1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Lugano: Nachhaltige Hilfe für die Ukraine

5. Juli 2022

Die internationale Gemeinschaft macht in Lugano viele Versprechen, aber keine konkreten Finanzzusagen. Aus dem Krieg soll die Ukraine besser, digitaler, grüner hervorgehen. Die nächste Konferenz ist schon geplant.

Ukraine Recovery Conference | Lugano, Schweiz
Eine Konferenzkulisse wie gemalt für das "Familienfoto": Luganer See in der SchweizBild: Michael Buholzer/Pool/REUTERS

Geplant war eine Konferenz zur Ukraine in Lugano schon lange bevor Russland das Land im Februar angegriffen hat. Die Schweiz hatte zu einer Konferenz über Korruptionsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung in der Ukraine eingeladen. Immerhin stand das Land vor Kriegsbeginn auf dem ziemlich schlechten Platz 122 von 180 Plätzen auf einer Rangliste, die die Antikorruptionsorganisation Transparency International führt.

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat die Lage radikal geändert. Das Treffen in der Schweiz wurde zu einer Wiederaufbaukonferenz umgewidmet. Über 40 Staaten und 16 internationale Organisationen nahmen daran teil. Es handelte sich aber nicht um eine klassische Geberkonferenz, auf der Regierungen wolkige Finanzierungsversprechen für Opfer von Kriegen, Bürgerkriegen oder Naturkatastrophen abgeben. In Lugano ging es ums Prinzip.

Hunderte Schulen, wie diese in Verkhonokmayanske, müssen wieder aufgebaut werdenBild: Rick Mave/SOPA Images/ZUMA Press/picture alliance

Gewaltige Summen für gewaltige Schäden

In sieben Bausteinen haben die versammelten Staaten und Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Europäische Investitionsbank festgelegt, wie der Wiederaufbau eines Landes mitten im Krieg organisiert werden soll. Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal nannte die gewaltige Summe von 750 Milliarden US-Dollar als Preis für einen nachhaltigen Wiederaufbau. Die Hälfte davon könnte nach seiner Rechnung durch die Beschlagnahme und Verwertung russischer Vermögen im Ausland bezahlt werden. Doch bislang scheuen die EU, die USA und andere Staaten diesen Schritt. Zur Zeit sind die Vermögen des russischen Staates und regimetreuer Oligarchen durch Sanktionen "eingefroren", also nicht wirtschaftlich nutzbar. Enteignungen gab es bis jetzt nur einige wenige.

Per Videoschalte wie immer dabei: Ukrainischer Präsident Wolodymyr SelenskyjBild: Alessandro Della Valle/Keystone/dpa/picture alliance

Klar sei, dass die Beseitigung der Schäden in der Ukraine, für die Russland verantwortlich ist, Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern werde, meinte die deutsche Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze im schweizerischen Tagungsort: "Diese Aufgabe ist riesig." Bundeskanzler Olaf Scholz hatte kürzlich bereits einen Marshall-Plan für die Ukraine angeregt, also ein Investitionsprogramm, wie es der damalige US-Außenminister George C. Marshall nach dem Zweiten Weltkrieg für die Kriegsopfer in Westeuropa, aber auch für den Kriegsschuldigen Deutschland entworfen hatte. Mit rund 12 Milliarden US-Dollar Investitionen wurde ein sogenanntes "Wirtschaftswunder" ausgelöst, das auch neue Absatzmärkte für US-amerikanische Unternehmen schuf. Diese könne auch in der Ukraine passieren, hieß es in Lugano. Nach dem Kriege werde ein Markt mit 40 Millionen Menschen, die in die EU streben, bedient werden müssen. 

Deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze: Schaden mit eigenen Augen in Borodyanka gesehen (27. Mai)Bild: Xander Heinl/photothek/IMAGO

Wiederaufbau soll demokratisch und nachhaltig werden

Die "Erklärung von Lugano", wie dieser Plan nun heißt, sieht vor, dass der Wiederaufbau in internationaler Partnerschaft mit über 40 Unterzeichnerstaaten ablaufen sollen. Bedarf und Umsetzung sollen regelmäßig überprüft werden. Besondere Verantwortung kommt hier der Europäischen Union zu, denn schließlich ist die Ukraine seit vergangener Woche Beitrittskandidat der EU. Bislang hat die Europäische Union 6,4 Milliarden Euro an konkreter Hilfe zugesagt. Der Schwerpunkt der Wiederaufbauprogramme soll deshalb auch bei einer Heranführung an europäische Standards liegen. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, versprach, Brüssel werde die Ukraine nicht alleine lassen, sondern sie stützen, solange es nötig sei.

Der Wiederaufbau müsse transparent und nach rechtstaatlichen Regeln erfolgen, forderten die Teilnehmer von Lugano. Korruption soll ausgeschlossen werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner Videoansprache während der Konferenz entsprechende Zusagen gemacht.

Demokratische Teilhabe, dezentrale Verwaltung der Mittel in den Kommunen, Perspektiven für rückkehrende Flüchtlinge und ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz sollen den Aufbau leiten, heißt es in der "Luganer Erklärung".

Bei der Umsetzung der Projekte soll auf Geschlechtergleichheit, die Einhaltung der Menschenrechte und die Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen geachtet werden. Insgesamt muss das ganze Wiederaufbauprogramm nachhaltig und möglichst klimafreundlich gestaltet werden.

Konkreter Aufbau beginnt bereits

Das sind große Ziele für ein Land mitten im Krieg, räumte die deutsche Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit Svenja Schulze ein. Nachhaltiger Wiederaufbau sei aber jetzt schon möglich. Es gehe darum, Wasserleitungen, Heizungen und Häuser zu reparieren, damit die Ukraine durch den Winter komme. "Der Wiederaufbau in der Ukraine beginnt bereits jetzt", so Schulze. In den westlichen Landesteilen sei das möglich.

Der Vertreter Estlands schilderte an einem praktischen Beispiel, wie sein Land helfe. Einzelne Städte Estlands hätten damit begonnen, Kindergärten in Partnergemeinden in der Ukraine wieder herzurichten, die durch russische Angriffe beschädigt worden waren. "Wir müssen einfach irgendwo anfangen", so Andres Rundu, der stellvertretende Außenminister Estlands.

Wie Wiederaufbau in den von Russland besetzten Gebieten im Osten und Süden der Ukraine stattfinden kann und soll, ist in Lugano indes nicht klar geworden. "Das Beste wäre, dieser Krieg würde endlich aufhören. Darum tun wir auch alles dafür, dass Putin diesen Krieg jetzt stoppt", so Ministerin Schulze.

Nachhaltiger und grüner Aufbau wird viele Jahre dauern: zerstörte Eisenbahnbrücke in RaygorodokBild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Die Bundesregierung hat bislang eine Milliarde Euro als direkten Zuschuss zum Staatshaushalt der Ukraine bereitgestellt, damit zum Beispiel Gehälter von Beamten weiter gezahlt werden können. Hinzu kommen 426 Millionen Euro für konkrete Bauprojekte. Das sei ein Anfang, aber man werde immer wieder aufstocken müssen, meinte die deutsche Entwicklungshilfeministerin. Daneben erhält die Ukraine Milliardensummen aus den USA und von EU-Verbündeten, um Waffen und Munition kaufen zu können. 

Lugano soll nur der Auftakt sein

Der Regierungschef der Ukraine, Denys Schmyhal, zeigte sich nach der Konferenz einigermaßen zuversichtlich. Es solle so wieder aufgebaut werden, "dass alles, was zerstört wurde, besser gemacht wird, als es vorher war". Der Schweizer Gastgeber, Bundespräsident Ignazio Cassis, sagte, die "Erklärung von Lugano" solle den Menschen in der Ukraine mitten im Krieg Hoffnung geben, dass sie nicht alleine seien. Lugano sei nur der Auftakt zu einem langen Prozess.

Die nächsten Ukraine-Konferenzen sind schon geplant: 2023 in Großbritannien und 2024 in Deutschland oder Estland. Denys Schmyhal forderte die internationale Gemeinschaft im Namen der Ukraine auf, nun schnell zu handeln. Sein Land sei dazu bereit. "Wenn wir sagen, wir wollen schnell beginnen, meinen wir das auch so."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen