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Luftverschmutzung, Indiens stille Epidemie

Murali Krishnan
2. Dezember 2024

Smog und Feinstaub verursachen in Indien immer mehr Todesfälle und Krankheiten in der Bevölkerung. Auch Kinder sind betroffen. Experten warnen, dass sich die Gesundheitsrisiken nicht auf Städte wie Dehli beschränken.

Mann mit Atemmaske und Kanister auf dem Rücken
Mit phantasievollen Aktionen fordern Umweltaktivisten das "Recht, zu atmen"Bild: Hindustan Times/SipaUSA/picture alliance

Promilla Butani lebt in Neu-Delhi. Die bekannte Kinderärztin ist Asthmatikerin und fürchtet den Smog, der über der indischen Hauptstadt liegt. Bereits zweimal musste sie sich in diesem Jahr wegen der schlechten Luftqualität ins Krankenhaus einliefern lassen. Dort bekam sei eine zusätzliche Dosis oraler Steroide gegen das Asthma verabreicht, um den Alltag weiter bewältigen zu können.

"Vergangene Woche musste ich zu einer wichtigen Veranstaltung nach Mumbai reisen. Auf dem Weg zum Flughafen trug ich eine N95-Maske, die sehr effektiv darin ist, Schwebeteilchen aus der Luft zu filtern. Aber bevor ich überhaupt beim Flughafen ankam, fühlte ich mich schon krank und musste die Reise absagen", erzählt sie der DW.

Husten und Panikattacken

Am anderen Ende der Stadt steht der Tuk-Tuk-Fahrer Manish Paswan vor einem neuen Behandlungszentrum für umweltbedingte Erkrankungen am Dr. Ram Manohar Lohia Hospital. Er kämpft mit einem starken Husten. 

"Die letzte Zeit war furchtbar, seit zwei Wochen habe ich Atembeschwerden, besonders nach dem [Lichterfest] Diwali. Seit einigen Tagen habe ich sogar Panikattacken und hoffe jetzt, dass die Ärzte mir helfen können", sagt er zur DW.

Das kürzlich eröffnete Behandlungszentrum hat sich schnell zu einem Rettungsanker für all jene entwickelt, die an Erkrankungen wie Bronchitis und Atembeschwerden leiden, die durch die Luftverschmutzung verursacht oder verschlimmert werden.

Gesundheitspersonal des Behandlungszentrums sowie auch von anderen Krankenhäusern berichten über zunehmende Fälle von Atemlosigkeit, Asthma oder chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD). In diesem Jahr haben sie mehr Patienten behandelt als im Jahr zuvor.

"Ältere Menschen und Menschen mit Herzleiden sind besonders anfällig. Sie zeigen vermehrt Symptome und müssen stationär aufgenommen werden", berichtet Lungenfacharzt Kailash Gupta der DW.

Gefährliche Feinstaubpartikel

Neu-Delhi hat schon seit Langem mit Luftverschmutzung zu kämpfen und hat den Ruf, die am stärksten verschmutzte Stadt der Welt zu sein. Fachleute und Ärzte warnen jedoch, dass die Luftverschmutzung nicht nur die Hauptstadt, sondern weite Teile Indiens betrifft.

Vor lauter Smog kaum zu sehen: Motorradfahrer auf den Straßen von Neu-DelhiBild: Vipin Kumar/Hindustan Times/Sipa USA/picture alliance

Das Hauptproblem sind Feinstaubpartikel in der Luft, insbesondere mit einem Durchmesser von 2,5 Mikrometern oder weniger (PM 2,5). Diese sind klein genug, um in die Lungenbläschen zu gelangen.

Das Problem geht über die Grenzen einzelner Verwaltungsbezirke und Wirtschaftszweige hinaus. Landwirtschaft, Industrie, Kraftwerke, Haushalte und Verkehr tragen alle erheblich zur Luftverschmutzung in Indien bei.

Kinderärzte schlagen Alarm

Eine 2021 veröffentlichte Studie stellte fest, dass im Jahr 2019 rund 1,67 Millionen Todesfälle auf die Luftverschmutzung zurückzuführen waren. Dies sei die höchste umweltverschmutzungsbedingte Todesrate weltweit. Wirtschaftliche Verluste in Höhe von 36,8 Milliarden Dollar (34,8 Milliarden Euro) kommen laut Studie hinzu.

Die Studie stammt von der globalen Beobachtungsstelle für Umweltverschmutzung und Gesundheit, dem Global Observatory on Pollution and Health (GOPH) am Boston College in den USA, dem indischen Ausschuss für medizinische Forschung (Indian Council of Medical Research) und der Stiftung für öffentliche Gesundheit in Indien (Public Health Foundation of India). 

"[Die Luftverschmutzung] hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die nächste Generation in Indien", betont Philip Landrigan, Leiter der GOPH, gegenüber der DW. "Für die Kinder von heute erhöht sie das Risiko, als Erwachsene an Herzerkrankungen, Diabetes und Atemwegserkrankungen zu leiden. Sie verringert den IQ der Kinder. Es wird sehr viel schwerer für Indien, sich sozial und wirtschaftlich weiterzuentwickeln, wenn nichts gegen das Problem unternommen wird", warnt der Kinderarzt.

"Stille Epidemie"

Elektrobusse für Indiens Smog-Städte

06:07

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Eine neuere Studie macht die Luftverschmutzung für etwa 2,1 Millionen Todesfälle pro Jahr im bevölkerungsreichsten Land der Erde verantwortlich. 12.000 Todesfälle in Neu-Delhi allein können laut dem Bericht "State of Global Air/2024"jedes Jahr mit der Luftverschmutzung in Verbindung gebracht werden".

"Täglich sterben in Indien 464 Kinder unter fünf Jahren durch die Folgen der Luftverschmutzung. Diese hat damit Tabak und Diabetes als Haupttodesursache überholt", verdeutlicht der Bericht. Andere Studien nennen jedoch insgesamt niedrigere Todeszahlen.

Der Chirurg Arvind Kumar beschreibt die Luftverschmutzung als eine stille Epidemie. "Wir haben ein ernsthaftes und inakzeptables Ausmaß an Luftverschmutzung, das nicht nur auf das Leben der Menschen Auswirkungen hat, sondern auch Ökosysteme zerstört. Niemand kann den negativen Folgen dieser verschmutzten Luft entkommen, sie beeinträchtigt jedes Organ im Körper", mahnt er.

An seinen Patienten konnte Kumar die zunehmenden Auswirkungen der Luftverschmutzung erster Hand beobachten. Das veranlasste ihn dazu, eine gemeinnützige medizinische Stiftung mit dem Namen "Lung Care Foundation" zu gründen. "Die Daten sind eindeutig, aber es wird nichts getan, um die Ursachen der Verschmutzung zu bekämpfen", klagt er.

Stress: Aufgrund der hohen Feinstaubpartikel und der Luftverschmutzung ist die Bevölkerung von Neu Dehli permanent erhöhten Gesundheitsrisiken ausgesetztBild: Uncredited/AP/dpa/picture-alliance

Wie soll es weitergehen?

In einem 2023 veröffentlichten Bericht rief die Weltbank dazu auf, einen als "Airshed"bezeichneten Ansatz bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung zu verfolgen. Ein "Airshed" ist ein geografisches Gebiet, das von den gleichen Luftmassen durchzogen und durch Topographie, Meteorologie und/oder Klima begrenzt wird.

Die Luftqualität in einem solchen Lufteinzugsgebiet wird durch Verschmutzungsquellen innerhalb, aber nicht außerhalb des Gebiets beeinflusst.

In Gebieten, in denen ein erheblicher Teil der über 2,5 PM liegenden Luftverschmutzung durch Quellen außerhalb der Städte verursacht wird, müsste Indien laut Weltbank flächendeckende, das gesamte Lufteinzugsgebiet umfassende Maßnahmen koordinieren.

"Indien muss über die Stadtgrenzen hinaus blicken und Maßnahmen auf regionaler Ebene ergreifen, um wirksame Strategien zur Bekämpfung der Luftverschmutzung zu entwickeln. Dazu muss es ein neues Instrumentarium für das Management von Lufteinzugsgebieten anwenden", schreibt die Weltbank im Juni in ihrer Erklärung "Catalyzing Clean Air in India". 

Rauchstreifen über abgeernteten Feldern: Indiens Kleinbauern verbrennen vor der Aussaat Stroh- und Stoppelreste. Lokale initiativen klären die Landbevölkerung darüber auf, dass diese Tradition zur Luftverschmutzung beiträgtBild: Joshua Stevens/NASA Earth Observatory

Lösungen nicht nur von oben

Doctors for Clean Air (DFCA) ist ein Netzwerk von Ärzten und Ärztinnen, die sich für eine verbesserte Luftqualität engagieren und über die gesundheitlichen Auswirkungen von Smog und Luftverschmutzung aufklären. Sie versuchen, die Menschen, die in den am stärksten betroffenen Regionen leben, stärker einzubeziehen.

"Endlich wird deutlich, dass von den Bürgern geführte Initiativen und Bewegungen am effektivsten sind. Es braucht Zeit, aber es bringt Ergebnisse", sagt Dr. P.S. Bakshi zur DW und verweist auf das Beispiel der Bauern im Dorf Bajra im Distrikt Jalandhar des indischen Bundesstaats Punjab.

Wie so viele andere Dorfbewohner im Norden Indiens verbrannten die Bauern in Bajra nach der Ernte von Reis und Weizen die Stroh- und Stoppelreste. Damit lassen sich die Felder schnell und preisgünstig für die nächste Aussaat vorbereiten, doch das Vorgehen trägt auch zur Luftverschmutzung bei.

Nachdem Bakshi die lokale Bevölkerung über die negativen Gesundheitsauswirkungen aufgeklärt hatte, erklärten die Bauern von Bajra sich bereit, die Praxis einzustellen.

"Die Zahl der landwirtschaftlichen Brände in Punjab ist deutlich zurückgegangen, aber es muss noch mehr getan werden, um das Bewusstsein für Gesundheit und Luftqualität zu ändern", betont Bakshi.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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