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Politik

Lulas Wahlkampf hinter Gittern

Maurício Frighetto Curitiba
7. August 2018

Ungeachtet von Verurteilung und Inhaftierung betreibt Brasiliens Ex-Regierungschef Lula munter Wahlkampf. Rund um das Gefängnis herrscht Ausnahmezustand. Während Unterstützer Mahnwachen halten, wollen Anwohner ihre Ruhe.

Brasilien Luiz Inacio Lula da Silva in São Bernardo do Campo
Der Ex-Präsident im April am Fenster der Metallurgical Union in Sao Bernardo do Campo (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/M. Schincariol

Die Hauptstadt des südbrasilianischen Bundesstaates Paraná, genauer das Viertel Santa Cândida, in dem sich das Polizeigefängnis befindet, ist mittlerweile zum politischen Mittelpunkt Brasiliens avanciert - seit Brasiliens Ex-Präsident dort seine zwölfjährige Haftstrafe angetreten hat. Wegen Korruption und Geldwäsche wurde er rechtskräftig verurteilt. Kandidieren dürfte er deshalb eigentlich nicht.

Und doch wurde Lula, wie die Brasilianer ihn schlicht nennen, am Samstag offiziell von seiner Partei, dem Partido dos Trabalhadores (PT), zum Präsidentschaftskandidaten ernannt. Und aus seiner Einzelzelle im Hauptquartier der Bundespolizei in Curitiba koordiniert er offenbar unbeirrt seinen Wahlkampf für das höchste Amt der Republik.

"Guten Morgen, Herr Präsident!" - Demonstranten vor dem Gefängnis von Ex-Präsident Lula in CuritibaBild: DW/M. Frighetto

Vor dem Gefängnis halten die Anhänger des 72-Jährigen seit seiner Inhaftierung Mahnwachen, um gegen dessen "politische Gefangennahme" zu protestieren. Es ist ein regelrechtes Widerstandscamp mit Zelten und Morgen-, Mittags- und Abendappellen. Tag für Tag wünschen die Demonstranten ihrem politischen Idol lautstark "Guten Morgen", "Guten Mittag" und "Gute Nacht".

PT-Politiker sind Lulas Anwälte

Immer montags erhält Lula geistlichen Besuch, ansonsten ist donnerstags Besuchertag. Der ehemalige Bildungsminister und Ex-Bürgermeister von São Paulo, Fernando Haddad, der am Wochenende zu Lulas Vizekandidat bestimmt wurde, ist auch dessen Strafverteidiger geworden - damit er freien Zugang zu seinem Parteigenossen hat.

Die Vorsitzende der Arbeiterpartei, Senatorin Gleisi Hoffmann, hat seit vergangenem Freitag denselben Status inne und kann Lula somit ebenfalls unbegrenzt besuchen. "Wir sind hier, um mitzuteilen, dass unser Kandidat nach wie vor Lula ist. Es gibt keinen Plan B. Wir stehen dazu bis zum Schluss", sagte Hoffmann nach ihrem letzten Besuch.

Das Solidaritätscamp in CuritibaBild: DW/M. Frighetto

Trotz der Worte der PT-Chefin wird spekuliert, welche Strategie die Arbeiterpartei fährt, falls Lulas Kandidatur untersagt wird. Denn das ist höchstwahrscheinlich: Nach dem Anti-Korruptions-Gesetz "Ficha Limpa" (dt.: "Unbeschriebenes Blatt") dürfen Personen, die in zweiter Instanz verurteilt wurden, acht Jahre lang nicht für ein öffentliches Amt kandidieren. Unabhängig davon, ob der Betroffene weitere Rechtsmittel einlegen kann. Ironischerweise hatte Lula das Gesetz 2010 selbst unterzeichnet.

Geprüft wird Lulas Kandidatur allerdings erst, wenn sie am 15. August offiziell bei den Wahlbehörden eingereicht wird. Die Arbeiterpartei hat in jedem Fall bis zum 17. September Zeit, den Kandidaten zu wechseln. Und obwohl der PT es nicht zugibt, dürfte es einen Plan B geben. Und der soll Fernando Haddad heißen.

"Präsidentschaftswahl mit gezinkten Karten"

Um sich aus dem Gefängnis heraus mitzuteilen, nutzt Lula seine Besucher als Sprachrohr, schreibt Zeitungsartikel und Briefe. Interviews darf er nicht geben. In seinen Texten wiederholt der Ex-Präsident stets, unschuldig zu sein. Seine letzte Hoffnung ist ein noch ausstehendes Berufungsurteil des Obersten Gerichtshofs.

Ist er der "Plan B" der Arbeiterpartei? Lulas Vizekandidat Fernando HaddadBild: Getty Images/O.Torres

"Jetzt wollen sie eine Wahl mit gezinkten Karten machen. Mich davon ausschließen, obwohl die meisten Wähler in den Umfragen mich bevorzugen. Sie haben schon die rechtmäßige Präsidentin Dilma Rousseff gestürzt. Nun legen sie ein Veto gegen das Recht des Volkes ein, frei seinen Präsidenten zu wählen", heißt es etwa in einem auf dem PT-Parteitag vorgetragenen, von Lula verfassten Text.

Prominente Unterstützung

Die Mahnwache vor dem Polizeigefängnis hat mit ungefähr 2000 Personen pro Tag begonnen. Mittlerweile sind es noch schätzungsweise 100 bis 300. Letzten Donnerstag gab es große Aufregung, als die in Brasilien sehr bekannten Musiker Chico Buarque und Martinho da Vila kamen, um Lula einen Besuch abzustatten. In einem vom PT verbreiteten Video sagt Buarque, der Ex-Präsident sei bester Laune gewesen und "bereit, bis ans Ende zu gehen".

Weitere Berühmtheiten, die zu Lula stehen, sind etwa der amerikanische Schauspieler Danny Glover und Uruguays ehemaliger Präsident José Mujica. Auch Papst Franziskus ließ Lula vor einigen Tagen eine wohlwollende Nachricht zukommen.

Neben Besuchen von Politikern, Schauspielern und anderen öffentlichen Personen findet das Widerstandscamp Unterstützer aus allen Teilen Brasiliens. Eine Frau, die extra aus Caetés, Lulas Geburtsstadt im Nordosten Brasiliens, angereist war, erklärte: "Lula ist einer von uns. Er ist im Nordosten geboren und weiß, wie unser Leben dort ist. Er muss unbedingt freikommen."

Bei den Anwohnern regt sich Widerstand

Seit vier Monaten finden die Mahnwachen nun vor dem Polizeigefängnis in Curitiba statt - vielen Anwohnern im Viertel Santa Cândida reicht es. Sie sind gegen die Lula-Anhänger aktiv geworden, haben etwa "Räumt Curitiba" als Seite auf Facebook und als Kanal auf Youtube gestartet. Auch einen "Verein der Bewohner von Santa Cândida", der sich für deren Rechte gegenüber den Demonstranten engagiert, gibt es mittlerweile. "Die sind in unsere Straßen eingefallen und zelten dort. Es gibt täglich verbale Auseinandersetzungen", so die Vorsitzende des Vereins, Alisson Ferreira dos Santos.

Die bekannten brasilianischen Sänger Gilberto Gil und Chico Buarque bei einem "Lasst Lula frei!"- Konzert in Rio de JaneiroBild: picture-alliance/AP Photo/L. Correa

Der Streit zwischen den Lula-Anhängern und den Anwohnern findet auch vor Gericht statt. Nach einigem Hin und Her einigte man sich danach auf einen Kompromiss mit den Protestlern. Letztere mieteten ein Grundstück neben dem Polizeigefängnis an, um auf diesem anstatt auf der Straße die Mahnwachen zu halten. Die Lula-Anhänger sehen dies als Erfolg, da sie nun noch näher an ihrem Ex-Präsidenten dran sind.

Dagegen sind viele Bewohner weiter unzufrieden, auch wenn nun keine Zelte mehr auf den Straßen stehen: "Das ist ein Viertel voller älterer Menschen und alle werden krank vor Lärm. Mein Arzt hat sogar meine Medikamentendosis erhöht", erzählt Rentnerin Ney Fátima, die direkt neben dem angemieteten Grundstück wohnt.

Doch es gibt auch unter den Bewohnern Santa Cândidas Unterstützer Lulas. So stellte etwa Regiane do Carmo Santos den Protestlern direkt zu Anfang ihr Grundstück zur Verfügung. Mittlerweile hat die 53-Jährige auch einen Teil ihres Hauses an sie vermietet, die Lula-Anhänger bereiten dort ihre Mahlzeiten vor. "Ich bin da so reingerutscht und mittlerweile fühle ich mich den Leuten sehr verbunden. Es war nicht einfach, meine Nachbarn haben mich zuerst ziemlich beschimpft. Aber mittlerweile ist es okay."

Als es Anfang Juli kurz so aussah, als käme Lula auf freien Fuß, hatte Santos zwiespältige Gefühle: "Ich war glücklich, weil er aus dem Gefängnis kommen sollte. Aber auch traurig, denn dann wäre ich wieder alleine gewesen." Im Moment sieht es so aus, als ob weder das eine noch das andere in naher Zukunft passieren wird.

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