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Gesellschaft

LSD: Wunderdroge oder Wahnsinnsdroge?

19. April 2018

Seit seiner Erfindung vor 75 Jahren gilt LSD als beides: Ein Blick auf die wechselhafte Wirkungsgeschichte einer Substanz, die für ihren Erfinder Sorgenkind und Wunderkind zugleich war.

Albert Hofmann, schweizer Chemiker, Autor und der Entdecker des LSD
Bild: picture-alliance/dpa/Novartis

In Europa tobt der Zweite Weltkrieg. Und während in den USA an der Atombombe gearbeitet wird, macht 1943 in der neutralen Schweiz Albert Hofmann per Zufall Geschichte. In einem Labor des Pharmakonzerns Sandoz sucht der 37-jährige Chemiker nach einem Kreislaufmittel. Am 16. April erinnert er sich an eine Substanz, die er bereits fünf Jahre zuvor synthetisiert, aber dann beiseite gelegt hatte: Lysergsäurediethylamid, kurz LSD. Für den akribischen Doktor Hofmann untypisch, scheint er an einer Stelle unsauber gearbeitet und mit einer minimalen Menge LSD in Kontakt geraten zu sein. Er bemerkt an sich selbst ein ungewöhnlich starkes Bilderleben: "Was immer ich mir vorstellte, war bildhaft vor mir, tief beglückend. Es dauerte drei, vier Stunden, und dann verschwand es", erinnerte sich Hofmann an seinem 100. Geburtstag 2006. "Das LSD hat mich gefunden und nicht ich das LSD", sagt der Chemiker später.

Neugierig geworden, entschließt sich Hofmann drei Tage später zum Selbstversuch. Mit einer nach konventionellem Wissen sehr vorsichtig bemessenen Menge, 250 Mikrogramm. Damit beginnt am 19. April 1943 die Karriere des LSD. Die Substanz katapultiert Hofmann in eine alptraumhafte Bewusstseinswelt. Der junge Chemiker glaubt erst zu sterben – erlebt danach aber intensivste Bilder und Glücksgefühle. Anderntags kann er sich präzise an das Erlebte erinnern – körperliche Beschwerden hat er keine. Im Gegenteil: Die Welt kam ihm vor wie "neu". Schon bei diesem ersten LSD-Trip der Geschichte liegen Himmel und Hölle sehr nah beieinander.  

Forschungsmedikament "Delysid"

Sandoz ist an dieser Substanz interessiert, die in so ungeheuer kleinen Mengen so ungeheuer stark auf das Bewusstsein wirkt - ohne körperliche Nebenwirkungen. Unter dem Namen "Delysid" wird es kostenlos an Forschungsinstitute in aller Welt abgegeben. Und verbreitet sich schnell auch im Kreis von Künstlern und Intellektuellen.

Woran Hofmann selbst Anteil hat. Der deutsche Drogenforscher Christian Rätsch - jahrzehntelang eng mit Hofmann befreundet -   erinnert sich im DW-Gespräch: "Er war ja ein unglaublich weltoffener Naturwissenschaftler mit hochgeistiger Bildung. Und er hat LSD vor allem im Kreis von Freunden genommen, die Künstler waren - zum Beispiel Rudolf Gelpke und Ernst Jünger."

Nicht nur Wissenschaftler und Künstler sind an der Substanz interessiert. In den USA wird der neu gegründete Geheimdienst CIA auf die Droge aufmerksam: Die Möglichkeiten der Manipulation von Bewusstsein faszinieren die Agenten. LSD wird unter anderem als "Wahrheitsdroge" getestet. Mehr als ein Jahrzehnt forscht die CIA intensiv mit der Substanz. Auch das Militär forscht mit, will mit LSD und anderen psychoaktiven Drogen feindliche Soldaten kampfunfähig machen. Diese Vorhaben werden später aufgegeben. Zu unberechenbar ist die Wirkung.

"Der neue Cary Grant"

LSD macht derweil Karriere in der Medizin. Gute Ergebnisse werden zum Beispiel bei der Behandlung von Alkoholsucht erzielt. In der Psychotherapie wird die Substanz ebenfalls eingesetzt. Als der Schauspieler Cary Grant 1959 nach einer Serie von therapeutischen Sitzungen mit LSD von der Substanz schwärmt, berichtet unter anderem das Magazin "Look" in einem groß aufgemachten Bericht über "Die wundersame Geschichte hinter dem neuen Cary Grant". LSD kommt beim Mainstream an.

Weltweit wird mit der bewusstseinsverändernden Substanz geforscht. Rund 100 wissenschaftliche Papiere erscheinen pro Jahr in der Fachpresse. In Deutschland eröffnet 1960 der Göttinger Psychiater Hanscarl Leuner das "Erste europäische Symposion für die Psychotherapie unter LSD 25".

Zur gleichen Zeit kommt in den USA der Schriftsteller Ken Kesey als Aushilfspfleger in der Psychiatrieabteilung eines Krankenhauses im kalifornischen Menlo Park mit LSD in Berührung - im Rahmen des geheimen CIA-Programms MK-Ultra. Kesey lernt LSD zu schätzen – und verarbeitet seine Erlebnisse zu dem Bestseller "Einer flog über das Kuckucksnest". Finanziell dank seines Bucherfolgs unabhängig, gründet Kesey mit befreundeten Künstlern bei San Francisco eine Kommune, wo regelmäßig Happenings mit LSD veranstaltet werden.

Acid-Tests und CIA

Von hier aus bricht Kesey mit seinen Freunden, die sich "Merry Prankster" nennen, 1964 mit einem ausrangierten Schulbus zu einer Reise quer durch die USA auf. Bei den Stopps veranstalten sie Acid-Tests genannte Happenings, bei denen freigiebig das damals noch legale LSD verteilt wird. Der ausgerechnet durch die CIA zum LSD gebrachte Kesey wird zu einem der wichtigsten Missionare der psychedelischen Jugendkultur in den USA.

1969 wird das Festival von Woodstock zum kollektiven Rausch der Hippie-Ära - und zum Stoff von LegendenBild: imago/United Archives

Der zweite Treiber der psychedelischen Bewegung ist derweil in Cambridge an der US-amerikanischen Ostküste aktiv. Der brilliante Psychologe Timothy Leary hat sich in den 1950er Jahren einen Namen gemacht: unter anderem als Entwickler eines  Persönlichkeitstests, auf dem auch heute noch die Mehrheit gebräuchlicher Tests aufbaut.

Nach einem lebensverändernden Erlebnis mit psychoaktiven Psilocybin-Pilzen widmet er sich an der prestigeträchtigen Universität Harvard der Forschung mit psychedelischen Drogen. Leary entwickelt die noch heute von Psychonauten – ein von Ernst Jünger geprägter Begriff - benutzte Formel des Zusammenhangs von Dosis, Set und Setting bei der Gestaltung von Drogenexperimenten. Die Kulturhistorikerin Claudia Müller-Ebeling führt im DW-Interview aus: "Es ist ein Unterschied, ob ich eine winzige Dosis nehme oder ob ich mir eine ziemlich große Dosis zumute, bei der ich nicht mehr sozial kompatibel bin. Es ist ein Unterschied, ob ich mir jetzt vorstelle: 'Da wird man sofort wahnsinnig und endet in der Psychiatrie', oder ob man mit dem inneren Bild an so eine Erfahrung geht: 'Das kann mir helfen, das kann mir neue Räume und neue Vorstellungswelten eröffnen'." Und was das Setting angehe, so Müller-Ebeling, sei es natürlich ein Unterschied, "ob ich das jetzt auf einem Bahnhofsklo nehme oder in einer schönen Umgebung mit schöner Musik und mit dem Gefühl: Hier droht mir keinerlei Gefahr."

Timothy Leary blieb auch in seinen späteren Jahren ein begnadeter SelbstdarstellerBild: AP

Harvard Professor, LSD-Guru

Der Harvard Professor wird zum Drogen-Guru, auch wegen seiner extrovertierten Persönlichkeit. Die Hamburger Kulturhistorikerin Müller-Ebeling: "Für Leary war das große Thema, dass man die Prägungen aus der Kindheit und Jugend, die das Verhalten steuern, ändern kann." Diese Art von selbstbestimmter Reprogrammierung will Leary für die Abkehr der Jugend von dem in seinen Augen zerstörerischen US-amerikanischen Lebensstil nutzbar machen. Sein in San Francisco verkündetes sechs-Worte-Programm "Tune in, turn on, drop out" wird zum Mantra der Hippie-Generation. Leary wird zum Idol von Millionen.

LSD-Erfahrungen setzen der Kultur, der Kunst und vor allem der Musik ihren Stempel auf - und damit einer ganzen Generation, einer ganzen Ära. Egal, ob jemand die Droge nun selbst genommen hat oder nicht. Aber mit der Popularisierung der Droge kommt es vermehrt zu Unfällen - auch weil Learys Formel von Dosis, Set und Setting häufig missachtet wird. Der Tenor der lange positiven Berichterstattung kippt. Die einstige Wunderdroge wird in den Medien zur Wahnsinnsdroge. 1965 lässt US-Präsident Lyndon B. Johnson LSD verbieten – und Sandoz stellt die Produktion ein. LSD wandert in den Untergrund. Leary wird in den USA zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt. Wegen einer geringen Menge Marihuana sitzt er Jahre im Gefängnis.

LSD wird illegal - und im Untergrund weiter produziert, gehandelt und konsumiertBild: picture alliance/maxppp

Ende und Neubeginn

Mit dem Verbot kommt auch die legitime Forschung komplett zum Erliegen. Für mehrere Jahrzehnte. Die Beschäftigung mit psychedelischen Substanzen gilt bald als rufschädigend und Karriere gefährdend. Erst zu Beginn der 2000er Jahre beginnt sich das Blatt erneut zu wenden. Erste Studien an Therapie-resistenten Patienten mit psychedelischen Drogen werden wieder zugelassen - und liefern ermutigende Ergebnisse.

Inzwischen, sagt der Drogenforscher Henrik Jungaberle, gebe es an Berliner Universitäten mehrere Arbeitsgruppen, die eine Erforschung der therapeutischen Anwendung von Halluzinogenen in den nächsten anderthalb Jahren beantragen. Besonders bei der Behandlung von Depressionen scheinen Psychedelika Besserung zu versprechen

Gegenüber der ersten Phase wissenschaftlicher Erforschung vor 50 oder 60 Jahren hat sich mittlerweile eines ganz wesentlich geändert: Mittlerweile lassen sich mit technischen Mitteln Veränderungen in Strukturen und Prozessen des Gehirns gut abbilden. "Jetzt kann man zeigen", so Drogenforscher Jungaberle aus Berlin, "diese Substanzen haben ganz ähnliche Wirkungen wie körpereigene Substanzen. Das ist für einige Wissenschaftler sehr beruhigend: Sie haben jetzt sozusagen ein materielles, biologisches Substrat für Bewusstseinsprozesse."

"LSD - mein Sorgenkind" hatte Albert Hofmann 1979 seine Autobiographie genannt. Bis zu seinem Tod mit 102 Jahren hat er nie die Hoffnung aufgegeben, aus seinem Sorgenkind könne noch einmal ein Wunderkind werden.

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