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Politik

Kiew: Schutzräume nicht für jeden?

27. Oktober 2022

Russland greift weiterhin ukrainische Städte mit Raketen und Drohnen an. Doch es gibt Probleme beim Zugang zu Luftschutzräumen für die Bevölkerung. Wie kommt das? Die DW hat mit Menschen vor Ort gesprochen.

Ukraine Krieg | Menschen in Kiew suchen in der U-Bahn Schutz aufgrund des Raketenangriffs
Menschen suchen Zuflucht in der Kiewer U-BahnBild: Viacheslav Ratynskyi/REUTERS

"In Kiew waren heftige Explosionen zu hören und ich stand mit meinen Kindern vor dem geschlossenen Rolltor einer Tiefgarage. Man wollte uns nicht hineinlassen. Ein Vertreter der Hausgemeinschaft behauptete, die Garage sei versehentlich auf der Karte als Schutzraum eingezeichnet, dort würden nur Autos stehen", sagt Viktoria Lohwynenko. Während des massiven russischen Raketenangriffs auf die Ukraine am 10. Oktober musste die Frau schließlich Hilfe rufen. "Auch die Polizei war schockiert", erinnert sie sich. Nachdem die Beamten eingetroffen waren, durften sie und ihre Kinder dann doch in die Tiefgarage.

Aber diese Situation wiederholte sich bei weiteren Luftangriffen. "Ich musste fünfmal die Polizei rufen und Beschwerden schreiben. Es gab jedes Mal Streit, aber dann durften wir doch in die Garage. Nun kommt die Polizei nicht mehr auf unsere Anrufe und wir dürfen dort nicht mehr hinein", beklagt Viktoria und fügt hinzu, in der Umgebung ihres Hauses gebe es keine Alternativen. Durch den Keller ihres Wohnblocks verlaufe eine Gasleitung und in anderen Räumen, die als Luftschutzkeller ausgewiesen seien, würden sich ein Friseursalon, eine Tierhandlung und ein Büro befinden, die während der Luftangriffe geschlossen blieben.

Menschen nutzen eine U-Bahn Station in Kiew als Schutzraum während des LuftangriffsBild: VIACHESLAV RATYNSKYI/AA/picture alliance

In den letzten Wochen werden viele Regionen der Ukraine wieder verstärkt von Raketen und Drohnen der russischen Armee getroffen, die auf die zivile Infrastruktur abzielen. Nach Angaben des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko konnten jüngst mehrere Raketen, die auf Kiew gerichtet waren, abgefangen werden. Er ruft die Menschen immer wieder dazu auf, bei Luftalarm Schutzräume aufzusuchen.

Oleh Stowolos, Leiter des Katastrophenschutzes der Hauptstadt, sagt, heute habe Kiew etwa 4500 Schutzräume, im Jahr 2014 seien es rund 500 gewesen. Das sind Keller, Untergeschosse von Gebäuden, U-Bahn-Stationen, Tiefgaragen und Unterführungen, die entsprechend geprüft wurden. Zudem haben die Behörden für den Notfall eine Karte mit ihren Standorten herausgegeben. Obwohl es in Kiew inzwischen mehr Schutzräume gibt, beklagen Einwohner, dass sie ihnen nicht alle offenstehen.

"Es laufen bereits Gerichtsverfahren"

Dass es Probleme beim Zugang zu einigen Schutzräumen gibt, räumen die lokalen Behörden von Kiew ein. Ihr Vertreter Roman Tkatschuk sagt, dass dies aber vornehmlich Objekte betreffe, die in privatem Besitz seien. "Seit Februar prüfen wir die Schutzräume ständig. Wir haben sogar Schlösser entfernt und das werden wir auch weiterhin tun", versichert er. Sollte ein Schutzraum nicht zugänglich sein, dann empfiehlt Tkatschuk den Einwohnern Kiews, sich an das zuständige Kontaktzentrum der Hauptstadt zu wenden.

Er versichert, sollten die Verantwortlichen der Räumlichkeiten dennoch ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, dann würden die Behörden die Staatsanwaltschaft einschalten. "Es laufen bereits mehrere Gerichtsverfahren gegen Eigentümer, die es nicht für nötig halten, alle Maßnahmen des Zivilschutzes umzusetzen. Derzeit gilt das als Ordnungswidrigkeit, aber ich denke, man müsste eine strafrechtliche Verantwortung bei Verstößen gegen den Zivilschutz einführen", so Tkatschuk.

"Wir mussten draußen bleiben"

Wie die Erfahrung der Gesprächspartner der DW zeigt, gibt es aber nicht nur bei Privatgebäuden Probleme beim Zugang zu Schutzräumen. Während der ersten Monate des großflächigen Krieges waren die Schutzräume der Schulen die wichtigsten Zufluchtsorte für die Menschen. Doch dies änderte sich, als der Unterricht wieder aufgenommen wurde.

Schutzraum in einer Kiewer SchuleBild: Oleksandr Kunytskyi/DW

Der Raketenbeschuss von Kiew am 10. Oktober erwischte Marina Lypowezka auf dem Weg zur Arbeit. "Raketen flogen, es pfiff und ich sah eine Schule. Ich rannte dorthin und mir folgten weitere Menschen. Ein Mann öffnete die Tür und schlug sie vor uns gleich wieder zu. Er sagte nur, er könne lediglich Leute mit Kindern hineinlassen. Wir mussten also draußen bleiben", erinnert sich die Frau. Sie sagt, in einen Schutzraum einer anderen Schule in der Nähe ihres Hauses dürfe hingegen jeder rein.

Seitens der Kiewer Stadtverwaltung heißt es, mit der Wiederaufnahme des Unterrichts seien die Schutzräume für Schüler und Personal ausgestattet worden. "Dort stehen Schulbänke, Schulbücher und persönliche Gegenstände der Kinder. Man darf dort keine Fremden hineinlassen", erläutert Roman Tkatschuk und empfiehlt der Bevölkerung, andere Schutzräume aufzusuchen. Gleichzeitig räumt er allerdings ein, dass es in Kiew Stadtteile gibt, wo die Schutzräume von Schulen die einzige Möglichkeit sind, Zuflucht zu finden.

"Unsere Beschwerden wurden ignoriert"

In einem solchen Stadtteil wohnt David Surnadschjan. Er hatte noch vor Beginn der russischen Invasion gedacht, dass er sich in einer Schule gegenüber seines Hauses werde schützen können. Obwohl sie auf der Karte als Schutzraum eingezeichnet sei, sei die Schule aber nie für alle Einwohner geöffnet worden. Die Räume seien nicht entsprechend hergerichtet, hieß es zur Begründung. "Die Schutzräume sind jetzt für Kinder ausgestattet, aber auch davor durften wir sechs Monate lang während des Krieges nicht hinein. Unsere Beschwerden an das Kontaktzentrum wurden ignoriert", beklagt Surnadschjan.

Er macht darauf aufmerksam, dass sich die Schüler nur einen Teil des Tages dort aufhalten, und schlägt vor, zu anderen Tageszeiten Bewohner der umliegenden Häuser in die Schutzräume zu lassen. "Wir sind es schon gewohnt, bei Luftalarm einfach zu Hause zu bleiben, aber viele von uns wären lieber in einem Schutzraum", sagt der Mann.

Oleh Stowolos vom Katastrophenschutz warnt derweil davor, sich während eines Luftangriffs in der Wohnung aufzuhalten. "Die Zwei-Wände-Regel (bei einem Luftangriff muss man sich in dem Raum verstecken, der durch mindestens zwei Wände von der Fassade des Hauses getrennt ist - Anm. d. Red.) sollte nur angewandt werden, wenn man zu Hause vom Beschuss überrascht wird. Statistiken zeigen, dass viele Menschen aus Kellern von getroffenen Gebäuden gerettet werden konnten. Wie der jüngste Fall in Kiew aber zeigt, ist von vier Stockwerken eines Hauses nichts übrig geblieben. Es gab fünf Tote, die alle im Moment des Einschlages in ihren Wohnungen waren", so Stowolos.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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