturloses Volk ist immer auf dem Wege in die Barbarei. Das mag pauschal klingen. Aber die Kultur brauchen wir. Wir Deutschen definieren uns ja gerade als Dichter und Denker. Warum sollten ausgerechnet wir glauben, Kultur sei verzichtbar? Manche mögen es einfacher haben. Aber eine kleine Bühne, die schließen muss – wie will die denn überleben? Ich weiß gar nicht, wo all die Milliarden herkommen sollen, die jetzt versprochen werden, wenn gleichzeitig weniger Steuern eingehen.
Kultur ist also nicht Sache einer Minderheit, eines vermögenden Bildungsbürgertums? Und kann deshalb von der Politik vernachlässigt werden?
Nein, das ist eine alte Vorstellung, die geht doch schon lange nicht mehr. Ich kenne so viele kleine Gruppen, Einzelkünstler, die sich mühselig durchs Leben schlagen und trotzdem keine unglücklichen Menschen sind. Die Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens - das werden sie spätestens merken, wenn es keine mehr gibt. Schauen Sie mal in Diktaturen, wo die Kultur reglementiert wird – nach Ungarn zum Beispiel.
Ist die Regierung Merkel, was die Corona-Politik angeht, mit ihrem Latein am Ende?
Das will ich nicht hoffen. Aber ich delegiere auch nicht alle Probleme der Welt auf die Politik. Das habe ich mir längst abgewöhnt. Man kann als Einzelner eine ganze Menge tun. Es gibt Leute, die verhalten sich total unvernünftig. Nein, die Politik tut hoffentlich das Richtige. Ich staune, wie viel Leute sich Urteile anmaßen, obwohl sie die Zusammenhänge nicht kennen. Aber als Künstler bin ich dann wieder voller Hoffnung.
Klaus Staeck: Stachel im Fleisch der Bundesbürger
Er sieht sich als "Störer der bequemen Verhältnisse". Zum 80. Geburtstag des Plakatkünstlers und Politprovokateurs gibt das Essener Museum Folkwang einen Überblick über Staecks künstlerisches Werk.
Bild: Klaus Staeck, VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Museum Folkwang, Tanja Lamers
Wir ruinieren das Klima
Klaus Staeck versteht sich als Anwalt der kleinen Leute im Kampf gegen die Großen und Mächtigen. Viele fühlten sich von den satirischen Slogans des Künstlers, Graphikers, Verlegers und Juristen provoziert. Doch bis heute gewann Staeck jeden Gerichtsprozess.
Bild: Edition Staeck
Dürers Mutter - wie alles anfing
Ein Plakat, das Furore machte: Es zeigt die Kopftuch tragende Mutter Albrecht Dürers, die 18 Kinder zur Welt gebracht und Seuchen und Armut überlebt hat. Im Dürer-Gedenkjahr 1971 plakatierte Staeck das Motiv in Nürnberg, das Dürer zu seinem 500. Geburtstag mit einer Ausstellung feierte - und wo gleichzeitig ein Makler-Kongress stattfand. Seine Aktion machte Klaus Staeck schlagartig bekannt.
Bild: VG Bildkunst, Bonn 2017
Ansichtssachen
Klaus Staeck im überquellenden Büro seiner Heidelberger Edition Staeck. Von hier aus hat sich der Plakatkünstler in die politischen Debatten der Republik eingemischt. Seit 2006 stand Staeck auch der Berliner Akademie der Künste vor. Heute ist er ihr Ehrenpräsident.
Bild: Klaus Staeck, VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Museum Folkwang, Tanja Lamers
Plakatkünstler der Republik
Hunderte Plakate hat der ursprünglich aus Ostdeutschland stammende Künstler bis heute gemacht. Mit ihnen mischte er sich treffsicher in die politischen Debatten der 1970er und 80er Jahre ein. Aufrütteln, provozieren, kritisieren – mit diesem Credo wurde Staeck zum bekanntesten Plakatkünstler der Republik. Seine Werke wurden mehrfach auf der Kasseler "documenta" gezeigt.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen
Die Aktionskünstler
Staeck war der Herausgeber, mit dem Joseph Beuys seit 1968 am häufigsten zusammengearbeitet hat: Er war an der Herstellung von mehr als 200 Multiples beteiligt. Dieses Foto zeigt die Künstler als politische Aktivisten, wie sie 1970 an die Tür der Düsseldorfer Kunstakademie klopfen.
Bild: Angelika Platen
Wurst und Banane
"Es wächst zusammen, was zusammen gehört", hatte Willy Brandt, der populäre Alt-Kanzler und einstige Berliner Bürgermeister den Mauerfall vom 9. November 1989 kommentiert. Der Heidelberger Plakatkünstler formulierte dazu augenzwinkernd das passende Bild – mit Banane und Fleischwurst.
Bild: Edition Staeck
Trump, der neue Lügenbaron
"Wieder im Programm: Der Lügenbaron" lautet der Text auf diesem Plakat. Mit ihm bezieht sich Staeck auf eine frühere Arbeit, die den damaligen Kanzler Helmut Kohl beim Ritt auf einer Kanonenkugel über die von ihm versprochenen "blühenden Landschaften" im Osten Deutschlands zeigte. Statt Kohl reitet jetzt der US-Präsident auf der Weltkugel - als neuer Lügenbaron.
Bild: Klaus Staeck, VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Museum Folkwang, Tanja Lamers
Sand fürs Getriebe
Die Klaus Staeck-Retrospektive im Museum Folkwang in Essen lässt Staecks künstlerisches Werk Revue passieren. Es reicht von früher Druckgraphik über Multiples bis hin zu seinen Aufsehen erregenden politischen Plakaten der 1970er und 80er Jahre. Treffender Titel der Schau: "Sand fürs Getriebe".
Bild: Klaus Staeck, VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Museum Folkwang, Tanja Lamers
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Der Plakatkünstler, Graphiker und Jurist Klaus Staeck, Jahrgang 1938, war bis 2015 Präsident der Deutschen Akademie der Künste. Mit Klaus Staeck sprach Stefan Dege.