Mehrere deutsche Lungenärzte stellen die geltenden Stickoxid- und Feinstaub-Grenzwerte in Frage. Diese seien nur unzureichend und vor allem durch fragwürdige epidemiologische Studien begründet.
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Wie gefährlich sind Stickoxide (NOx) und Feinstaub eigentlich wirklich? In die Debatte über Fahrverbote in Innenstädten, um geltende Schadstoff-Grenzwerte durchzusetzen, haben sich jetzt auch Lungenärzte eingeschaltet. Und diese sind sich keineswegs einig in der Bewertung.
Zuerst hatte die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) am 3. Dezember 2018 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem die Autoren grundsätzlich auf die Gefährlichkeit von Luftschadstoffen hinweisen. Sie zählen die Auswirkungen verschiedener Schadstoffe auf Lunge, Herz, das Organsystem, auf das Gehirn und auf ungeborene Kinder auf.
Und sie stellen Forderungen: Eine "deutliche Reduktion der Luftschadstoffbelastung ist geboten und eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich", heißt es dort. Sie fordern eine "Kultur der Schadstoffvermeidung" mit ganz konkreten Maßnahmen.
Epidemiologische Studien oder doch besser Toxikologische Experimente?
Grundsätzlich weisen die Autoren allerdings auf eine Schwierigkeit bei der wissenschaftlichen Festlegung von Grenzwerten hin: In der Regel nutzen Statistiker epidemiologische Studien als Grundlage für Empfehlungen an die Politik. Auf dieser Basis legen die Gesetzgeber dann geltende Grenzwerte fest.
Die Epidemiologie, die sich auf Grundlage von Statistiken mit den Ursachen und der Verbreitung von Krankheiten innerhalb von Bevölkerungsgruppen beschäftigt, stößt dabei allerdings an ihre Grenzen: Da im Straßenverkehr "zumeist Schadstoffgemische auftreten, kann eine rein epidemiologische Separierung der Effekte von Einzelbestandteilen auf den Organismus schwierig bzw. nicht möglich sein," schreiben die Autoren des Positionspapiers. Aussagekräftiger seien experimentelle Studien an Zellen, Tieren oder Menschen zur Toxikologie.
Smogalarm: In diesen zehn Metropolen ist die Luft besonders dick
In vielen Großstädten ist die Luftverschmutzung eines der größten Umweltprobleme. Hier einige der schlimmsten Beispiele.
Bild: picture alliance/Photoshot
Ahwaz, Iran
Die Stadt Ahvaz belegt mit großem Abstand den ersten Platz, wenn es um Smog geht: Sie ist die schmutzigste Stadt der Welt. Schuld daran ist die in und um die Stadt herum angesiedelte Schwerindustrie, die Öl, Metall und Erdgas verarbeitet.
Bild: ISNA
Ulan Bator, Mongolei
Die Hauptstadt der Mongolei ist nicht nur die kälteste, sondern auch die zweitschmutzigste Metropole der Welt. Während des eisigen Winters macht das traditionelle Heizen mit Kohle und Holz 60-70 Prozent des Smogs in der Stadt aus.
Bild: picture-alliance/landov
Lahore, Pakistan
Luftverschmutzung ist eines der zentralen Umweltprobleme Pakistans. Besonders dramatisch ist die Situation in Lahore, der zweitgrößten Stadt des Landes. Grund für den Smog ist - neben dem hohen Verkehrsaufkommen und der Müllverbrennung - der natürliche Staub aus den umliegenden Wüstenregionen.
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Neu-Delhi, Indien
In der 9,9 Millionen-Metropole stieg die Zahl der Fahrzeuge innerhalb von 30 Jahren von 180.000 auf fast 3,5 Millionen an. Trotzdem sind vor allem die kohlebetriebenen Kraftwerke schuld an der Luftverschmutzung: Sie tragen bis zu 80 Prozent der schädlichen Emissionen bei.
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Riad, Saudi Arabien
Sandstürme - wie hier über Riad - begünstigen die Smogentwicklung, weil sie die Partikelkonzentration in der Luft zusätzlich erhöhen. Die intensive Sonneneinstrahlung verwandelt den Dreck aus den Abgasen von Industrie und Verkehr in Ozon.
Bild: picture-alliance/dpa
Kairo, Ägypten
Die schlechte Luftqualität in Kairo verursacht Krankheiten, wie chronische Atemwegserkrankungen oder Lungenkrebs. Jedes Jahr sterben daran zwischen 10.000 und 25.000 Menschen. Gründe für die Verschmutzung sind das hohe Verkehrsaufkommen und die schnell wachsende Industrie.
Bild: DW Akademie/J. Rahe
Dhaka, Bangladesh
Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts in Mainz, sterben in New York und Tokio jährlich etwa 500 Menschen an den Folgen verschmutzter Luft. In der sieben Millionen-Metropole Dhaka sind es fast 15.000. Dort haben die Forscher die weltweit höchste Schwefeldioxidkonzentration gemessen.
Bild: picture-alliance/dpa
Moskau, Russland
Die verschmutzte Luft der Megacities ist durchaus unterschiedlich zusammengesetzt. Für Moskau ist vor allem eine erhöhte Konzentration von Kohlenwasserstoffen charakteristisch. Der ganzjährige Westwind sorgt zumindest in den westlichen Stadtteilen für frischere Luft.
Bild: picture-alliance/dpa
Mexico City, Mexico
Das Smog-Problem in Mexico City wird durch die geografische Lage verstärkt. Die Stadt liegt in einem Kessel und wird von bis zu 5000 Meter hohen Vulkanen umgeben. Wegen des hohen Schwefeldioxid- und Kohlenwasserstoffgehalts der Luft, galt Mexico City lange Zeit als schmutzigste Stadt der Welt.
Bild: picture-alliance/dpa
New York, USA
New York gilt als die sauberste Großstadt der USA. Die Verwendung von Biodiesel und der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel tragen dazu bei.
Bild: picture alliance/Amanda Hall/Robert Harding
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Keine Einigkeit unter Lungenärzten
Die Unzulänglichkeit epidemiologischer Studien ist auch der Hauptkritikpunkt einer Gruppe von hochrangigen Lungenärzten, die ein zentrales Fazit des Positionspapiers – nämlich, dass Grenzwerte weiter zu reduzieren sind - nicht teilen. Bisher haben 112 deutsche Lungenärzte ihre Unterschrift unter eine Gegenposition zu Stickoxid- und Feinsstaub-Grenzwerten gesetzt.
Bereits im September 2018 hatte er im Ärzteblatt einen Artikel veröffentlicht, in dem er den epidemiologischen Studien, die Grundlage der geltenden Grenzwerte sind, die "wissenschaftliche Basis" abgesprochen hatte.
Zufall oder Ursache?
Kern seiner Kritik ist die Verwechslung von Kausalität und Korrelation durch die Epidemiologen. Mit anderen Worten: In Gebieten mit hoher Feinstaub- und NOx Belastung sterben die Menschen zwar im Durchschnitt etwas früher als anderswo. Aber ob sie auch an Feinstaub und NOx sterben, sei dabei völlig unklar.
Es könne auch an ganz anderen Störfaktoren liegen: Rauchen, Alkoholkonsum, mangelnde körperliche Bewegung, fehlende medizinische Betreuung, unregelmäßige Einnahme von Medikamenten und vielem mehr. "All diese Faktoren wirken meist hundertfach stärker" als das erhöhte Risiko durch Luftschadstoffe, schreiben Köhler und seine Mitstreiter.
Zu guter Letzt blenden die epidemiologischen Studien die Frage einer toxikologischen Schwellendosis für den jeweiligen Luftschadstoff völlig aus, kritisiert der Autor, obwohl "jedes Gift, auch das stärkste, eine Schwellendosis" habe.
Opfer des Rauchens gibt es viele - aber wo sind die NOx-Toten hin?
Sollte es tatsächlich viele kausale Todesfälle durch Feinstaub und NOx geben, müsste das den Lungenärzten in ihrer täglichen Praxis auffallen. Dies sei aber gar nicht der Fall.
Köhler zitiert eine epidemiologische Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) als Beispiel. Diese errechne für NOx 6.000 – 13.000 und für Feinstaub 60.000 – 80.000 zusätzliche Sterbefälle im Jahr. Das wären in etwa so viele Menschen, wie in Folge des Rauchens sterben.
"Lungenärzte sehen in ihren Praxen und Kliniken [durch Zigarettenrauch verursachte Todesfälle] täglich; jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie", schreiben die Lungenärzte in ihrer Gegenposition.
Also sei es "sehr wahrscheinlich", dass die wissenschaftlichen Daten, die zu diesen Schätzungen führen "einen systematischen Fehler enthalten". Offenbar seien sie "extrem einseitig interpretiert" worden, "immer mit der Zielvorstellung, dass Feinstaub und NOx schädlich sein müssen."
Köhler und seine Mitstreiter sehen ihr Papier als Beitrag zur Versachlichung der emotional geführten Debatte um Fahrverbote, Grenzwerte und Dieselabgase. Zumindest darin sind sie sich einig mit den Vertretern der etablierten Verbände der Lungenärzte.
Auch diese sind dankbar für Veröffentlichung der Gegenposition zum eigenen Papier: "Die DGP, der Verband der pneumologischen Kliniken (VPK) und die Deutsche Lungenstiftung betrachten die Veröffentlichung (…) als Anstoß für notwendige Forschungsaktivitäten und eine kritische Überprüfung der Auswirkungen von Stickoxiden und Feinstaub" schreiben die jeweiligen
Wie kann die Luft in Deutschlands Städten sauberer werden? Und vor allem: Geht das auch ohne Fahrverbote für Diesel? Bonn, Essen, Herrenberg, Mannheim und Reutlingen wollen es ausprobieren. Und zwar so.
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Schneller mit dem Drahtesel unterwegs
So wie in Kopenhagen planen Reutlingen und Essen Radschnellwege durch die Stadt einzurichten. Der Ausbau des Fahrradstraßennetzes ist eh "überfällig", meint Experte Christian Hochfeld von der Agora-Verkehrswende. "Wir merken, dass die Menschen aufs Fahrrad umsteigen, aber der öffentliche Raum ist nicht fair verteilt: Gerade parkenden Pkws wird zu viel Raum gegeben."
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Günstig von A nach B
Vier von fünf Städte setzen auf billigen Nahverkehr. In Bonn und Reutlingen soll es Klima-Jahrestickets nach Vorbild Wiens für 365 Euro geben, also für 1 Euro pro Tag. Mannheim und Herrenberg planen Preissenkungen bei Einzel-, Mehrfahrten- und Zeitkarten. Zustimmung von Experte Hochfeld: "Günstiger ÖPNV ist der richtige Weg nach vorne, allerdings muss die Qualität trotzdem gesichert sein."
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Weniger lang warten
Wie schön ist es, wenn man zur Bushaltestelle geht - und zack, kommt auch schon der nächste Bus. So macht Nahverkehr Spaß. Bonn will daher bei vielen Buslinien den Takt verdichten, so dass die Wartezeiten an der Haltestelle kürzer werden. Analoges planen Reutlingen und Essen. Hochfeld: "Taktverdichtung ist die absolute Grundvoraussetzung, dass Menschen in den Innenstädten auf den ÖPNV umsteigen."
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Mehr Bushaltestellen
Wir alle kennen das: Ist die Bushaltestelle zu weit weg von der Wohnung oder nicht nah genug am Fahrtziel, greift man vielleicht doch lieber zum Auto. Daher plant Reutlingen ein neues Stadtbusnetz mit zehn neuen Buslinien und hundert (!) neuen Haltestellen.
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Kein Warten für Busse
Zusätzliche Busspuren sollen in Herrenberg Menschen zum Busfahren animieren: Im Bus fährt man dann an allen wartenden Autos vorbei und freut sich. Auch Grünschaltungen für Busse sind so ein Mittel. "Das führt dazu, dass die Menschen den ÖPNV als schneller und bequemer wahrnehmen", kommentiert Hochfeld. "Wenn 40 Leute im Bus sitzen, sollten die Vorrang haben vor einem einzigen Menschen im Pkw."
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Grüne Welle
Stop-und-Go ist nicht nur eine Belastung für die Nerven der Autofahrer, sondern auch für die Umwelt. Beim Anfahren verbraucht ein Auto besonders viel Sprit und stößt viele Abgase aus. Herrenberg plant eine dynamische Steuerung von Ampeln, so dass Autofahrer auf der grünen Welle reiten können. Statt der Sekunden bis zur nächsten Rotphase soll angezeigt werden, bei wieviel km/h freie Durchfahrt ist.
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Pakete kommen mit dem E-Bike
Mannheim errichtet einen "Micro-Hub": einen Umschlagsplatz, auf dem Pakete von den Lastwagen auf E-Bikes verladen werden. Dadurch sollen weniger Lieferwagen in die Innenstadt fahren. "Eine gute Ergänzung", meint Christian Hochfeld. Allerdings: "Wollen wir weiter zulassen, dass Menschen kleinste Einheiten online bestellen, die dann einzeln geliefert werden?" Hier sieht der Experte Nachholbedarf.
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Hybridbusse
In Köln und vielen anderen Städten fahren sie bereits umher: Hybridbusse, die den Schadstoffausstoß reduzieren sollen. Mannheim will jetzt auch schadstoffarme Euro-6-Hybridbusse für die Innenstadt beschaffen. Vor allem Fahrradfahrer, die oft hinter Bussen herfahren müssen, wird das freuen.
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Go digital
Nützt zwar nichts gegen Abgase, ist aber gut für's coole image von Bus und Bahn: Viele deutsche Städte bieten bereits Apps an, mit denen sich ganz schnell und papierlos eTickets für den Nahverkehr kaufen lassen. Mannheim will das eTicket jetzt stark ausbauen. Herrenberg plant eine Stadt-Mobility-App, in der sich auch Leihfahrräder und CarSharing einfacher organisieren lassen.