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PolitikBrasilien

Lula vor historischem Comeback

Thomas Milz
1. Oktober 2022

Ex-Arbeiterführer, Ex-Präsident, Ex-Häftling: Selbst ein Wahlsieg in Runde eins der Präsidentenwahl in Brasilien könnte Lula da Silva gelingen. Sorgen bereiten Gewalt und Fälschungsvorwürfe durch das Bolsonaro-Lager.

Luiz Inácio Lula da Silva bei einem Wahlkampfauftritt
Luiz Inácio Lula da Silva bei einem WahlkampfauftrittBild: Alexandre Schneider/Getty Images

Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva muss nach dem ersten Durchgang heute vielleicht gar nicht mehr in die Stichwahl für das Präsidentenamt: Laut einer Umfrage von Montag kommt der 76-Jährige derzeit auf 52 Prozent, Amtsinhaber Jair Messias Bolsonaro  dagegen nur auf 34 Prozent. Andere Umfragen sehen "Lula", wie er genannt wird, ebenfalls bei mehr als 50 Prozent und Bolsonaro weit dahinter.

Der ehemalige Gewerkschaftsführer wäre damit der erste Präsident Brasiliens, dem eine dritte Amtszeit vergönnt wäre. Er hatte bereits ab 2003 für zwei Amtszeiten regiert und war 2010 mit Zustimmungswerten von mehr als 80 Prozent abgetreten. Wegen Korruption und Geldwäsche verbrachte der Gründer der Arbeiterpartei PT jedoch zwischen April 2018 und November 2019 insgesamt 580 Tage hinter Gittern. Dank Lulas Abwesenheit konnte Bolsonaro Ende 2018 das Präsidentenamt erobern. Lulas Verurteilungen waren Anfang 2021 wegen Verfahrensfehlern annulliert worden und der Ex-Präsident erhielt seine politischen Rechte zurück.

Präsident Jair BolsonaroBild: Evaristo Sa/AFP/Getty Images

Seitdem führte er die Umfragen mit bis zu 20 Prozent Vorsprung vor Bolsonaro an. Dieser konnte im August zwischenzeitlich auf rund zehn Prozent verkürzen, nachdem er staatliche Sozialleistungen angehoben und die Treibstoffpreise reduziert hatte. Zudem setzte der 67-Jährige seine Ehefrau Michelle bei Wahlkampfveranstaltungen ein. Die First Lady wandte sich dabei hauptsächlich an das evangelikale Publikum, das 2018 noch zu zwei Dritteln für Bolsonaro gestimmt hatte. Derzeit liegt Bolsonaros Vorsprung bei den Evangelikalen laut Datafolha jedoch bei lediglich 18 Prozent.

Kandidaten der Mitte enttäuschen

Der zwischen dem linken Lula-Lager und dem Rechtsaußen Bolsonaro polarisierte Wahlkampf verhinderte, dass sich ein Kandidat oder eine Kandidatin des Zentrums zu einer echten Alternative entwickeln konnte. Von den anfänglich ein halbes Dutzend zählenden Kandidaten der Mitte biegen nun lediglich zwei ernstzunehmenden Kandidaten auf die Zielgerade: der im sozialdemokratischen Lager angesiedelte Ciro Gomes und die Mitte-Rechts-Kandidatin Simone Tebet. Beide dürften rund 5 Prozent erreichen.

Handtücher und Mützen mit Wahlwerbung für Lula da SilvaBild: Bruno Lupion/DW

So ähnelt der aktuelle Wahlkampf der Polarisierung von 2018. Bolsonaros Sieg über den PT-Kandidaten Fernando Haddad wurde damals als Quittung für die von Korruptionsskandalen gebeutelte PT gewertet. Nun hat sich das Blatt gewendet: Aufgrund seiner katastrophalen Pandemie-Politik und ständiger Angriffe auf die demokratischen Institutionen sind Bolsonaros Beliebtheitswerte niedrig. Die Wähler lassen es Lula durchgehen, bisher kein klares Wahlprogramm präsentiert zu haben. Der Alt-Präsident verspricht, Brasilien wieder "glücklich" zu machen.

Bolsonaro prophezeit eigenen Erdrutschsieg

Entgegen den Prognosen spricht Bolsonaro weiterhin von seinem klaren Sieg im ersten Durchgang. "Das ist auch das Gefühl der großen Mehrheit des brasilianischen Volkes", sagte Bolsonaro Mitte September. Bei Wahlkampfauftritten schlage ihm eine derartige Begeisterung entgegen, dass alles andere als ein Sieg undenkbar sei. Bereits bei seinem Sieg 2018 hatte Bolsonaro behauptet, dass die elektronischen Urnen manipuliert gewesen seien und ihm damals der haushohe Sieg im ersten Durchgang geraubt wurde.

PT-Anhänger bei einer Kundgebung von Lula da Silva in Sao PauloBild: Alexandre Schneider/Getty Images

Seitdem wiederholt er die Vorwürfe, ohne Beweise vorzulegen. Unter seinen Anhängern findet Bolsonaros Verschwörungstheorie breiten Zuspruch. Am Mittwoch veröffentlichte seine Partei, die Partido Liberal (PL), ein Schreiben, in dem die Sicherheit der Urnen erneut angezweifelt wird. Immer wieder hatte Bolsonaro angedroht, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Damit würde er dem "Drehbuch" seines Idols Donald Trump folgen, der seine Wahlniederlage im November 2020 bis heute nicht anerkannt hat.

Unruhen bei Bolsonaros Niederlage befürchtet

Beobachter befürchten in Brasilien ähnliche Unruhen wie am 6. Januar 2021 am Kapitol in Washington. In einer ersten Reaktion hatte Bolsonaro damals Verständnis für die Gewaltakte gezeigt. Bei den amerikanischen Wahlen sei genauso manipuliert worden wie bei den brasilianischen Wahlen 2018. Sorgen bereitet auch, dass zu dem harten Kern der Bolsonaro-Anhänger eine große Zahl an Waffennarren zählt. Dank Bolsonaros Liberalisierung der Waffengesetze dürfen heute rund eine Million Bürger eine Waffe tragen. Bei seinem Amtsantritt waren es nur 120.000.

In den vergangenen Wochen war es zu einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle gekommen. So erschoss ein Bolsonaro-Anhänger im Juli ein PT-Parteimitglied im südbrasilianischen Foz do Iguaçu. Mindestens zwei weitere Fälle, in denen Anhänger Bolsonaros Lula-Wähler töteten, werden als politisch motivierte Gewalt eingestuft. Dazu kommen zahlreiche Aggressionen zwischen Anhängern beider Lager. Das Lula-Lager befürchtet, dass PT-Wähler aus Angst vor Gewalt den Urnen heute fernbleiben könnten.

Bolsonaro-Fans in BrasiliaBild: Andressa Anholete/Getty Images

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zeigte sich in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme besorgt. "Sowohl online wie offline verbreitete Hass-Diskurse, Belästigungen und ernste politische Gewalttaten haben viele Brasilianer mit Angst erfüllt, ihre Meinung auszudrücken und ihre politischen Rechte auszuüben", erklärte HRW-Amerika-Direktorin Juanita Goebertus. Die Behörden mögen alle nötigen Maßnahmen ergreifen, damit die Brasilianer in Sicherheit wählen können.

Insgesamt sind rund 156 Millionen Brasilianer aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Neben dem Präsidenten werden die Gouverneure, Kongressabgeordnete und die Abgeordneten der Landesparlamente gewählt. Stichwahlen sind für den 30. Oktober angesetzt.

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