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Lula in Berlin: Reset zwischen Deutschland und Brasilien

3. Dezember 2023

Bundeskanzler Olaf Scholz empfing in Berlin den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Er gilt als Staatschef, der als Sprachrohr des globalen Südens weltpolitisch immer wichtiger wird.

Der brasilianische Präsident Lula und der deutsche Kanzler Olaf Scholz lächeln in die Kamera (19.09.2023)
Lächeln für einen Neustart: Präsident Lula und Kanzler Scholz am Rande der UN-Vollversammlung (im September)Bild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Olaf Scholz gilt als jemand, der für jedes und alles einen Plan hat. Sollte der Bundeskanzler also vor zehn Monaten einen Plan gehabt haben, als er den frischgebackenen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien besuchte, so ging dieser jedoch gründlich schief. "Diplomatisches Debakel", "Abfuhr" oder auch "Ohrfeige" lauteten die Kommentare in den deutschen Medien nach einer durchaus denkwürdigen Pressekonferenz am 30. Januar in Brasília.

Lula, den die deutsche Politik nach den bleiernen Jahren des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro so herbeigesehnt hatte, machte ziemlich unmissverständlich deutlich, dass es Deutschland jetzt mit einem Partner mindestens auf Augenhöhe zu tun habe. Mit einer eigenen, selbstbewussten Agenda als Wortführer des globalen Südens und einem Mitglied der BRICS-Staaten, das 2024 auch den Vorsitz der G20 übernehmen wird.

Lula mit BRICS-Partnern Xi, Ramaphosa, Modi und Lawrow beim Gipfel in Johannesburg (im August)Bild: GIANLUIGI GUERCIA/AFP

Sein Klartext: Keine Wirtschaftssanktionen gegen Russland und keine Waffenlieferungen für die Ukraine, dann die Forderung einer Neubesetzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mit je einem Sitz für Brasilien und den afrikanischen Kontinent, außerdem ein Freihandelsabkommen zwischen Mercosur und Europäischer Union, bei dem sich die EU zunächst einmal bewegen müsste.

Erste Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Brasilien seit 2015

Olaf Scholz weiß also jetzt, was auf ihn zukommt, wenn er den brasilianischen Präsidenten an diesem Montag in Berlin empfängt. Neben dem Treffen mit dem Kanzler steht noch ein Besuch des Bundesrates, der Länderkammer, und ein Auftritt auf dem deutsch-brasilianischen Wirtschaftsforum auf Lulas Berlin-Agenda. Vor allem aber sind die ersten Regierungskonsultationen beider Länder seit 2015 ein klarer Hinweis darauf, dass Deutschland und Brasilien ihre Beziehungen in diesen Tagen neu justieren werden.

"Der schwierige Partner in Brasília" lautete der Aufsatz des Brasilien-Experten Oliver Stuenkel im Magazin "Internationale Politik" kurz nach dem Besuch des deutschen Kanzlers in Brasilien Anfang des Jahres. Zum jetzigen Treffen würde der Politologe und Professor für Internationale Politik an der School of International Relations in São Paulo eine andere Überschrift wählen, sagte Stuenkel der DW.

Brasilien-Kenner Stuenkel: "Ganz wichtiges Signal"Bild: privat

"Lula ist auch weiterhin ein schwieriger Partner", so der Experte, "aber mit Schwerpunkt auf Partner und nicht auf schwierig. Im Kontext des Ukraine-Krieges gibt es zwar Divergenzen, und es wird nicht möglich sein, das ganz auszuräumen. Aber in den Bereichen Klima, Energie und multilaterale Strukturen sind die Regierungskonsultationen ein wichtiger Schritt für eine engere Zusammenarbeit."

Bei Energie, Klima und UN gemeinsame Interessen

Im Bereich Klima heißt das, den von Lula wiederbelebten Amazonien-Fonds zum Schutz des Regenwaldes mit deutscher Unterstützung weiter zu stärken und den globalen Klimaschutz voranzutreiben. Bei der Energie lockt Brasilien deutsche Firmen und ihre Technologie mit den Rohstoffen der Zukunft: grüner Wasserstoff, seltene Erden, Lithium, Wind und Sonne. Und in Bezug auf die multilateralen Strukturen wollen Brasilien und Deutschland zusammen mit Indien und Japan als G4-Staaten den UN-Sicherheitsrat reformieren.

SWP-Expertin Zilla: "Ein qualitativ besseres Angebot als China machen"Bild: SWP

Brasiliens Vorstellungen einer reformierten internationalen Ordnung gingen allerdings über einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat für das eigene Land hinaus, sagt Lateinamerika-Expertin Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Während Deutschland einen eher restaurativen Ansatz bezüglich der liberalen, regelbasierten internationalen Ordnung verfolgt und sozusagen zu retten versucht, was von dieser Ordnung noch zu retten ist, bezieht Brasilien eine reformistische Position und verweist kritisch darauf, dass die internationale Ordnung strenggenommen nie ganz liberal beziehungsweise regelbasiert war."

Als Beispiele nennt Zilla den Irak-Krieg, den Kampf gegen den Terror oder auch den Regimewechsel in Libyen.

Konkurrent China

"Brasilien ist das einzige Land in Lateinamerika, mit dem Deutschland seit 2008 durch eine strategische Partnerschaft verbunden ist. Brasilien ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Südamerika", heißt es auf der Website des deutschen  Auswärtigen Amtes zu den bilateralen Beziehungen. Auf brasilianischen Regierungsseiten wird man umgekehrt so ein Statement vergeblich suchen, weil ein ganz anderes Land in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Brasilien vor allem Taten statt Worte sprechen ließ: China.

Der chinesische Anteil an Brasiliens Import und Export beträgt heute jeweils rund ein Viertel. Erste Geschäfte beider Länder werden bereits nicht mehr in US-Dollar, sondern in den einheimischen Währungen Real und Yuan abgewickelt.

Zilla sagt: "China kauft unglaubliche Mengen und investiert sehr viel. Man muss daher ein Angebot machen, das einen Unterschied macht, und zwar nicht quantitativ, weil das nicht zu leisten ist, sondern qualitativ." Die könne zum Beispiel im Rahmen der Global-Gateway-Initiative der EU geschehen, die damit Schwellen- und Entwicklungsländern helfen will, ihre Infrastruktur nachhaltig auszubauen. Weitere Ansatzpunkte, so die SWP-Expertin, könnten beim Technologietransfer und der gemeinsamen Entwicklung von Sozial- und Umweltstandards liegen. 

Neuer Impuls für EU-Mercosur-Freihandelsabkommen?

Aufgeschreckt wurden sowohl Lula als auch Scholz jüngst durch den  Sieg von Javier Milei bei der argentinischen Präsidentenwahl. Scharf kritisiert der frisch gewählte Rechtspopulist das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay. Wenn sich diese Länder Europas und Südamerikas wie bislang angestrebt zusammenschließen, hätten sie gemeinsam einen Markt für 715 Millionen Menschen . Milei hat sogar mit Argentiniens Rückzug aus dem Mercosur gedroht.

Lula und Scholz dürften dies für ihr Treffen in Berlin als dringenden Weckruf verstehen, die 2019 erzielte politische Einigung des Abkommens endlich in trockene Tücher zu bekommen. Für Brasilien-Experten Stuenkel wäre der Vertrag eine klassische Win-win-Situation.

"Was die Umweltbewegungen in Europa, die gegen das Abkommen sind, übersehen: Die EU priorisiert im Gegensatz zu China den Kampf gegen die Abholzung des Regenwaldes." Das Abkommen würde Deutschlands und Europas Präsenz in Brasilien unheimlich stärken. Es würde gleichzeitig die Zukunft des Mercosur garantieren, so Oliver Stuenkel. "Und es wäre ein ganz wichtiges Signal für Freihandel, Globalisierung und geopolitische Annäherung."

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