London beklagt russische Corona-Hackerangriffe
16. Juli 2020"Mit ziemlicher Sicherheit" agiere die Hacker-Gruppe als Teil der russischen Geheimdienste, erklärte die britische Behörde für Cybersicherheit (NCSC) in London. Ziele sind demnach Institute zur Forschung und Entwicklung von Impfstoffen in Großbritannien, Kanada und den USA. Die USA und Kanada teilten die Ansicht der britischen Behörden, dass die Gruppe namens APT29 zum russischen Geheimdienst gehört, erklärte das National Cyber Security Centre (NCSC). Die Gruppe sei auch unter den Bezeichnungen "Herzöge" oder "Kuschelbär" unterwegs. "Kuschelbär" steht gemeinhin unter dem Verdacht, vor den US-Wahlen 2016 einen Hackerangriff auf die Demokratische Partei gestartet zu haben.
Es gehe bei dem versuchten Datendiebstahl aber nicht um Sabotage, sondern um Industriespionage, heißt es weiter. Nach Angaben des NCSC setzt die Hackergruppe ihre Aktivitäten noch fort und nutzt eine Vielzahl von Werkzeugen und Techniken, darunter gezielter E-Mai-Betrug (spear-phishing) und benutzerdefinierte Schadprogramme (custom malware).
"Es ist völlig inakzeptabel, dass die russischen Geheimdienste diejenigen ins Visier nehmen, die an der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie arbeiten", betonte der britische Außenminister Dominic Raab. "Während andere ihre egoistischen Interessen mit rücksichtslosem Verhalten verfolgen, machen Großbritannien und seine Verbündeten mit der harten Arbeit weiter, einen Impfstoff zu finden und die globale Gesundheit zu schützen." Sein Land werde gegen diejenigen vorgehen, die hinter solchen Cyber-Angriffen steckten, kündigte Raab an. Diese würden zur Verantwortung gezogen. Ein Sprecher des Kreml in Moskau wies die Anschuldigungen aus London umgehend zurück.
Bericht zu russischer Wahleinmischung
Die Vorwürfe der Behörde wurden nur wenige Tage vor der erwarteten Freigabe eines Berichts publik, der wahrscheinlich für die regierenden Konservativen in Großbritannien wenig schmeichelhaft ausfallen wird. Der Bericht des britischen Geheimdienstausschusses beleuchtet die russische Einmischung in Politik und Wahlen im Vereinigten Königreich. Es sei "beinahe sicher, dass russische Akteure durch die Online-Verbreitung unrechtmäßig erlangter Regierungsdokumente in die Parlamentswahl 2019 eingreifen wollten", teilte Minister Raab in einer schriftlichen Stellungnahme im Parlament mit. In dem Fall werde nun strafrechtlich ermittelt.
Bei den gestohlenen Regierungsdokumenten handelte es sich um Protokolle von britisch-amerikanischen Handelsgesprächen. Der ehemalige Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei hatte die Dokumente als Beleg gewertet, dass die Regierung den Gesundheitssektor entgegen ihrer Versprechen nicht von den Handelsgesprächen mit den USA ausnimmt. Corbyn versuchte daraus Kapital zu schlagen. Seine Niederlage bei der Wahl konnte das aber nicht verhindern. Die Konservativen von Premierminister Boris Johnson fuhren einen überwältigenden Sieg ein.
Nach einem Bericht der "Sunday Times" vom vergangenen Jahr wurden in dem Report unter anderem die Beziehungen mehrerer russischer Großspender der britischen Konservativen zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB unter die Lupe genommen. Die Zeitung berichtete jedoch unter Berufung auf Insider auch, dass der Ausschuss nicht klären konnte, ob russische Einflussnahme für den Ausgang des Brexit-Referendums 2016 entscheidend war. Johnson hatte die Annahme der Spenden verteidigt.
kle/sti (afp, dpa, rtre)