Lutz Seiler: "Authentische Ausgangspunkte"
8. Oktober 2014DW: Herzlichen Glückwunsch zum Buchpreis, Herr Seiler, inwiefern war der Schauplatz der Insel für Sie wichtig?
Lutz Seiler: Es gab keine langfristige Vorüberlegung, dass eine Insel als Schauplatz für den Roman gut geeignet sein könnte. Ich wollte eigentlich einen ganz anderen Roman schreiben, an dem ich dann gescheitert bin. Erst auf Umwegen bin ich dann auf diesen Hiddensee-Stoff gekommen. Man glaubt ja nicht unbedingt, dass Dinge, die man selbst erlebt hat, das allerinteressanteste sind und dass man einen Roman schreiben könnte, der 500 Seiten lang ist. Und so ist es letzten Endes ja auch nicht. Es ist kein autobiografischer Roman. Aber es gab authentische Ausgangspunkte, aufgrund dessen, dass ich selber als Abwäscher auf Hiddensee einen Sommer lang gearbeitet habe. Das war schon der Weg zum Stoff gewesen - vielleicht auch der erste Weg.
Was stand am Anfang? Was war Ihre Inspiration?
Ich habe zuerst ein paar starke Bilder gesehen. Zum Beispiel diese Hosenbeine dieses sowjetischen Generals, wenn Kruso abgeholt wird, heimgeholt wird von der Insel von seinem Vater, der in der russischen Armee ist, der da am Strand steht. Da werden diese sowjetischen Hosenbeine nass, also die Uniform. Dieses Bild war im Grunde das Portal in den Roman. Ich hatte da sofort ein großes Vertrauen. Ich hatte die Geschichte gesehen.
Dann habe ich auch eine Dramaturgie gesehen. Dann entwickelt man das immer weiter und man merkt: Jetzt hast Du den richtigen Faden in der Hand. Also: Man weiß nicht vorher, dass die Insel das gute Sujet ist. Man hat dann aber einen Faden in der Hand und nach und nach kam alles andere hinzu und es erwies sich, dass die Insel für die Geschichte, die ich erzählen wollte, das ideale Sujet war.
Und zu dem Faden gehört auch die Männerfreundschaft. An beiden Enden des Fadens haben die beiden Männer, der jüngere Ed und der ältere Kruso, kräftig gezogen…
Genau. Die Männerfreundschaft gehört dazu: Die Hauptfigur des Buches Ed spricht immer wieder über seine Sehnsucht nach der Art von Freundschaft. Kruso ist eine Art Pate, ein Guru, der sich anbietet, dass Ed bei ihm unter die Fittiche kriechen kann. Ed denkt oft darüber nach, wie es gewesen ist. Er sagt immer: Ich habe immer einen ‚Besten Freund‘ gehabt im Leben. Und er wünscht sich das wieder. Es gibt diese Sehnsucht. Ja, die Geschichte dieser „Beste Freunde-Freundschaft“ wird im Buch erzählt.
Sie haben ja gelegentlich gesagt, dass das kein Buch über die DDR ist, kein Roman über die DDR. Aber es ist ein Buch über Freiheit und Freiheit in der DDR, einem ganz speziellen Ort!
Ja, es ist ein Buch über einen sehr, sehr speziellen Ort und ein Buch, das mit diesem speziellen Ort versucht, Fragen zu stellen. Vielleicht auch für diese Zeit, die mit unserem Freiheitbegriff zu tun hat. Und es ist natürlich gleichzeitig ein Buch, das den Untergang dieses Landes als historische Folie benutzt und evtl. sogar symbolisiert, wenn alles sehr gut gelaufen ist. Der Untergang des Klausners kann sehr wohl als eine Art Chiffre für den Untergang des Landes gesehen werden. Das habe ich aber selber nicht betrieben, das hat die Geschichte heraus gekitzelt.
Inwiefern hat die Geschichte heraus gekitzelt, dass Sie ganz am Ende das ganz reale, das Authentische, den Epilog dazugeschrieben haben? Also über die Menschen, die umgekommen sind bei der Flucht über die Ostsee?
Das ist gut gesagt. Ich hatte tatsächlich nicht vor, diese Recherche zu machen. Ich habe fast alles, was ich greifen konnte zu Hiddensee, gelesen, bin dann auf diese Fluchtgeschichte, diese Ostessefluchten gestoßen. Auch auf ein Interview über die Toten, über die Ostseetoten, die in Dänemark angespült worden sind. Von denen es heißt, die wurden alle nach Kopenhagen in die Forensik gebracht.
Und dann hatte ich sofort dieses Wort von dem Museum der Ertrunkenen im Kopf und hab mich gefragt, was ist denn jetzt mit denen? Wo sind die hingekommen? Liegen die alle da? Da hatte ich diese Frage einmal im Kopf. Dann kam ich einfach nicht mehr umhin, denen hinterherzufahren. Ich war oft in Kopenhagen, habe diese Recherche gemacht, die dann im Epilog sehr detailliert und auch in Erkenntnisfortschritten genauso erzählt wird.
Das heißt, Sie haben auch ein wenig historisches Neuland betreten?
Zufälligerweise. Oder sagen wir so: Der Roman hat es herausgefordert. Der Roman brauchte den Epilog. Der Epilog ist vielleicht sogar wie ein Anker für diesen fantastischen Hauptteil. Der Held hält diesen Hauptteil fest.