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Politik

Lukaschenko schlägt zurück

Mikhail Bushuev
9. August 2021

Nach der Welle von Massenprotesten erhöht das Regime Lukaschenko an jedem Tag den Druck auf seine Gegner. Die Bilanz ein Jahr nach der Präsidentschaftswahl in Belarus.

Weißrussland Minsk | Proteste gegen die Regierung Lukashenkos
Der Protest gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl in Belarus hielt sich bis Ende NovemberBild: TUT.BY/AFP via Getty Images

Im vergangenen Dezember gehörten diese Bilder in jeden Jahresrückblick: die größten Massenproteste in Belarus seit Unabhängigkeit der Republik, entfacht von Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo. Die Menschen protestierten seit dem 9. August im Dauermodus gegen das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahl, wonach Amtsinhaber Alexander Lukaschenko zum klaren Sieger erklärt wurde. Die EU geht aber davon aus, dass die meisten Wähler einer anderen Kandidatin ihre Stimmen gegeben haben: Swetlana Tichanowskaja. Die Ehefrau des oppositionellen Bloggers Sergej Tichanowski war für ihren damals schon inhaftierten Ehemann im Wahlkampf eingesprungen.

Swetlana Tichanowskaja mit dem Foto ihres Mannes Sergej Bild: Roman Vondrous/POOL/AFP via Getty Images

Obwohl die mutmaßliche Wahlsiegerin bereits wenige Tage später ins Exil musste, versammelten sich Hunderttausende auf den Straßen und forderten friedlich Lukaschenkos Rücktritt und faire Neuwahlen. Angesichts der schieren Masse der Protestierenden verbreitete sich unter den Menschen schnell das Gefühl, das seit 1994 ununterbrochen herrschende Regime könne binnen Tagen oder höchstens Monaten beendet werden. Viele sahen in Lukaschenko, der mit Kalaschnikow und schusssicherer Weste vor seiner Minsker Residenz posierte, nur noch eine Witzfigur, die jeden Bezug zur Realität verloren hat.

Regime Lukaschenko schien zu wackeln...

Ein Trugschluss, wie sich schon bald herausstellte. Ein schnell zusammengerufener Koordinationsrat der Opposition konnte der Protestbewegung keine Impulse mehr geben. Die wichtigsten Stützen des Regimes, der Macht- und der Sicherheitsapparat, hielten und halten Lukaschenko noch immer die Treue. Auch die Streiks an den für Lukaschenko so überlebenswichtigen Staatsbetrieben fielen deutlich kleiner aus als erwartet - und als nötig gewesen wären, um das Regime ins Straucheln zu bringen.

Das Frauentrio im Wahlkampf: Veronika Zepkalo, Swetlana Tichanowskaja, Maria KolesnikowaBild: picture-alliance/AP/S. Grits

Zudem positionierte sich Russland, das offiziell mit Belarus eine Union bildet, erst halbherzig und dann eindeutig zugunsten von Alexander Lukaschenko. Der Präsident konnte so Zeit gewinnen und setzte schließlich zum Gegenangriff an. Maria Kolesnikowa, die im Präsidentschaftswahlkampf das Team des inzwischen zu 14 Jahren verurteilten Ex-Bankers Viktor Babariko leitete und die nach der Exilierung von Tichanowskaja und Zepkalo im August 2020 das Gesicht der Protestbewegung wurde, musste für ihren gemeinsamen Kampf einen hohen Preis zahlen. Im September wurde sie zur Ausreise gedrängt. Weil sie aber ihren Pass vernichtete und auf keinen Fall ihr Land verlassen wollte, wurde Kolesnikowa verhaftet. Dieser Tage wird ihr hinter verschlossenen Türen der Prozess gemacht: bis zu zwölf Jahren Haft drohen Maria Kolesnikowa.

So gelang es dem Regime Lukaschenko im Herbst 2020, die Straßenproteste nach und nach zu unterbinden. Die Straßen wurden leerer. Die weiß-rot-weiße Fahne, die als Symbol der Opposition auf Häuser und in Gesichter gemalt oder durch passende Kleidung nachempfunden worden war, verschwand allmählich. Dahinter stand nicht zuletzt der unverhältnismäßig brutale Einsatz der Polizei und anderer Sicherheitsbehörden. Zahlreiche Berichte über Folter kamen auf, über kurzfristig errichtete Sammellager, in denen unzumutbare Bedingungen herrschten. Unter staatlicher Gewaltanwendung starben mehrere Menschen. Aufgearbeitet wurden diese Todesfälle bis heute nicht.

Der Westen mit Sanktionen, Russland mit Geld für Lukaschenko

Die Welt schaute zu wie der belarussische Herrscher seine Gegner immer entfesselter niederschlug - und sie tat nicht viel. Die kleine Neun-Millionen-Einwohner-Republik in Zentraleuropa blieb im Großen und Ganzen sich selbst überlassen. USA und EU reagierten zwar mit einer Sanktionsspirale, doch eine DW-Analyse zeigt deutlich: die Strafmaßnahmen schaden dem Regime Lukaschenko kaum.

Zudem kann sich der Machthaber auf Moskaus großzügige Hilfe verlassen: Anfang dieses Sommers erhielt Belarus die nächste Tranche eines russischen Darlehens in Höhe von 500 Millionen US-Dollar (umgerechnet 423 Millionen Euro). Vor sechs Monaten hatte es den gleichen Betrag schon mal gegeben. Obwohl dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein schwieriges Verhältnis zu Lukaschenko nachgesagt wird, wirkten die jüngsten Treffen der beiden Dauerherrscher so harmonisch wie lange nicht. 

"Parallel"-Belarus wird gerade vernichtet

Viele Jahre konnte man in Belarus sich relativ frei fühlen und mit dem Staat koexistieren, ohne dass sich die Wege mit Lukaschenkos Schergen kreuzten. Eine florierende Zivilgesellschaft entstand, mit alternativen Theatern, Künstlerverbänden und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), auch dank der Hilfe aus dem Westen. 2021 scheint das Regime diesem "Parallel"-Leben, wie man dort sagt, einen Riegel vorschieben zu wollen. Auch mit dreisten Aktionen.

Der bisherige Höhepunkt erfolgte am 23. Mai 2021, als belarussische Militärjets die Landung einer Ryanair-Maschine in Minsk erzwangen, um den nach Litauen geflohenen Roman Protassewitsch zu verhaften. Der junge Blogger betrieb mit Stepan Putilo den in Belarus populärsten oppositionellen Telegram-Kanal Nexta mit über einer Million Followern.

Gerade die großzügige Unterstützung aus Moskau kann auch eine Erklärung liefern, warum Minsk immer frecher wird. Nach dem letzten Putin-Treffen in Sankt-Petersburg Mitte Juli fühlte sich Lukaschenko offenbar dermaßen sicher, dass er eine noch rabiatere Welle von Repressionen gegen seine Gegner anstieß - mit landesweiten Durchsuchungen und Verhaftungen bei NGOs und den wenigen im Land gebliebenen unabhängigen Journalistinnen und Journalisten. Allein am 23. Juli mussten nach Schätzungen etwa 50 NGOs auf staatlichen Druck hin ihre Türen schließen. Dutzende Aktivistinnen und Aktivisten, Reporter und Kulturschaffende verließen aus Angst vor Repressalien das Land.

Und wie die Geschichte der Olympionikin Kristina Timanowskaja zeigt, hat das Regime von Lukaschenko keinesfalls vor, die Daumenschrauben zu lockern.

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