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Politik

Lula ist frei! Was nun?

Thomas Milz
11. November 2019

In seiner ersten Rede nach seiner Haftentlassung hat Ex-Präsident Lula da Silva die Regierung frontal angegriffen. Was bedeutet die Rückkehr des charismatischen Volkstribunen langfristig für Brasiliens Polit-Landschaft?

Brasilien Luiz Inacio Lula da Silva in Sao Bernardo do Campo
Luiz Inacio Lula da Silva nach seiner Haftentlassung in São Bernado do CampoBild: Reuters/U. Marcelino

Am Tag nach seiner Freilassung lief Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva vor tausenden Anhängern in seiner politischen Heimat São Bernardo do Campo zu Höchstform auf. Nach 580 Tagen in Haft wolle er nun wieder mitmischen, gestand der 74-Jährige Gründer der linken Arbeiterpartei PT in seiner Rede.

Dem amtierenden Präsidenten und politischen Erzfeind Jair Messias Bolsonaro hielt er dessen Nähe zu den paramilitärischen Mafia-Milizen vor: "Er wurde gewählt um für das brasilianische Volk zu regieren, und nicht für die Milizen in Rio de Janeiro." Der gesamten Regierung verkündete er zudem: "Ich will ihnen sagen: ich bin zurück."

Lula, der zu acht Jahren und zehn Monaten wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt worden war und seit Anfang April 2018 in Haft saß, profitiert nun von einem Urteil des Obersten Gerichts. Demnach müssen erst alle Rechtsmittel ausgeschöpft sein, bevor die Haft angetreten werden muss.

Die Verurteilung blockierte im Oktober 2018 seinen sicher geglaubten Wahlsieg und eröffnete Bolsonaro den Einzug in den Präsidentenpalast. Nun auf freiem Fuß scheint Lula der einzige Oppositionspolitiker zu sein, der sich traut, Bolsonaro frontal anzugreifen.

"Ich will ihnen sagen: Ich bin zurück" sagt Luiz Inacio Lula da Silva nach seiner EntlassungBild: picture-alliance/AP Photo/N. Antoine

"Das war eine harte Rede", urteilt der Politologe Marco Aurélio Nogueira gegenüber der Deutschen Welle (DW). "Lula ist klar geworden, dass es, zumindest im Moment, keinen anderen Weg gibt als seinen Diskurs zu radikalisieren. Denn er muss sein Revier neu abstecken." Nach seiner über eineinhalb Jahre langen Zwangsabstinenz müsse Lula zeigen, dass er tatsächlich wieder zurück sei.

Die Voraussetzungen habe der ehemalige Gewerkschaftsführer jedenfalls, erläutert der Politologe Ricardo Ismael gegenüber der DW. "Lula ist ein Anführer wie ihn die Linke sonst nicht hat. Besonders weil er bereits Präsident war und viele Leute sich an gute Sachen erinnern, die er realisiert hat. Und der Platz des Oppositionsführers gegen Bolsonaro war bisher nicht besetzt. Bisher ist niemand gegen ihn angetreten." 

Bolsonaro glaubt nicht an einen Erfolg Lulas

Präsident Bolsonaro hielt sich bisher auffällig zurück. Am Samstag reagierte er per Twitter: "Gute Menschen und Liebhaber der Freiheit, wir sind die Mehrheit. Lasst uns jetzt keine Fehler begehen. Gebt der Kanaille, die vorübergehend in Freiheit ist, keine Munition. Er ist schuldbeladen." Ähnlich äußerte sich Justizminister Sérgio Moro, ebenfalls per Twitter.

Bolsonaro und sein Umfeld dürften derzeit noch abwarten, glaubt der Politologe Nogueira. "Sie wollen erst einmal analysieren, welchen Ton Lula langfristig anschlägt: den mit Blut in den Augen oder den über Frieden und Liebe. Und wie Lulas politischer Diskurs innerhalb der PT und der Linken überhaupt angenommen wird. Zudem müssen sie sich überlegen, an welcher Flanke sie Lula angreifen werden."

"Lula will ein Duell"

Für Ricardo Ismael steht fest, dass Lula die Konfrontation suchen wird. "Es ist Lulas Strategie, Bolsonaro und Moro herauszufordern. Er will polemisieren, er will ein Duell - um mehr Platz in den Medien zu gewinnen." 

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro wartet noch ab (Archivbild)Bild: Reuters/A. Machado

Doch Bolsonaro und Moro hätten es bewusst vermieden, Lula in die Karten zu spielen. "Bolsonaro und Moro spielen auf Zeit, da ja auch niemand weiß, welche Strategie Lula für 2020 geplant hat."

Im nächsten Jahr stehen in Brasilien Kommunalwahlen an. Ein wichtiger Stimmungstest für Regierung und Opposition. Noch ist unklar, ob sich die Linke gegen das Bolsonaro-Lager zusammentun wird.

Prozesse laufen weiter

Die PT weiß derzeit nicht, welche Rolle Lula in den nächsten Monaten überhaupt spielen kann. Denn für Lula gilt auch noch das "Ficha-Limpa-Gesetz" (Saubere Westen), das er 2010 selbst als Präsident unterzeichnet hatte. Danach dürfen in zweiter Instanz verurteilte Politiker für acht Jahre nicht kandidieren. Zudem wurde er bereits in einem zweiten Prozess verurteilt, der am 27. November vor die Berufungsinstanz kommt. Weil noch sieben weitere Prozesse gegen ihn laufen, kann es sein, dass Lula dann nicht als Bolsonaros Gegenkandidat zur Verfügung steht.

Allerdings sehen Experten gute Chancen dafür, dass auf Antrag Lulas das Oberste Gericht demnächst das Urteil im Korruptionsprozess wegen Befangenheit von Richter Moro aufhebt. Denn der Presse durchgesteckte Informationen legen nahe, dass Moro dabei illegale Absprachen mit der ermittelnden Staatsanwaltschaft getroffen hat.

Im August hat das Oberste Gericht zudem Teile der 2013 eingeführten Kronzeugenregelung für verfassungswidrig erklärt. Dadurch könnte das zweite Urteil gegen Lula ebenfalls aufgehoben werden. Beide Prozesse müssten neu aufgerollt werden, was Lula eventuell genug Zeit geben könnte, sein politisches Comeback bei den Präsidentschaftswahlen 2022 zu planen. Denn durch die Aufhebung der Urteile fiele er nicht mehr unter das "Ficha-Limpa-Gesetz" und erhielte seine politischen Rechte zurück.

Das alles summiert sich zu vielen Ungewissheiten. So sieht Nogueira Lulas Rolle erst einmal begrenzt. "Der große Effekt von Lulas Aktivitäten wird erst einmal die Belebung der PT sein. Aber wird Lula auch die Opposition gegen das Bolsonaro-Lager anführen? Da müssen wir wohl ein wenig vorsichtig sein, denn innerhalb der Gesellschaft gibt es ja viele Widerstände gegen Lula. Die Anti-PT-Stimmung ist stark, auch bei den politischen Parteien, die nicht so einfach Lula die Führungsrolle zugestehen werden." 

"Er ist doch ein verurteilter Mann"

Schon bei den Wahlen 2018 wurde klar, dass Lula die Linke nicht mehr eint, sondern ihr kollektive Kopfschmerzen bereitet. "Klar hat Lula viel Prestige, aber sein Image hat sehr gelitten. Da ist viel zertrümmert worden", so Ismael. "Selbst wenn er nicht mehr ins Gefängnis müsste, so ist er doch ein verurteilter Mann."

"Lula ist umschuldig" - sagt dieses TransparentBild: Reuters/R. Buhrer

Lula müsse nun endlich auch über die eigenen Fehler während der 13 Regierungsjahre der PT (2003-2016) reden, glaubt Ismael mit Blick auf die allgemeinen Wahlen 2022. "Lula muss sich nun um einen neuen Diskurs bemühen, denn über diese ganze Korruption kann er ja nicht schweigen. Die PT und Lula hatten sich in den 90er Jahren die Korruptionsbekämpfung auf ihre Fahnen geschrieben. Aber was nun die neue Richtung für 2022 sein wird, ist vollkommen unklar."

Für Marco Aurélio Nogueira ist derzeit noch nicht sicher, ob die Brasilianer überhaupt eine Neuauflage der Polarisierung Lula-Bolsonaro wünschen. Oder ob sie sich nicht nach Alternativen umschauen könnten. "Es wird wieder zur Polarisierung Lula-Bolsonaro kommen. Aber vielleicht bricht diese Polarisierung ja ein wenig auf und funktioniert nicht mehr so wie letztes Jahr. Vielleicht sehen wir dann ja einen Kampf zwischen drei oder gar vier verschiedenen Gruppen. Aber vielleicht ist das auch nur ein optimistischer Wunsch meinerseits."

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