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Politik

Was kommt nach dem Misstrauensvotum?

12. Dezember 2018

315 Abgeordnete entscheiden heute, ob Theresa May britische Premierministerin bleibt. Wenn sie die Abstimmung verliert, dürfte das gravierende Folgen für den Brexit und für das ganze Vereinigte Königreich haben.

Brüssel Theresa May, Premierministerin Großbritannien
Bild: Reuters/D. Martinez

14 Milliarden Briefe stellt die britische Royal Mail nach eigenen Angaben jährlich zu. Nun hängt das politische Schicksal des Landes von gerade einmal 48 Briefen ab, die in den vergangenen Monaten beim Tory-Abgeordneten Graham Brady eingetroffen sind: Brady ist Chef des sogenannten 1922-Komitees, in dem die Hinterbänkler des britischen Parlaments organisiert sind. Die Absender sind allesamt konservative Unterhaus-Abgeordnete, die eine Misstrauensabstimmung gegen Premierministerin Theresa May (Artikelbild) fordern.

Mit den 48 Briefen ist die Schwelle von 15 Prozent der konservativen Fraktion im Parlament erreicht, weshalb Brady noch für Mittwoch Abend zu einem Votum im Komiteeraum im Londoner Parlament Westminster aufgerufen hat. Alle 315 konservativen Abgeordneten dürfen teilnehmen. Die Abstimmung begann um 18 Uhr britischer Zeit und soll zwei Stunden dauern. Anschließend werden die Stimmen ausgezählt und das Ergebnis bekanntgegeben (22 Uhr MEZ).

Was passiert, wenn May die Abstimmung gewinnt?

In Großbritannien ist üblich, dass bei wichtigen Abstimmungen Parlamentarier sogar aus dem Krankenhaus herangekarrt werden - "wheeled into Parliament" ist ein feststehender Ausdruck dafür. Es darf also mit einer regen Beteiligung gerechnet werden, sodass Theresa May 158 Stimmen benötigt, um sicher zu gewinnen. Prominente Tories, darunter mehrere Minister, haben ihre Unterstützung für May angekündigt, und die Nachrichtenagentur Reuters zählte bereits die notwendigen 158 solcher Bekundungen. Damit ist also wahrscheinlich, dass die Mehrheit der konservativen Abgeordneten der Regierungschefin das Vertrauen ausspricht. Auch die Buchmacher rechnen mittlerweile fest mit einem Sieg Mays. Das wäre dann für volle zwölf Monate bindend: So lange dürfte kein neues Misstrauensvotum abgehalten werden. So könnte die heutige Abstimmung Mays Position über den für Ende März geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU hinaus stärken.

Formell würde auch ein Ergebnis knapp über 50 Prozent der abgegebenen Stimmen ausreichen. Politisch würden viele Abtrünnige jedoch ihre Position für den bevorstehenden Brexit weiter schwächen. Ob sie dann dauerhaft in Downing Street No.10 bleiben könnte, wäre ungewiss.

Muss Theresa May ihren Amtssitz in der Londoner Downing Street räumen?Bild: Getty Images/AFP/D. Leal-Olivas

Was passiert, wenn May die Abstimmung verliert?

Wenn die bisherigen Prognosen falsch liegen und Theresa May die absolute Mehrheit der Tory-Abgeordneten doch verfehlt, dann beginnt der Machtkampf um ihre Nachfolge. Für diesen Fall wird erwartet, dass mehrere Anwärter ihren Namen ins Spiel bringen. Es folgt ein Votum wie bei einer Castingshow: In jedem Wahlgang scheidet der Kandidat aus, für den die wenigsten konservativen Abgeordneten gestimmt haben. Im Finale zwischen den beiden stärksten Anwärtern würde auch die Basis mit einbezogen; dann dürften alle Parteimitglieder, die seit mindestens drei Monaten dabei sind, abstimmen.

Theresa May war durch so ein Verfahren 2016 ins Amt gekommen, nachdem ihr Vorgänger David Cameron nach dem verlorenen Brexit-Votum seinen Rücktritt angekündigt hatte. In der letzten Runde konkurrierte sie damals mit Andrea Leadsom, die ihre Kandidatur dann aber zurückzog. Leadsom ist derzeit Energieministerin und hat bereits angekündigt, May das Vertrauen auszusprechen. Auch Innenminister Sajid Javid und Außenminister Jeremy Hunt haben sich zu ihrer Regierungschefin bekannt.

Wann kommt es zu Neuwahlen?

Die bevorstehende Abstimmung ist eine Angelegenheit innerhalb der regierenden Konservativen Partei. Allerdings könnte auch die Opposition im Unterhaus einen Misstrauensantrag einreichen, über den dann alle 650 Abgeordneten abstimmen würden. Es ist möglich, dass Labour als größte Oppositionspartei einen solchen Antrag stellt, falls May die parteiinterne Abstimmung gewinnt. Wenn die Mehrheit der Ansicht ist, "dass dieses Haus kein Vertrauen in die königliche Regierung hat", beginnt die Uhr zu ticken. Wenn sich innerhalb von 14 Tagen keine neue Regierung formiert, die das Vertrauen des Unterhauses gewinnt, leitet das Parlament seine eigene Auflösung ein. Theresa May, die kommissarisch die Amtsgeschäfte weiter führen würde, müsste dann Königin Elisabeth II. einen Wahltermin vorschlagen. Zuletzt kam es 1979 zu diesem Schritt, als eine Minderheitsregierung der Labour-Partei über ein Referendum zu einer dezentralisierten Machtstruktur stürzte. Die damalige Oppositionsführerin Margaret Thatcher gewann die darauf folgende Neuwahl für die Konservative Partei.

Unabhängig von diesem Misstrauensvotum hat das Parlament noch eine zweite Möglichkeit, vorzeitige Neuwahlen einzuleiten: Es muss mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für ein verfrühtes Ende der Legislaturperiode stimmen. Ein möglicher May-Nachfolger könnte das Parlament auch darum bitten, um die derzeitige Führungskrise zu beenden. Theresa May hat diesen Passus 2017 genutzt, weil sie sich damals von einer Wahl eine stärkere Mehrheit versprach, um so den Brexit komfortabler über die Ziellinie zu bringen. Damals verzockte sie sich jedoch und regiert seitdem in einer Minderheitsregierung, die von der nordirischen DUP geduldet wird. Diese aber lehnt Mays Austrittsabkommen wegen des sogenannten Backstops ab - einer Regelung, die eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Königreiches errichten würde, um eine so genannte "harte Grenze" zwischen Nordirland und der Republik Irland zu vermeiden.

In Westminster sitzen beide Kammern des britischen Parlaments - die erste Kammer, das House of Commons hat zwei Möglichkeiten, Neuwahlen auszulösenBild: picture-alliance/empics/Y. Mok

Was würde Mays Niederlage für den Brexit bedeuten?

Eigentlich wollte May sich etwas Zeit und weitere Zugeständnisse der EU erkaufen, indem sie die geplante Parlamentsabstimmung über das Austrittsabkommen kurzfristig absagte. Weil sie das Parlament derart ausbootete, scheint sie jedoch weitere Abgeordnete gegen sich aufgebracht zu haben. Nun ist unklar, ob dieses Vertragswerk es überhaupt noch nach Westminster schafft. Im Hinblick auf eine mögliche Niederlage sagte May bereits, ein Nachfolger "hätte keine Zeit, um eine Rücktrittsvereinbarung neu auszuhandeln und die Gesetzgebung bis zum 29. März durch das Parlament zu bringen". Daher müsste der Ausstiegsprozess verlängert oder aufgehoben werden. Das verzögere den EU-Austritt oder halte ihn sogar auf.

Dieses Argument müssen Brexit-Hardliner abwägen, wenn sie entscheiden, ob sie May heute wirklich absägen wollen. Wenn die Premierministerin gehen muss, hängt die weitere Ausgestaltung des Brexits an ihrem Nachfolger - und wer das wird, ist völlig offen. Ein Nachfolger könnte versuchen, doch noch im Parlament eine Mehrheit für Mays Austrittsabkommen zu organisieren. Er oder sie könnte aber auch Neuwahlen oder ein zweites Referendum anstreben und damit den Brexit grundsätzlich zur Disposition stellen. Erst in dieser Woche klärte der Europäische Gerichtshof, dass Großbritannien den Brexit problemlos einseitig stoppen könnte.

 

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