London Calling: Privatstunde bei Federer
31. Juli 2012Als Sportjournalistin habe ich einen Tick. Ich sammle Stadien und Arenen. Nicht als Miniaturmodelle, nein, ich muss selbst dort gewesen sein. Wimbledon steht schon seit langem ganz oben auf meiner Liste. Und jetzt habe ich endlich die Gelegenheit. Ich mache mich auf den langen Weg in den Südwesten von London und sehe schon von Weitem die imposante Anlage. Ich muss mich erst einmal orientieren. Denn nicht nur auf dem legendären Centre Court, sondern auch auf 18 weiteren Plätzen wird gespielt. Natürlich zieht es mich zuerst zum Herz von Wimbledon, dem Centre Court.
Publikumsmagnet Federer
Zwei mir unbekannte Spielerinnen aus Bulgarien und Rumänien eröffnen dort den Tag, aber im zweiten Match entdecke ich Roger Federer. Mein Plan steht fest: Rein ins erste Spiel und einen Presseplatz sichern. Das Stadion ist kaum besetzt. Die Arena ist viel kleiner, als ich sie aus dem Fernsehen in Erinnerung habe. Die Spielerinnen rechtfertigen das spärliche Interesse, kein gutes Tennis. Nach zwei Stunden ist das Spiel vorbei und wir warten. Der Court hat sich fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Ich sehe Frauen mit roten T-Shirts und der Aufschrift "Roger" und dann ist er da: Roger Federer betritt den Platz. Die Zuschauer springen von ihren Sitzen auf, klatschen und schreien frenetisch. Roger Federer ist hier sehr beliebt und das nicht nur wegen seiner sieben Wimbledon-Titel. Er winkt freundlich gen Publikumund dann geht's los gegen Julien Benneteau aus Frankreich.
Ganz im Kontrast zum Match davor sehe ich jetzt Tennis vom Feinsten – aber nur von Federer. Nach 9 Minuten führt der Schweizer bereits mit 3:0 im ersten Satz und ich hoffe, dass hier nach einer halben Stunde nicht schon alles vorbei ist. Dafür habe ich doch nicht so lange gewartet. Eine Frau in meiner Nähe brüllt alle paar Minuten euphorisch: "Come on Roger", als wenn der abgeschlagen zurück liegen würde. Fangesang oder Störfeuer? Ich bin mir nicht sicher.
20 Minuten Einzelcoaching beim Weltstar
Während ich mir gerade die berühmten Erdbeeren mit Sahne (zum olympisch-fairen Preis von 2,50 Pfund) gönne, kommt etwas Bewegung ins Spiel: Der Franzose Benneteau wehrt sich heldenhaft, aber Federer haut ihm die Bälle nur so um die Ohren. Nach 58 Minuten ist alles vorbei, Federer gewinnt kurz und schmerzlos 6:2, 6:2. Der Court tobt und er wirft sein rotes Stirnband lässig ins Publikum. Eigentlich sollte ich als Journalistin ja nicht applaudieren, das gilt unter Kollegen als uncool. Ich mache es trotzdem, denn Federers Tennis war beeindruckend.
Noch beeindruckender ist die Geschichte, die mir ein Volunteer nach dem Match erzählt: Er betreut hier die Tennisspieler und hat Federer bei einem Interview mit einem japanischen Fernsehkollegen begleitet. Letzterer erzählte dem Schweizer, dass er auch Tennis spiele und Probleme mit seiner Rückhand habe. Daraufhin sei Federer mit ihm auf einen Nebenplatz gegangen und habe ihn 20 Minuten lang gecoacht. Ich soll das nicht weitererzählen, sonst kämen bald alle zum schweizer Tennisstar, um sich eine Privatstunde abzuholen. Also, pssst! Von mir haben Sie es nicht…