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Mögliche Antibiotika-Alternative entwickelt

Sonya Angelica Diehn / vb5. November 2014

Forscher haben eine neue Substanz entwickelt, die Infektionen bekämpfen soll: Liposomen dienen als Lockvögel für die Bakterien, damit das Immunsystem seine Arbeit machen kann. Einige Ärzte sind noch skeptisch.

Antibiotika (Foto: DW).
Bild: DW

Im Kampf gegen bakterielle Infektionen gibt es möglicherweise einen Fortschritt. Eine Studie in der Zeitschrift "Nature Biotechnology" stellt eine neue, künstlich hergestellte Substanz vor. Ihre Entwickler glauben, darin eine Alternative zu Antibiotika entdeckt zu haben.

Resistenzen gegen Antibiotika sind weltweit ein wachsendes und ernstzunehmendes Problem. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt in einem Bericht aus dem Jahr 2014 davor, dass "Resistenzen gegen Antibiotika keine Vorhersage für die Zukunft mehr sind; sie bilden sich jetzt im Moment, überall auf der Welt."

Und obgleich alle Substanzen - bevor sie als Arznei auf den Markt gelangen - langwierige Testphasen überstehen müssen, hat Lascco, ein Unternehmen für nächstes Jahr bereits klinische Studien angekündigt. Einige Ärzte und Wissenschaftler betonten aber bereits, dass die neue Substanz Antibiotika höchstwahrscheinlich nicht ersetzen könne.

"Ein unwiderstehlicher Köder"

Die Wissenschaftler haben künstliche Nanopartikel aus Fetten - "Liposomen" genannt - entwickelt. Diese haben eine kugelförmige Struktur und werden in der Medizin dafür genutzt, bestimmte Medikamente in den Körper von Patienten zu schleusen. Die sogenannten "CAL02" künstlichen Membranen würden also in den Körper einer Person geschleust, die an einer starken bakteriellen Infektion leidet. Im Körper ziehen die Membranen dann Giftstoffe an, die von krankheitserregenden Bakterien produziert werden.

"Die Giftstoffe werden sich eher an die Liposomen binden, anstatt unsere eigenen Zellen anzugreifen. Dadurch würden sie unschädlich gemacht", erklärt Annette Draeger, eine der Koautorinnen der Studie. Bakterien produzieren diese Giftstoffe, um unsere Immunzellen abzuwehren. Die Giftstoffe auszuschalten würde unser Immunsystem also bei der Abwehr von Erregern unterstützen.

Die Entdeckung dieses "Lockvogel-Systems" war eher zufällig, erklärt Draeger gegenüber der DW. Denn eigentlich untersuchte das Team aus 18 Wissenschaftlern am Institut für Anatomie an der Universität Bern, wie Zellen ihre Membranen nach einem Angriff von bakteriellen Giftstoffen wieder reparieren.

Die Giftstoffe binden sich an bestimmte, instabile Fette innerhalb der Zellmembran. "Wir haben eine verbesserte, stabilere Nachbildung dieser Liposomregionen hergestellt", sagt Draeger.

Eduard Babiychuk, ein weiterer Koautor der Studie, beschreibt die Liposomen als "unwiderstehlichen Köder" für die bakteriellen Giftstoffe: "Die Toxine werden magisch von den Liposomen angezogen."

Eduard Bibiychuk und Annette Draeger haben mit an der Studie gearbeitetBild: Barbara Krieger

Wachsende Resistenz gegen Antibiotika

Etwa einhundert Jahre gibt es Antibiotika gerade einmal. Für einen Organismus, der so kurzlebig wie der von Bakterien ist, entspricht das vielen Millionen Generationen.

Über diese Zeitspanne haben sich Bakterien an ihre neue Umwelt angepasst, unter anderem indem sie Resistenzen gegen Antibiotika entwickelten. Die Resistenzen werden über Generationen hinweg vererbt. Bei Bakterien können sie sogar durch schlichten Kontakt ausgetauscht werden.

Laut WHO wird das Problem mit Resistenzen durch eine Vielzahl von Faktoren verschärft. Häufig wird Antibiotika bei Virusinfektionen verschrieben, gegen die sie allerdings unwirksam sind. Patienten setzten zudem Antibiotika meistens bereits ab, wenn sie sich besser fühlen, anstatt die Behandlung zu beenden. Auch der übertriebene Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht erhöht wahrscheinlich Resistenzen von Bakterien.

Eine letzte Woche veröffentlichte Studie der deutschen Krankenkasse DAK verschärft diesen Eindruck. Demnach verschrieben deutsche Ärzte Antibiotika oft unnötig, beispielsweise wenn der Patient an einer durch Viren verursachten Erkältung leidet.

Die WHO berichtete über 450 000 Fälle von resistenter Tuberkulose allein im Jahr 2012. Resistenzen gegenüber gängigeren bakteriellen Infektionen hätten ebenso zugenommen. Dazu gehören Harnwegsinfektionen, Lungenentzündungen, oder Infektionen des Blutes, wie die Blutvergiftung.

Antibiotika-Resistenzen werden vor allem für Menschen ein ernsthaftes Problem, die bereits krank oder verletzt sind. Methicillin-resistente Stämme von Staphylococcus Aureus - kurz MRSA - verbreiten sich bereits in Krankenhäusern. Die Folgen sind oft tödlich.

Konzentration auf seltene Infektionen

Die medizinische Fachwelt stünde Alternativen zu Antibiotika offen gegenüber. Einige Ärzte betrachten die Behandlung mit Liposomen hingegen weiterhin skeptisch.

Weit verbreitet: Das Bakterium Staphylococcus AureusBild: HZI Braunschweig

Frank Martin Brunkhorst, Oberarzt und Verantwortlicher für klinische Studien an der Universität Jena, zweifelt gegenüber der DW an der Methode: "Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich funktionieren könnte." Er beruft sich auf mehrere Studien mit Liposomen und Phospholipiden, die nicht als Arznei funktionieren: "Jede dieser Studien ist fehlgeschlagen."

Das wesentliche Problem sei, dass die Liposomen die Bakterien nicht wirklich abtöten, meint Brunkhorst. Bakterielle Infektionen setzten sich hauptsächlich in weichem Gewebe fest, erklärt er. "Wenn man die Behandlung mit Liposomen beendet, könnten die Toxine zurück in die Blutbahn gelangen."

Brunkhorst sieht aber seltenere Staphylococcus-Infektionen als mögliches Anwendungsgebiet. Dazu gehört das toxische Schocksyndrom, bei dem zahlreiche Toxine auf einmal in die Blutbahn gelangen. Die Betroffenen "könnten innerhalb weniger Stunden sterben", sagt Brunkhorst. Diese Zeitspanne sei zu kurz für eine ausführliche Diagnose und langwierige Überlegungen zur besten Behandlung mit Antibiotika.

Hans-Georg Sahl, pharmazeutischer Mirkobiologe an der Universität Bonn, teilt diese Meinung: "Eine solche Maßnahme kann Antibiotika nicht gänzlich ersetzen." Er könne sich eine Liposom-Therapie eher als unterstützende Behandlung zur Antibiotika-Einnahme vorstellen. Auch so könnten Resistenzen verringert werden.

Dem stimmt Samareh Azeredo da Silveira Lajaunias von Lascco zu. Sie plant klinische Studien für das Jahr 2015. "Die geplanten klinischen Studien sollen CAL02 als Zusatzbehandlung für die Standardmedizin beurteilen, wozu auch Antibiotika gehören."

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