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Lula da Silva: Nach dem Knast nun Palast in Brasilien?

Thomas Milz Rio de Janeiro
9. März 2021

Überraschend hat Brasiliens Oberstes Gericht vier Prozesse gegen Ex-Präsident Lula da Silva annulliert. Damit hätte er freie Bahn, Ende 2022 gegen Amtsinhaber Jair Messias Bolsonaro anzutreten. Hätte er eine Chance?

Schweiz Ehem. brasilianischer Präsident Lula Da Silva
Bild: Martial Trezzini/KEYSTONE/picture alliance

Am Montagnachmittag wurde Brasiliens Politbetrieb kräftig durchgeschüttelt. Überraschend annullierte der Oberste Richter Edson Fachin vier Prozesse gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva(2003-2010) und öffnet diesem damit den Weg zu einer erneuten Präsidentschaftskandidatur. "Mit der Möglichkeit, dass Lula als Kandidat antreten kann, verändert sich das politische Spiel für die Wahlen 2022 komplett", sagt der Politikwissenschaftler Sérgio Praça von der Fundação Getúlio Vargas (FGV) der Deutschen Welle (DW). "Und damit ist praktisch bereits klar, dass die Stichwahl zwischen Lula und Amtsinhaber Jair Messias Bolsonaro abgehalten wird. Zumindest ist es das sich derzeit abzeichnende Szenario."

Fachin, der als Berichterstatter für die Prozesse der Anti-Korruptionseinheit "Lava Jato" (Operation Waschstraße) zuständig ist, hatte alle vier in der südbrasilianischen Stadt Curitiba anliegenden Prozesse gegen Lula annulliert, darunter auch den um ein angeblich von einer Baufirma an Lula übergebenes Luxus-Strand-Apartment.

Wegen Korruption und Geldwäsche hatte Lula in diesem Fall zwischen April 2018 und November 2019 für 580 Tage in Haft gesessen und dadurch die Wahlen 2018 verpasst, die von seinem Erzfeind Bolsonaro gewonnen wurden.

Sommer 2018: "Lula frei" - eine Gruppe Anhänger wartete vor dem Gefängnis, in dem Lula in Haft saß. Bild: picture-alliance/dpa/H. Milleo

Vier Prozesse werden nach Brasília verlegt

In einem weiteren Prozess wurde Lula bereits wegen Korruption rund um ein Ferienhaus auf dem Land verurteilt. Zwei weitere Prozesse um die Finanzierung seines "Institut Lula" befinden sich dagegen noch im Anfangsstadium. Fachin urteilte nun, dass die Richter in Curitiba eigentlich gar nicht zuständig gewesen seien und reichte die Prozesse an die erste Instanz in der Hauptstadt Brasília weiter. Wichtig für Lula ist dabei, dass er durch die Annullierungen das Recht wiedererlangt, als Kandidat antreten zu dürfen.

Noch sei es jedoch nicht hundertprozentig klar, ob es Ende 2022 zu dem Duell mit dem Ex-Militär Bolsonaro kommen wird, so Praça. Denn Brasilien stecke mitten in der Corona-Pandemie und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise, so dass Bolsonaro eventuell geschwächt in die Wahlen gehen könnte. Eine sehr schlechte Nachricht sei Lulas wahrscheinliche Kandidatur jedenfalls für die möglichen Kandidaten der Mitte, wie São Paulos Gouverneur João Doria oder den TV-Moderator Luciano Huck. Für sie dürfte die Stichwahl mit Lulas Antritt in weite Ferne rücken, glaubt der Politologe.

Präsident Bolsonaro könnte Ende 2022 geschwächt in die Wahlen gehen Bild: Alan Santos/PR

Kampf der politischen Extreme

Bisher hatte die Opposition nicht von Bolsonaros Fehlern in der Wirtschaftspolitik und der Pandemiebekämpfung profitieren können. Da komme eine Kandidatur des Politfuchses Lula vielen Leuten genau recht, so Praça. Allerdings bedeute seine Kandidatur auch, dass ein Wahlkampf der beiden Extremen drohe - mit Bolsonaro auf Rechtsaußen und Lula ganz Links. Letztlich sei dies sowohl für Bolsonaro wie auch für Lula die beste Konstellation, da es eine klare Trennlinie zwischen den Lagern zieht.

Bolsonaro jedenfalls soll laut Medienberichten auf die Annullierung der Prozesse äußerst gelassen reagiert haben. Denn 2018 verhalf ihm die Lula und dessen Arbeiterpartei PT entgegenschlagende Anti-Korruptionsstimmung zum Sieg. "Die Anti-PT-Stimmung ist immer noch präsent, es gibt immer noch viele Leute, die sagen, dass sie niemals Lula wählen würden", so Praça. Aber zuletzt hatten Umfragen überrascht, wonach zwar 44 Prozent angaben, auf keinen Fall Lula wählen zu wollen, die Ablehnung gegenüber Bolsonaro mit 56 Prozent jedoch noch höher war.

So scheint der Höhepunkt der Anti-PT-Stimmung vorbei zu sein. Auch weil Hacker 2019 die Telefone der Richter und Ermittler der "Lava Jato" knackten und geheime Absprachen einer Konspiration gegen Lula veröffentlichten. Zudem hätten viele Brasilianer Lula in guter Erinnerung. "Der Eindruck, den die Leute von Lula haben, ist, dass zwar seine Partei und seine Regierung korrupt waren, er aber vor allem ein kompetenter Politiker ist." Das, so Praça, hebe ihn vom aktuellen Mandatsträger Jair Messias Bolsonaro ab, der korrupt und gleichzeitig inkompetent sei.

Feldbetten in einem Krankenhaus in Santo Andre, Brasilien: Bisher hat die Opposition nicht von Bolsonaros Fehlern bei Pandemiebekämpfung profitieren könnenBild: Andre Penner/AP Photo/picture alliance

Viele Wege führen zu Lulas Kandidatur

Kurz nach Bekanntgabe der Annullierung der Prozesse hatte die Generalstaatsanwaltschaft angekündigt, Einspruch einzulegen. Damit dürfte Fachins Entscheidung vom Plenum des Obersten Gerichts hinterfragt werden. Doch Fachin könne auf die Unterstützung einer Mehrheit seiner Kollegen bauen, meint der Koordinator des Zentrums für Justiz und Gesellschaft (CJUS) der Getúlio Vargas Stiftung (FGV) in Rio, Michael Mohallem, im Gespräch mit der DW.

Eine Kandidatur von Lula könnte auch durch den neuen Richter in Brasília bedroht sein. Zumindest rein theoretisch, sagt Mohallem. "Selbst wenn der neue Richter Lula erneut verurteilt, bleibt keine Zeit mehr für eine Verurteilung in der zweiten Instanz." Dies wäre jedoch nötig, damit Lula erneut nicht kandidieren dürfte. Stichtag wäre hier der Tag der Anmeldung von Lulas Kandidatur in rund 16 Monaten.

"Dieser Richter wird nicht den gleichen Fehler begehen und den Prozess übertrieben schnell voranbringen wollen." Mohallem arbeitet derzeit an einer Untersuchung, die belegt, dass Lulas Prozesse in Curitiba deutlich schneller durch die Instanzen geboxt wurden als üblich.

Deutliche Signale der Wirtschaft

Brasiliens Börse reagierte auf die Nachricht des Tages jedenfalls mit Kurseinbrüchen von knapp 4 Prozent. Gleichzeitig brach die zuletzt bereits wegen der sich verschlechternden Pandemiezahlen und der Skepsis gegenüber Brasiliens Wirtschaft ohnehin schwache Landeswährung Real um 1,7 Prozent gegenüber dem Dollar ein.

Experten erwarten, dass Präsident Bolsonaro nun mit populistischen Maßnahmen um die Gunst von Lulas Wählern buhlen wird und dabei noch die letzten Reste finanzpolitischer Vernunft über Bord wirft. Ein moderater Zentrumskandidat als Herausforderer für den Rechtspopulisten Bolsonaro hätte den Märkten besser geschmeckt.

 

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