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Long-COVID: Patienten, denen nicht geglaubt wurde

Beatrice Christofaro
15. August 2021

Millionen Menschen, die an COVID-19 erkrankt waren, leiden nach Monaten noch unter Spätfolgen. Aber viele von ihnen müssen ihre Ärzte, Verwandten und Freunde erstmal davon überzeugen, dass sie krank sind.

Ein Mann wird in einer RehaßKlinik behandelt
Manche Erkrankte müssen monatelang in die RehaBild: Armin Weigel/dpa/picture-alliance

"Sie müssen geduldig sein." Diese Antwort hörte Marta Esperti von ihren Ärzten in den vergangenen 18 Monaten oft. Doch sie konnte nicht länger warten. Denn über ein Jahr nach ihrer Corona-Infektion hatte sie immer wieder Fieber, Müdigkeit, Herzrasen, Gedächtnisverlust und Sauerstoffmangel im Blut. Die Doktorandin, die früher gerne gereist ist und Sport trieb, kommt mittlerweile manchmal schon beim Kochen außer Atem. 

Nachdem sie unzählige Spezialisten in Frankreich und ihrem Heimatland Italien aufgesucht hatte, bekam sie endlich ihre Diagnose: Long-COVID. Untersuchungen zeigen, ihr Herz und ihre Lungen sind deutlich geschädigt. "Ich bin wütend. Ein Jahr lang wurde ich nicht ernst genommen", erzählte sie der DW. "Wenn jemand zugehört hätte, hätte ich mich vielleicht eher erholen können." Mittlerweile wird sie medizinisch behandelt.

Marta Espertis Symptome wurden anfangs nicht ernst genommenBild: privat

Was ist Long-COVID?

Esperti ist eine von Millionen, die Wochen oder Monate nach einer akuten COVID-19-Erkrankung immer noch an den Spätfolgen leiden. Zu den Symptomen gehören unter anderem Müdigkeit, sogenannter "Brain Fog" und Kurzatmigkeit. 

Rund 15 Prozent der COVID-Patienten haben nach zwölf Wochen immer noch mehrere Symptome, so heißt es in einer Studie des Imperial College London im Vereinigten Königreich. Das Risiko ist bei Frauen oder älteren Menschen höher, aber auch Männer und Kinder können an Long-COVID erkranken. 

Wissenschaftler forschen noch daran, was genau die Langzeitschäden verursacht. Deswegen ist es schwierig, Long-COVID zu diagnostizieren und zu behandeln. Viele Patienten haben das Gefühl, sie müssen sich vor Ärzten rechtfertigen. 

"Ich fühle mich ausgelaugt"

So ist es auch bei Alexandra Farrington. Ihr wurde erst in diesen Tagen wieder vorgeworfen, sie stelle sich ihre Symptome nur vor. Die US-Amerikanerin, die im portugiesischen Porto im Data- und Businessconsulting arbeitet, spürt seit ihrer COVID-Infektion im März 2020 immer noch Brustschmerzen. Und auch sie leidet unter Kurzatmigkeit und Müdigkeit. 

Spezialisten scheinen sie anfangs zu unterstützen - bis sie verdutzt feststellen, dass sie keine Diagnose finden können, wie Farrington der DW berichtete. Ein Kardiologe habe ihr mitgeteilt, sie solle nie wieder in seine Abteilung kommen. 

"Ich fühle mich ausgelaugt. Manchmal habe ich das Gefühl, ich habe mehr zum Thema gelesen als der Arzt", so Farrington. Sie versucht, sich stets über die neuesten Long-COVID-Studien zu informieren. 

Bei ihrem Arzt in der englischen Stadt Hastings fühlte sich die US-Künstlerin Tiffany McGinnis ebenfalls nicht ausreichend betreut, als sie nach ihrer COVID-Erkrankung immer wieder unter Lungenentzündungen und Brustschmerzen litt. Erst nach 14 Monaten ließen die Symptome schließlich nach. "Die meisten Ärzte haben uns wie hysterische Hypochonder behandelt", sagte McGinnis.

Ärzte sind verblüfft

Akiko Iwasaki, eine Immunologin der Yale-University, forscht derzeit an den Ursache für Long-COVID und anderen Symptomen, die durch Infektionen ausgelöst werden könnten. Mit diesen Erkenntnissen sollen Ärzte ihre Patienten besser behandeln können. 

Long-COVID-Patienten können auch unter Kurzatmigkeit leiden Bild: Uwe Anspach/dpa/picture-alliance

Manche Symptome, wie extreme Müdigkeit, Schmerzen, Konzentrationsprobleme, die Long-COVID-Erkrankte jetzt spüren, wurden auch schon nach anderen Erkrankungen festgestellt. "Diese Symptome wurden über einen langen Zeitraum nicht ernst genommen", sagte Iwasaki. "Sie wurden kaum erforscht, obwohl sie gravierende Auswirkungen haben."

Seit Beginn der Pandemie haben Millionen Menschen eine Vielfalt an Symptomen - von neurologischen bis hin zu kardiologischen Problemen. Ärzte zeigen sich verblüfft. "Wenn so viele Systeme auf einmal beschädigt werden, weiß ein Spezialist nicht, wie er damit umgehen soll", erklärte Iwasaki.

Manche Länder investieren jetzt massiv in die Forschung. In den USA haben nationale Gesundheitsinstitute über eine Milliarde US-Dollar (​​850 Millionen Euro) bekommen, um die Spätfolgen einer COVID-Erkrankung zu untersuchen. Großbritannien hat fast 20 Millionen Pfund (23,5 Millionen Euro) in mehrere Studien gesteckt. 

Weltweit kümmern sich spezialisierte Notaufnahmen um Long-COVID-Patienten. Aber nicht jeder Erkrankte hat Zugang zu solchen Einrichtungen. Und selbst die, die dieses Glück haben, müssen sich manchmal in anderen Kreisen rechtfertigen.

Skeptische Verwandte

Amy Pelicano aus Cincinnati in den USA wurde vor allem von ihrer Familie nicht ernst genommen. Bevor sie zu Beginn der Pandemie an COVID erkrankte, schlug sie gerne mit ihren Enkelinnen Räder. Über ein Jahr später muss sie immer noch husten, wenn sie sich nur angeregt unterhält. Sie ist oft vergesslich und spürt Herzrasen. Ein klarer Fall von Long-COVID, sagen ihre Ärzte. Diese hätten sie in den vergangenen Monaten sehr unterstützt, so Pelicano.

Aber viele Verwandte hätten ihr zu verstehen gegeben, dass sie nur faul sei. Pelicano fing an, selbst an sich zu zweifeln. Inzwischen geht sie zu einer Therapie. "Ich fühlte mich körperlich schlecht und emotional noch schlechter. Denn außer meinem Mann hat mich meine Familie nicht unterstützt."

Yas fühlt sich viel besser, seit ihr geglaubt wirdBild: privat

In London musste Yas auch erstmal Überzeugungsarbeit leisten bevor sie ernst genommen wurde. Sie möchte ihren Nachnamen nicht nennen. 

Die Studentin bewegt sich jetzt hauptsächlich mit Krücken oder im Rollstuhl, weil sie seit ihrer COVID-Infektion zu schwach ist, um zu gehen. Erst dachten viele, sie übertreibe nur - vor allem, weil ihr Vater einen milderen Fall von Long-COVID erlebt hat und deswegen nicht ganz so gravierende Spätfolgen spürt. Doch inzwischen unterstützen ihre Familie und ihre Ärztin sie. 

"Anfangs war ich sehr frustriert, weil ich immer mein Bestes gegeben habe und trotzdem das Gefühl hatte, es wäre nicht genug. Seit andere mir glauben, hat sich meine psychische Gesundheit so verbessert", so Yas.

Der Kampf um mehr Aufmerksamkeit

Da sie sich seit Monaten vor Ärzten und Familien rechtfertigen müssen, finden viele Long-COVID-Patienten in Online-Selbsthilfegruppen Halt. Mitglieder tauschen in Foren Therapiemöglichkeiten und Erfahrungen aus. Vor allem wird ihnen hier nicht nur geglaubt, sondern sie werden auch verstanden.

"In der Gruppe fühle ich mich echt bestätigt. Das ist einer der Gründe, warum ich nicht aufgebe", sagte Farrington. 

In Rom setzt sich Esperti inzwischen für Long-COVID-Erkrankte ein. Sie hat Long-COVID-Italia gegründet, eine Gruppe von Patienten, Forschern und Ärzten, die mehr Aufmerksamkeit auf die Krankheit lenken wollen. 

Denn solange das Gesundheitswesen Long-COVID-Patienten nicht priorisiere, meint Esperti, müssten zu viele Menschen ihre Zeit, ihr Geld und ihre Energie investieren, damit ihnen geglaubt wird. "Der Staat muss Pflegemöglichkeiten, Rehabilitationsplätze und finanzielle Hilfe zur Verfügung stellen", sagte sie. "Ich habe 18 Monate meines Lebens verloren."

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