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PolitikEuropa

"Lukaschenko wird immer unberechenbarer!"

31. Mai 2021

Im Verein "RAZAM" haben sich Gegner des belarussischen Präsidenten Lukaschenko in Deutschland zusammengetan. Sie gehen für die bedrängte Opposition in ihrer Heimat auf die Straße.

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Rund 300 Menschen fordern in Berlin die Freilassung der Gefangenen in BelarusBild: Jens Thurau/DW

Anton Niadzelka steht auf dem Potsdamer Platz in Berlin und erzählt von Belarus, seiner Heimat. Vor zwei Jahren war er das letzte Mal in Minsk, der Hauptstadt des Landes. Seit zehn Jahren lebt der 31 Jahre alte Mathematiker und Informatiker jetzt in Deutschland, in Potsdam. Er hat in Deutschland studiert, er arbeitet hier auch. Und seit Anfang April dieses Jahres ist er Vorsitzender der "Belarussischen Gemeinschaft RAZAM". Razam heißt: gemeinsam.

"Wir kümmern uns um die Menschen im Gefängnis"

Die 220 Mitglieder des Vereins eint vor allem ein Ziel: Mitzuhelfen, die Diktatur des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu beenden. Auch wenn das gerade fast aussichtslos erscheint. Die Haupttätigkeit des Vereins im Moment beschreibt Niadzelka im Gespräch mit der DW so: "Wir kümmern uns um die Menschen, die im Gefängnis sitzen. Wir sammeln Spenden und überweisen die nach Belarus, so dass die Familien Unterstützung erhalten. Wir verbreiten Informationen, wir sprechen mit den Regierungen in der Europäischen Union. Und wir helfen Menschen, die fliehen müssen. Das wird jetzt etwas schwieriger, der Luftweg ist ja gesperrt."

Anton Niadzelka ist Vorsitzender des Vereins "RAZAM".Bild: Jens Thurau/DW

Eine groteske Flugzeugentführung

Denn die EU hat die Flüge nach Belarus erst einmal beendet, nachdem vor etwas mehr als einer Woche der oppositionelle Journalist Roman Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega in einer grotesken Aktion in Minsk festgenommen worden waren. Die beiden befanden ich an Bord einer Ryanair-Passagiermaschine, die aus Griechenland kommend eigentlich direkt in die litauische Hauptstadt Vilnius fliegen sollte. Von einem EU-Staat in den anderen also. Unter dem Vorwand einer Bombendrohung wurde die Maschine über Belaruszur Landung in Minsk gezwungen, die beiden jungen Menschen wurden von Sicherheitskräfte festgenommen.

Ein Akt von Staatsterrorismus

Nicht nur für Niadzelka ein Akt von Staatsterrorismus. Auch deshalb hatte sein Verein hier am Potsdamer Platz zur Demonstration aufgerufen, an der sich am vergangenen Samstag und 300 Menschen beteiligten. Auch der Slawist und Übersetzer Heinrich Kirschbaum, Professor an der Universität in Freiburg, war gekommen. Er rief den Teilnehmenden der Demonstration zu: "Die Flugzeugentführung ist nur der Anfang. Lukaschenkos Verbrechen betreffen nun nicht nur Belarus, sondern ganz Europa. Lukaschenko wird immer unberechenbarer, weil er weiß, dass er ungestraft davonkommt. Und das seit 27 Jahren."

Der kritische Journalist Roman Protassewitsch und seine Freundin wurden vor gut einer Woche verhaftet. Diese Demonstrantin in Berlin fordert ihre Freilassung.Bild: Jens Thurau/DW

Das Flugverbot erzeugt gemischte Gefühle

Von Potsdam und Berlin aus tut Anton Niadzelka alles, was in seiner Macht steht, um der Opposition in Belarus zu helfen. Er organisiert Demonstrationen wie diese hier, sein Verein veranstaltet aber etwa auch Autorenlesungen, vernetzt sich mit anderen Organisationen, macht Bildungsangebote wie Workshops über die Lage in der Heimat. Dass die EU recht schnell auf die Kaperung des Flugzeuges reagiert hat und Minsk nicht mehr angeflogen wird, ruft bei Niadzelka gemischte Gefühle hervor: "Ich finde es richtig, dass jetzt keine Flugzeuge mehr über Belarus fliegen, denn das wäre jetzt viel zu gefährlich. Man müsste ja ständig prüfen, ob nicht jemand mitfliegt, der gegen Lukaschenko ist. Aber dass die Menschen aus Belarus nun nicht mehr nach Europa fliegen können, ist natürlich nicht das, was wir möchten."

Lukaschenkos Unternehmen mit Sanktionen belegen

Wirtschaftssanktionen müssten folgen, findet Niadzelka, gezielt gegen Unternehmen im Machtgefüge des Präsidenten: "Es gibt wirklich viele Unternehmen, die keine Gewinne machen, die nur für die Kasse von Lukaschenko arbeiten. Er verkauft weiter Waffen, er schmuggelt Zigaretten. Er verkauft Öl."

450 politische Gefangene zählt der Verein "RAZAM" in WeißrusslandBild: Jens Thurau/DW

450 politische Gefangene

Seit der mutmaßlich gefälschten Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr und den daraufhin einsetzenden Massenprotesten im Land erkennt die EU Lukaschenko nicht mehr als legitimes Staatsoberhaupt an. Auf die Proteste reagierte der Machthaber mit Gewalt und Verhaftungen, RAZAM spricht von mittlerweile 450 politischen Gefangenen, deren Bilder auf einem riesigen Transparent bei der Demonstration zu sehen sind. Schon vor gut zehn Jahren war es gegen den nun fast 30 Jahre amtierenden Präsidenten in Belarus zu Protesten gekommen, als dem Land ein Staatsbankrott drohte. Die Inflation war so stark angestiegen, dass der Euro rund 7.000 weißrussische Rubel wert war. Damals wie heute konnte sich Lukaschenko aber stets der Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin sicher sein.

"Das kriegt Lukaschenko nicht mehr unter Kontrolle"

Dennoch sieht Niadzelka Unterschiede zwischen den Protesten damals und heute: "Man kann nur Trends wahrnehmen. Und die zeigen, dass die Unterstützung für die Opposition weiter da ist. Es hat sich nichts geändert. Ob Lukaschenko Angst hat? Er sieht doch, dass in seinem Sicherheitsapparat immer weniger Menschen zu ihm halten. Wirtschaftlich geht es dem Land sehr schlecht. Er hat kaum Geld, um Kredite zurückzuzahlen. 2011 hat er alles sehr schnell unter Kontrolle gekriegt. Diesmal klappt das nicht."

Rückendeckung aus Moskau: Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin am vergangenen Samstag in Sotschi. Bild: Sergei Ilyin/AP Photo/picture alliance

"Kontaktmöglichkeiten in Belarus sind begrenzt"

Was Niadzelka hoffnungsfroh stimmt: In Deutschland schließen sich immer mehr Menschen den Protesten an. Das gleiche, hofft er, geschieht auch weiterhin in Belarus selbst, aber: "Die Räume, in denen sich in Belarus die Menschen kennenlernen können, die sind jetzt sehr begrenzt." Also tragen Niadzelka und seine Freunde Fotos von Inhaftierten auf Schildern um den Hals, sprechen mit Medien, bauen Kontakte zu Regimekritikern auch aus der Ukraine, aus den baltischen Staaten, aus Russland auf. Und hoffen auf ein baldiges Ende des Herrschaft des Mannes in Minsk, der aber sein Land noch fest in der Gewalt hat.

 

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