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Musik

Zwischen DDR-Untergrund und Staatsradio

31. Oktober 2019

Zwischen DDR-Untergrund und Staatsradio: Lutz Schramm, Moderator des DDR-Jugendsenders DT 64, wollte unabhängigen DDR-Bands ein Forum geben. Und schrappte damit haarscharf an der Grenze zum Illegalen entlang.

Moderator Lutz Schramm beim DDR Jugendradio DT 64
Bild: Boris Claudi

Lutz Schramm moderierte von 1986 bis 1993 die Sendung "Parocktikum" im DDR-Jugendsender DT 64, später noch beim ORB. Hier lief die eher "ungewöhnliche" Musik, die nicht in den Hitparaden gespielt wurde, die es zum Teil auch gar nicht auf Platten gab. So hatte Schramm gute Kontakte zur Untergrundszene der DDR. Er spielte im Radio Demotapes von Bands, die von den staatlichen Behörden eher kritisch gesehen wurden - und bekam dafür auch schon mal Ärger. Im DW-Interview erzählt der heute 60-Jährige von Musik, Zensur und Situationen zwischen zwei Stühlen.

DW: Herr Schramm, was hat Sie an den unbekannten, ungemütlichen Bands so sehr fasziniert?

Lutz Schramm: Mein Interesse galt immer der unabhängigen Musik. Als ich mit "Parocktikum" angefangen habe, wollte ich Musik aus der DDR und den sozialistischen Ländern wie Ungarn und Polen spielen. Allerdings gab es offiziell nicht so viel Musik, die stilistisch reinpasste in das, was ich machen wollte - also Indie, Punk, experimentelle Musik. Dann habe ich Kontakte zu den Bands gesucht, zur Szene.

Hatte die Stasi Sie denn auf dem Kieker - auch wegen Ihrer Kontakte zur Szene?

In meinen Stasi-Unterlagen war nicht zu erkennen, dass ich gezielt observiert wurde, weil ich Draht zur Szene hatte. Das hätte denen auch nicht viel gebracht. Denn die Szene hat mir auch nicht komplett getraut. Da gab's schon Leute, die gedacht haben, der arbeitet beim Staatsradio, wer weiß, was der macht mit Sachen, die wir ihm erzählt haben, da machen wir lieber mal einen Bogen drum.

Viele "Underground"-Konzerte fanden in Kirchen stattBild: imago images/epd

Wie kam denn die Musik aus dem Untergrund letztendlich ins Radio?

Zunächst mal gar nicht. Ab etwa 1980 gab es in der DDR Punk, die Staatsmacht hat da aber komplett zugeschlagen und die kleine Punk-Szene, die sich da entwickelt hat, mit Spitzeln durchsetzt, die Leute ins Gefängnis geworfen und aus dem Land geekelt. So war Mitte der 80er kaum noch jemand aus der Szene aktiv oder so tief im Untergrund, dass man es nicht mehr mitbekommen hat.

Aber es gab inzwischen andere, die gesagt haben: Okay, wir wollen unabhängige Musik machen, aber wir wollen auch Publikum erreichen. Und die ließen sich einstufen.

Was bedeutet das?

Wenn man in der DDR als Musiker offiziell auftreten wollte, musste man eine Einstufung haben. Da gab es eine Kommission, die darauf geachtet hat, dass alle Musiker ihre Instrumente beherrschen und ob das Ganze zur DDR-Ideologie passt. [Wenn die Bands diese Prüfung bestanden haben, durften sie offiziell auftreten und Platten produzieren, Anm.d.Red.]

Auch die Avantgarde-Band "AG Geige" wurde durch "Parocktikum" bekanntBild: J. Kummer

Und wenn eine Band im Radio gespielt werden wollte, musste sie dann die Texte einreichen?

Ja - vor allem die Bands, die so laut waren, dass man die Texte nicht verstehen konnte. Und dann wurde entschieden. Bei einem "Nein" hieß es meistens, "weil ihr schlecht spielt". Aber im Prinzip ging es um die Inhalte. Die "eingestuften" Bands wie Feeling B oder Hard Pop konnten auftreten, haben dann aber einfach so weitergemacht wie vorher. 

Wenn zensiert wurde, was wurde da genau kritisiert?

Alles, was gegen den Staat ging. Armee, Partei, konkrete Systemkritik. Es gab auch andere Tabuthemen: Umwelt, Reisefreiheit, Nazis. Wobei: Gegen Nazis zu singen, war schon möglich - aber nur gegen West-Nazis.

Aber es gab immer wieder Zeiten, in denen bestimmte Dinge, die unproblematisch waren, dann plötzlich nicht mehr gingen. Nach Tschernobyl über Umwelt zu singen, das war zur Zeit des Reaktor-Unglücks schwieriger als zwei Jahre später. Da oblag es oft dem Geschick der Texter, etwas zu sagen, was man nicht ausspricht.

Etabliert - aber nicht immer staatskonform: Karussell durften nicht von freien Gedanken singenBild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Was haben die Texter denn gemacht, um sich auszudrücken, ohne anzuecken - so dass aber trotzdem jeder wusste, um was es geht?

In einem Song der Gruppe Lift heißt es "Nach Süden, nach Süden, dahin wollte ich fliegen". Da ging es um Freiheit und das Wegkommen. Und für mich bedeutete das immer "Nach Westen, nach Westen".

In "Lieb ein Mädchen" von Karussell steht ein Mädchen am Fließband und leistet mit ihren Händen schwere Arbeit. Der Typ singt "Doch mit dem Kopf kann sie machen, was sie will". Und das hat jemand im DDR-Rundfunk gesagt? Wie? Was? "Mit dem Kopf kann sie machen, was sie will"? Das wurde dann aus dem Radio genommen.

Die Puhdys gehörten zu den "etablierten" Bands und traten auch im Westen aufBild: picture-alliance/Jazzarchiv/H. Schiffler

Im Westen kannten wir die Puhdys, Karat und City. Da waren aber einige Texte dabei, bei denen wir dachten, das ist ja mutig, dass die sowas singen.

Natürlich haben die etablierten Textdichter nicht nur Liebe und schöne Dinge in lyrischen Metaphern verpackt, sondern vorsichtig auch das eine oder andere politische Statement.

Die junge, unabhängige Szene war da bedingungsloser. In "Born in the GDR" von Sandow heißt es zwar nicht "wir fühlen uns eingemauert", sondern es heißt "wir können bis an unsere Grenzen gehen, hast du schon mal darüber hinweg gesehen". Das ist natürlich lyrisch und lässt sich gut singen, aber die Aussage ist ganz klar: "Da ist eine Mauer, wir kommen nicht dahinter".

Lutz Schramm betreibt die Webseite parocktikum.deBild: Lutz Schramm/Privatarchiv

Haben Sie sich denn manchmal über Verbote hinweggesetzt und Musik gespielt, weil Sie sie einfach toll fanden?

Ich habe meinen Plan jedes Mal vorab meinem Sendeleiter gezeigt. Es wurde aber nicht jeder einzelne Song unter die Lupe genommen. Und so habe ich einmal eine Kassette von den "Fanatischen Friseuren" gespielt. Danach kam der Chefredakteur Musik, der sagte, er hätte da einen Anruf bekommen, ich hätte da eine Band gespielt, die gar keine Spielerlaubnis hatte. Ich hab ihm gesagt: "Ja, das ist ein Demotape, sowas spiele ich ja öfter. Ich kann mir doch nicht von jedem ein polizeiliches Führungszeugnis schicken lassen, beim nächsten Mal passe ich besser auf." Dann war das quasi erledigt.

Sowas zeigt auch, dass die Zensur eher willkürlich war: Auf der einen Seite nicht wirklich streng und andererseits hieß es: "Lass da mal lieber die Finger von und pass auf, dass dir da nichts Schlimmes passiert."

Wer anders aussah, bekam schneller ÄrgerBild: imago images/Seeliger

Sie haben auch schon mal eins ins Gesicht bekommen…

Das war, nachdem ich bei einer Veranstaltung als DJ aufgelegt habe. Auf dem Nachhauseweg hat mich ein Typ angehalten und - peng! - hatte ich seine Hand im Gesicht. Ich habe gefragt "Warum das jetzt?" und da meinte er "Für das, was du machst". Mehr nicht.

Mir war aber bewusst, dass es ja diesen echten Underground gab, wo die Leute Stress mit dem Staat hatten. Jemand, der wie ein Punk aussah und deswegen von Polizisten kontrolliert wurde oder einfach mal für ein, zwei Nächte ins Untersuchungsgefängnis kam, weil ihn einer angeschwärzt hat - so jemand hat sich sicher verarscht gefühlt, wenn er das Radio angemacht hat und jemand bei DT 64 lustige Punkmusik spielte. Dass da auf der einen Seite Punks vom Staat so richtig drangsaliert wurden und auf der anderen Seite so getan wurde, als wäre es das Normalste auf der Welt.

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online
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